Big Deal um Big Data

11. September 2015 • Medienpolitik, Redaktion & Ökonomie • von

Auge

“Swisscom bietet dem Markt Big Data. Deshalb waren Ringier und die SRG so scharf auf das Joint Venture.”

Sie überlegen sich, ein neues Auto oder eine neue Bratpfanne zu kaufen? Die SRG, Swisscom und Ringier tun sich zusammen, um das künftig schon vor Ihnen zu wissen.

Das erste Treffen der drei Herren war im Bluewin-Tower auf dem Sulzerareal in Zürich-West. Die drei Herren trafen sich in einem kleinen, versteckten Eckzimmer im oberen Stock. Die drei Herren wollten nicht gemeinsam gesehen werden.

Das ist ein halbes Jahr her. Die drei Herren waren SRG-Generaldirektor Roger de Weck, Swisscom-Konzernchef Urs Schaeppi und Ringier-CEO Marc Walder.

Die drei Herren wollten nicht gemeinsam gesehen werden. Denn sie wussten, dass sie einen Deal vorbereiteten, der die Schweizer Medienbranche ziemlich auf den Kopf stellen würde. Ende August wurde der Deal verkündet. Die SRG, die Swisscom und Ringier gründen ein gemeinsames Unternehmen, an dem jeder einen Drittel des Aktienkapitals hält. Das Unternehmen vermarktet in Zukunft die vereinigte Werbung der drei Partner.

Ein zentrales Verkaufsteam, gegen dreihundert Leute, verkauft in Zukunft das ganze kommerzielle Angebot der drei Unternehmen. Die SRG bietet in diesem Paket ihre täglichen 2,5 Millionen Zuschauer und ihre TV-Spots auf ihren sieben Fernsehkanälen. Ringier liefert die millionenfachen Nutzer von Plattformen wie der Blick-Gruppe, von Zeitschriften wie der Schweizer Illustrierten, Radio Energy und Online-Marktplätzen wie der Scout-Gruppe.

Auch die Titel von Axel Springer Schweiz, etwa Bilanz und Handelszeitung, werden in das Joint Venture einfließen, weil Ringier hälftig daran beteiligt ist.

Der fleißigste Datensammler

Der wichtigste Partner der drei aber ist die Swisscom. Sie betreibt 6,5 Millionen Mobiltelefon-Anschlüsse in der Schweiz und hat 1,2 Millionen Kunden bei ihrem Swisscom TV. Diese Kundendaten sind Gold wert.

Das Gold nennt man Big Data.

Big Data ist die Kunst der digitalen Spionage und Überwachung in Bezug auf unser Konsumverhalten. Swisscom ist hier führend. Sie ist der fleißigste und systematischste Datensammler der Schweiz.

Swisscom weiß alles über uns. Swisscom weiß immer, wann und wo wir sind. Swisscom weiß, wo wir wann was tun. Swisscom weiß, wo und wann wir in der Migros und im Zoo sind, wo und wann wir welchen Film anschauen, wo und wann wir uns für ein neues Auto oder eine neue Bratpfanne interessieren und wo und wann wir eine Reise in die Karibik buchen.

Swisscom weiß es, weil sie all unsere Aktivitäten am Smartphone, am Tablet und am Computer registriert. Erfolgreich ist heute, sagt Swisscom selber, „wer Daten intelligent sammelt, aggregiert und auswertet“.

Das deutsche Magazin Computerwoche vergibt jedes Jahr die Best-in-Big-Data-Awards. Beim letzten Mal siegte in der Kategorie Big-Data-Projekte die Swisscom. Sie zeigte, wie sie die permanenten Bewegungsdaten von Autofahrern, Radfahrern und Fußgängern über deren Mobiltelefone erfasst. Damit lassen sich Verkehrsströme besser steuern. Kommerziell wichtiger aber sind diese Daten für Firmen aus Bereichen wie Transport, Tourismus und Gastronomie, denen die Swisscom dieses Wissen verkauft.

Swisscom bietet dem Markt Big Data. Ringier kann das nur teilweise, die SRG noch weniger. Darum waren Roger de Weck und Marc Walder so scharf auf dieses Joint Venture. Wie sich der Zusammenschluss auswirken wird, ist noch zu zeigen – er wirkt sich auf uns alle aus.

