Gegen die Automatisierungsangst im Journalismus

5. Januar 2021 • Digitales, Qualität & Ethik • von

Ist der Einsatz von künstlicher Intelligenz im Journalismus nur ein Weg, um Geld zu sparen? Oder bietet KI auch die Möglichkeit, einen ethisch besseren Journalismus zu betreiben? Glenda Cooper von der City University of London zeigt Vorteile der Automatisierung auf.

„The Rise of the Robot Reporter“ titelte die New York Times 2019, als sie feststellte, dass ein Drittel der Inhalte von Bloomberg News vom automatisierten System „Cyborg“ des Unternehmens generiert wurde. Beängstigend für Journalistinnen und Journalisten, von denen viele seit langem befürchten, dass sie auf dem Abstellgleis landen und durch einen Algorithmus ersetzt werden – eine wachsende Sorge, die als die neue „Automatisierungsangst“ bezeichnet wird. Als die britische Fachzeitschrift Press Gazette ihre Leserinnen und Leser 2020 fragte, ob sie künstliche Intelligenz (KI) als Bedrohung oder als Chance wahrnehmen, sahen mehr als 1.200 Abstimmende (69 %) sie als Bedrohung.

Doch diese Entwicklung ist nicht aufzuhalten. Im Dezember 2020 veranstaltete der Think Tank der London School of Economics, POLIS, sein erstes Festival, das sich mit der Schnittmenge von Journalismus und KI befasste. Ein POLIS-Bericht aus dem Jahr 2019 ergab, dass von den 71 befragten Medienunternehmen in 32 Ländern die Hälfte KI für die Nachrichtenbeschaffung, zwei Drittel für die Produktion und die Hälfte für die Verteilung einsetzt. In Großbritannien nutzt die Multimedia-Agentur PA Media (vormals Press Association) beispielsweise KI-Software, um datenjournalistische Beiträge in großem Umfang und mit hoher Geschwindigkeit zu produzieren, während die Times KI-Software verwendet, um Newsletter zu erstellen, die auf die Interessen der digitalen Abonnenten zugeschnitten sind.

Mit unserem DMINR-Projekt an der City University of London, das von der Google Digital News Initiative finanziert wird, verfolgen wir zwei Ziele: Zum einen wollen wir ein Tool für die Nachrichtenrecherche und -verifizierung auf Basis von künstlicher Intelligenz schaffen, um Journalistinnen und Journalisten bei der Arbeit mit Big Data und der Durchführung von Recherchen im digitalen Zeitalter zu unterstützen. Zum anderen wollen wir die Auswirkungen von künstlicher Intelligenz auf den Journalismus und Journalisten untersuchen.

Wir haben uns dazu entschieden, Medienschaffende von Anfang an einzubeziehen, damit wir ein Tool entwickeln können, das wirklich nützlich für sie ist. Wir haben in mehreren großen Redaktionen mit Journalistinnen und Journalisten gesprochen und beobachtet, wie sie arbeiten, wie sie KI nutzen und welche Bedenken sie haben. Aber wir müssen auch sicherstellen, dass unser Tool – und andere – es ihnen ermöglichen, KI ethisch zu nutzen.

KI und Ethik

Eine der ersten ethischen Fragen, die der Polis-Bericht aufwirft, ist die Sorge der Journalistinnen und Journalisten, ob KI nur ein Weg ist, um Geld zu sparen. Doch es gibt noch viele weitere Bedenken. Während die Voreingenommenheit im Journalismus weithin diskutiert wurde (siehe z. B. ein Beitrag von Michael Schudson), stellt sich die Frage, wie es um die Voreingenommenheit von Algorithmen steht. Das kann von technischen Problemen bei der Dateneingabe bis hin zu Algorithmen reichen, die menschliche Voreingenommenheit in Bezug auf Rasse und Geschlecht widerspiegeln – wie von der ehemaligen ProPublica-Journalistin Julia Angwin aufgedeckt wurde. Sie fand heraus, dass ein von der US-Strafjustiz eingesetztes Programm, das vorhersagt, wie wahrscheinlich es ist, dass Angeklagte wieder straffällig werden, Schwarze diskriminiert. Zudem wurden in Zusammenhang mit KI Bedenken über Filterblasen, Verzerrung der Wahrnehmung (Confirmation Bias) und Deepfakes (mit künstlicher Intelligenz hergestellte Fake-Medieninhalte) geäußert.

Auf der anderen Seite wird KI als eine Möglichkeit angepriesen, einen ethisch besseren Journalismus zu betreiben. Könnte sie helfen, Zusammenhänge aufzudecken, die sonst übersehen würden? Und zeigt die anhaltende Debatte über die Probleme im Zusammenhang mit der Voreingenommenheit von KI, dass die Redaktionen selbst viel transparenter und offener gegenüber ihrem Publikum sein müssen?

„Ein komplexer sozialer Prozess“

Jeff Jarvis prägte vor einem Jahrzehnt den Begriff des Prozessjournalismus, der im Gegensatz zum Produktjournalismus die sich verändernde Kultur der Nachrichtenberichterstattung berücksichtigt.  Journalistinnen Journalisten produzieren ihre Geschichten nicht mehr in vom Publikum weit entfernten Redaktionen, sondern machen den Rechercheprozess transparent und interagieren mit den Mediennutzerinnen und Mediennutzern. Könnte gar das schwindende Vertrauen in die britischen Medien wiederhergestellt werden, indem man offen über KI und ihren Einsatz spricht?

Bislang hat man sich mehr auf die potenziellen Probleme als auf die Vorteile der KI konzentriert. Umso wichtiger ist es, dass Forscherinnen und Entwickler auf diesem Gebiet von Anfang an mit Journalistinnen und Journalisten zusammenarbeiten, um sicherzustellen, dass diese ethischen Fragen angegangen werden. Das zeigt auch eine Aussage eines Befragten des Polis-Berichts: „Der größte Fehler, den ich in der Vergangenheit gesehen habe, ist es, die Integration von Technik in ein soziales Umfeld als einfache IT-Frage zu betrachten. In Wirklichkeit ist es ein komplexer sozialer Prozess.”

Und auch diejenigen Journalistinnen und Journalisten, die noch immer unter Automatisierungsangst leiden, können sich noch Optimismus bewahren: Obwohl der Journalismus bereits seit langem Automatisierungen unterworfen ist, hat er immer Widerstandsfähigkeit bewiesen und sich neuen Technologien gut angepasst. So stellte auch Carl Gustav Linden 2015 in einem Beitrag für Digital Journalism die Frage, warum es auch nach Jahrzehnten der Automatisierung immer noch so viele Jobs im Journalismus gibt. Wir sind also noch weit entfernt von dem Szenario, dass künstliche Intelligenz Journalisten ersetzt.

Dieser Beitrag wurde zuerst auf der englischen EJO-Seite veröffentlicht.

Übersetzt aus dem Englischen von Tina Bettels-Schwabbauer

 

Zum Thema auf EJO: KI im Journalismus: Von neuen Möglichkeiten und Grenzen

 

 

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