Gleichberechtigung spielt bei den Grünen seit jeher eine besondere Rolle. Wie über Spitzenpolitikerinnen der Partei berichtet wird und welche Rolle stereotype Zuschreibungen spielen, hat nun eine Bachelorarbeit untersucht.
Seit 15 Jahren steht in Deutschland mit Angela Merkel eine Frau an der Spitze der Regierung. Mit Ursula von der Leyen ist zudem eine Frau Präsidentin der Europäischen Kommission. Man könnte nun meinen: Spitzenpolitikerinnen sind längst nicht mehr eine Ausnahme, sondern die Regel. Schaut man sich aber einmal die Frauenanteile in der Politik an, zeigt sich ein anderes Bild: Gerade einmal ein Drittel der Bundestagsabgeordneten war im Jahr 2019 weiblich, im Bundeskabinett sind derzeit sieben der 16 Positionen mit Frauen besetzt, zwei der 16 Ministerpräsident*innen sind weiblich. Diese Zahlen zeigen: Spitzenpolitikerinnen nehmen noch immer eine besondere Rolle ein. Das gilt nicht nur für ihren Anteil in der Politik, sondern auch für die Art und Weise, in der in den Medien über sie berichtet wird.
Diese hervorgehobene Position der Spitzenpolitikerinnen in der medialen Berichterstattung sollte die Grundlage für meine Studie im Rahmen meiner Bachelorarbeit am Institut für Journalistik der TU Dortmund sein. Dafür habe ich die Berichterstattung über vier Spitzenpolitikerinnen der Grünen – Annalena Baerbock, Simone Peter, Claudia Roth und Renate Künast – untersucht. Für die Grünen ist Gleichberechtigung seit jeher ein wichtiger Bestandteil der Parteiorganisation. Das Ergebnis: Die Partei wird überdurchschnittlich oft von Frauen gewählt und verzeichnet den höchsten Anteil politisch aktiver Frauen. Die Parteispitze ist hier seit jeher eine Doppelspitze – bestehend aus einem Mann und einer Frau, sodass es möglich war, die Berichterstattung über Spitzenpolitikerinnen in vergleichbaren Positionen über einen längeren Zeitverlauf zu untersuchen.
Position der Politikerin: Selten Hauptakteurin
Untersucht wurden 166 Artikel aus den Printausgaben der konservativ ausgerichteten Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) und der links ausgerichteten taz jeweils fünfzig Tage vor der Wahl der Politikerin zur Parteivorsitzenden bis 50 Tage danach. Dabei lag der Fokus darauf, herauszufinden, inwiefern die Politikerinnen anhand klassischer Stereotype dargestellt wurden – sei es in Bezug auf die Position, die ihnen zugeschriebenen Themen oder die ihnen zugeschriebenen Attribute.
Die Politikerinnen kommen vor allem dann vor, wenn sie zitiert, beschrieben oder im Kontext einer Handlung dargestellt werden – deutlich seltener sind sie einzige Hauptakteurin in einem Artikel. Annalena Baerbock ist am häufigsten eine von mehreren Hauptakteur*innen in einem Artikel.
„Harte“ Themen dominieren
Die Grünen sind eine Partei, in der das Thema Umwelt eine hervorgehobene Rolle spielt. So ist es wenig überraschend, dass dieses Thema auch in der Berichterstattung über die Politikerinnen dominiert. Abgesehen davon scheint es den Politikerinnen gelungen zu sein, eigene Schwerpunkte zu setzten. So zeigte sich, dass jede Politikerin ein Spezialthema hatte, das in der Berichterstattung über sie einen großen Teil einnimmt: in der Berichterstattung über Künast und Roth war es das Thema Inneres, Bau und Heimat, über Peter das Thema Finanzen und über Baerbock das Thema Außenpolitik, Verteidigung und Entwicklung.
Es zeigte sich: Den Politikerinnen werden keinesfalls nur „weiche“ Themen zugeschrieben, im Gegenteil: Die meisten Themen, die die Berichterstattung über die Politikerinnen dominieren, sind klassische „harte“ Themen.