Zuvor aber muss man wissen, warum sich drei auf den ersten Blick unterschiedliche Unternehmen zusammentun. Nun, so unterschiedlich sind sie nicht. Sie haben dieselbe Tradition und dasselbe Problem.

Im Grunde haben sich drei urschweizerische Firmen gefunden. Ringier, das ist der Verlag aus Zofingen, der mit dem Gelben Heftli und der Sie und Er jahrzehntelang die Wohnstuben dominierte. Swisscom, das ist die legitime Tochter der guten alten Post-, Telefon- und Telegrafenbetriebe (PTT). Und die SRG, das ist seit der Gründung des Landessenders Beromünster sowieso ein Nationalheiligtum.

Unterschiedlich sind nur die Besitzstrukturen. Ringier ist ein Privatunternehmen. Bei Swisscom hält der Staat 51 Prozent. Die SRG ist formal ein Verein, de facto aber ein weitgehend über Steuern finanzierter Staatsbetrieb.

Nun haben die drei urschweizerischen Unternehmen SRG, Swisscom und Ringier aber eine Gemeinsamkeit, die sie von den meisten Konkurrenten im heimischen Markt unterscheidet. Alle drei sind weitaus stärker dem internationalen Wettbewerb ausgesetzt. Die Fernsehkanäle der SRG beispielsweise haben von den hiesigen Anbietern nichts zu fürchten. Ihre Widersacher sind nicht all die nationalen Kleinkanäle von 3+ bis Star TV oder all die Regionalsender von Tele Züri bis Tele Ostschweiz. Diese absorbieren gerade mal zehn Prozent des Werbemarkts. Die SRG-Gegner sind die ausländischen Werbefenster von RTL, Pro7 und Sat1. Sie erreichen in der Schweiz einen Jahresumsatz von 300 Millionen Franken. Das sind nur 70 Millionen weniger, als die SRG an Werbung hereinholt.

Die Swisscom ist ähnlich global gefordert. Ihr früher florierendes Geschäft mit SMS- und Bilddateien wurde von preisgünstigen Message-Diensten wie Whatsapp aus dem Hause Facebook gründlich untergraben. Das Geschäft mit der Telefonie wird durch internetbasierte Anbieter wie Skype und Viber in Zukunft ebenfalls spürbar zurückgehen. Denn bei denen ist weltweit jeder Anruf gratis.

Google kann, was andere nicht können

Ringier wiederum ist das einzige größere Medienhaus des Landes, das international aufgestellt ist. Etwa 300 Millionen Franken, nicht ganz ein Drittel des Gesamtumsatzes, erwirtschaftet das Haus außerhalb der Schweiz.

Ringier ist damit überall dem schärfsten Gegner der traditionellen Verlagshäuser ausgesetzt. Der Gegner ist Google. Google ist einer der Hauptgründe, warum auch die Werbeeinnahmen der Schweizer Presse seit dem Jahr 2008 um 800 Millionen Franken gesunken sind. In diesem Jahr wird Google in der Schweiz rund 300 Millionen Franken Umsatz machen.

Google kann, was Ringier und SRG nicht können. Google kennt seine Nutzer bis ins letzte Detail. Die Suchmaschine weiß, ob eine Frau schwanger ist, weil sie sich im Netz nach Kinderwagen umsieht, sie weiß, wer gern in die Provence fährt, weil er dort Hotel-Sites angeschaut hat, und sie weiß, welche Pastarezepte man kocht, welche Musik man hört und welche Unterwäsche man kauft.

Google weiß das genau.

Und Swisscom weiß es genauso gut. Swisscom ist für die SRG und für Ringier der ideale Google-Ersatz.

Roger de Weck hingegen hat wenig Ahnung, wie viele seiner Zuschauer die Provence lieben, Pasta kochen und Unterwäsche kaufen. TV ist ein Massenmedium. Ein Massenmedium kennt die Vorlieben seiner Kunden kaum. Für die Werbeindustrie ist ein Massenmedium darum nur dann richtig interessant, wenn für undifferenzierte Massenartikel geworben wird, etwa für Waschpulver und Coca-Cola.