Bedeutung des Privatlebens und Familienstandes nimmt zu
Verschiedene Studien haben eine Marginalisierung und Trivialisierung von Frauen in der Medienberichterstattung festgestellt (z.B. Holtz-Bacha 2007 und Pantti 2007): Sie sind unterrepräsentiert, ihre Leistungen werden heruntergespielt, häufig stehen ihr Privatleben und ihre familiären Umstände im Fokus.
Für die vier ausgewählten Grünen-Parteivorsitzenden nimmt die Bedeutung des Themas Privatleben im Zeitverlauf kontinuierlich zu. Auch in Bezug auf die Nennung des Familienstands lässt sich ein Anstieg von Künast hin zu Peter und Baerbock beobachten. Auch das Alter kommt in der Berichterstattung über Baerbock und Peter häufiger vor als bei Künast und Roth. Äußerlichkeiten der Politikerinnen spielen in der untersuchten Berichterstattung nur eine marginale Rolle.
Häufig klassisch männliche Attribute
Frauen werden in den Medien häufig anhand von konventionellen Attributen charakterisiert (Pantti 2007) – als feminin gelten Eigenschaften wie Emotionalität, Schwäche, Passivität, Gemeinschaft und Weichheit, als maskulin gelten Eigenschaften wie Durchsetzungsvermögen, Gefühlskälte, Härte und Entscheidungsfreudigkeit (Engelmann, Etzrodt 2014).
In der Berichterstattung über die vier Grünen-Politikerinnen zeigt sich: Den Grünen-Politikerinnen werden keinesfalls nur klassisch weiblich konnotierte Attribute zugeschrieben. Im Gegenteil: Weibliche Attribute wie „emotional“ oder „gemeinschaftsorientiert“ waren zwar unter den am häufigsten zugeschriebenen Eigenschaften, jedoch dominieren sie in keinem Fall die Berichterstattung. In Bezug auf die Politikerinnen zeigen sich einige Unterschiede – so wird Roth häufiger das Attribut emotional zugeschrieben, Künast häufiger als hart beschrieben.
Bedeutung der redaktionellen Linie nur vereinzelt vorhanden
Die redaktionelle Linie der FAZ und taz hatte nur selten einen statistisch signifikanten Einfluss auf die Berichterstattung über die Politikerinnen. So schrieb die FAZ den Politikerinnen signifikant häufiger das Thema Wirtschaft und Finanzen zu und nannte die Politikerinnen häufiger im Zusammenhang mit dem Attribut „moralisch gut“.
Spannend bleibt die Frage, inwiefern sich die Berichterstattung über Politikerinnen unterschiedlicher Parteien unterscheidet und ob die Berichterstattung angesichts der parteipolitisch stärkeren Position der Frauen bei den Grünen möglicherweise weniger stereotyp verläuft als bei anderen Parteien.
Raskopf, Charlotte (2020): Wie wird über Spitzenpolitikerinnen berichtet? Eine Inhaltsanalyse der Berichterstattung über vier weibliche Parteivorsitzende der Grünen. Unveröffentlichte Bachelorarbeit am Institut für Journalistik der TU Dortmund.
Quellen
Engelmann, I.; Etzrodt, K. (2014): Mediale Geschlechterkonstruktion online und mögliche Ursachen. Eine Inhaltsanalyse der journalistischen Online-Berichterstattung über Politikerinnen und Politiker. M&K 62 (1), S. 64–82.
Holtz-Bacha, C. (2007b): Zur Einführung: Politikerinnen in den Medien. In: C. Holtz-Bacha und N. König-Reiling (Hrsg.), Warum nicht gleich? Wie die Medien mit Frauen in der Politik umgehen. (S. 7–16). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften/GWV Fachverlage GmbH Wiesbaden.
Pantti, M. (2007): Portraying Politics: Gender, Politik und Medien. In: C. Holtz-Bacha und N. König-Reiling (Hrsg.), Warum nicht gleich? Wie die Medien mit Frauen in der Politik umgehen. (S. 17–51). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften/GWV Fachverlage GmbH Wiesbaden.
Bildquelle: Flickr CC – Bündnis 90/Die Grünen Nordrhein-Westfalen: LDK Dortmund 15.8.2020; Lizenzbedingungen: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/
Schlagwörter:Annalena Baerbock, Berichterstattung, Claudia Roth, Die Grünen, FAZ, Gleichberechtigung, Renate Künast, Simone Peter, Spitzenpolitikerinnen, Taz