Auch Ringiers Marc Walder weiß nicht im Detail, was die Konsumgewohnheiten seiner Leser sind, aber immerhin schon einiges mehr. Die Leserinnen der Glückspost zum Beispiel interessieren sich für Gesundheitsprodukte, die Leser des Blick am Abend interessieren sich für Mode. Deutlich mehr weiß Ringier über die Nutzer seiner Online-Sites, weil die Besucher dort ihre digitalen Fußabdrücke hinterlassen. Wer hier eine Gießkanne bestellt, ist sein ganzes Leben lang als Hobbygärtner registriert.

„Verhaltensbezogene Zielauswahl“

Swisscom, der dritte Partner im Bund, ist in diesem Punkt viel weiter. Der Telecom-Konzern weiß exakt, wer seine Kunden sind, was sie wünschen und wollen. Er weiß es, weil er ihre Aktivitäten im Netz dauernd verfolgen kann.

„Behavioral Targeting“ nennt man das, verhaltensbezogene Zielauswahl. Swisscom registriert das Surfverhalten seiner Kunden im Netz und sieht, welche Interessen die Nutzer haben. Dadurch können sogenannte Zielgruppen zusammengestellt werden, Gruppen von Individuen, die ähnliche Interessen haben. Derzeit bietet Swisscom via Behavioral Targeting dem Markt rund zwanzig Zielgruppen an, wie etwa die Kategorien Autokäufer und Heimwerker.

Es geht auch noch präziser. Werbekunden können sehr detaillierte Profile ihrer potenziellen Kunden kaufen. Sie wünschen zum Beispiel den Kontakt zu 200000 Männern unter 45 mit gehobenem Einkommen, die Sportwagen lieben. Auf dieser Basis kann BMW dann das neue 4er Cabrio zielgenau vermarkten.

Wenn BMW zusätzlichen Werbedruck aufbauen will, addiert es künftig die ausgewählten Kontakte, die Ringier aus der autoaffinen Blick-Leserschaft und seinem Portal Autoscout zuliefert. Rund um das “Sportpanorama” und das Magazin “Tacho” bietet das Fernsehen für BMW die ergänzenden Sendeplätze für TV-Spots. All das bekommt man künftig aus einer Hand.

Die einzige Beschränkung in dieser neuen, wunderbaren Werbewelt von SRG, Swisscom und Ringier ist das Datenschutzgesetz, das Anonymisierung fordert. Die Werbeauftraggeber bekommen keine personalisierten Kundendaten, sondern nur die Garantie auf die gewünschten Kundenkontakte.

Doch Personalisierung ist auch gar nicht nötig, weil es nicht um Individuen, sondern um Käufergruppen geht. Das illustriert beispielsweise das neuste Projekt von Swisscom TV. Ihre 1,2 Millionen TV-Empfänger werden künftig nicht mehr nur identische Werbespots, sondern individualisierte Spots bekommen, die aus den Internetprofilen der Zuschauer entstehen. In der Halbzeitpause des Fussballspiels bekommt die Vegetarierin in Zukunft einen TV-Spot vom Reformhaus vorgesetzt, der Fleischesser hingegen zur selben Zeit einen TV-Spot von McDonald’s. Roger de Weck plant für sein Fernsehen dasselbe Geschäftsmodell.

Und damit sind wir beim politischen Teil. Interessant am Joint Venture der big three ist die Vermischung von staatlicher Finanzierung und privatem Profit.

Roger de Weck, Obmann der staatsnahen SRG, hat zu Recht erkannt, dass TV und Internet verschmelzen und er darum gemeinsam mit der führenden Telecom eine Vermarktung braucht. Urs Schaeppi, Vorsitzender des Staatsbetriebs Swisscom, hat zu Recht erkannt, dass er seinen goldenen Datenschatz mit marktführenden Partnern viel profitabler vermarkten kann. Marc Walder, Chef der Privatfirma Ringier, hat zu Recht erkannt, dass in der digitalen Welt nicht die anderen Verlagshäuser seine größten Konkurrenten sind.

Ringier ist von den dreien vermutlich der schlauste Schachzug gelungen. Die SRG wird über Gebühren finanziert und gehört darum dem Gebührenzahler. Die Swisscom wurde stets durch Steuergelder finanziert und gehört bis heute dem Steuerzahler. Beide werden viel daran setzen, dass das Projekt gelingt. Sie können einiges investieren, damit das gemeinsame Unternehmen floriert.

Wir erleben einen hübschen neuen Abschnitt der Schweizer Medienpolitik. Der staatlich verpflichtete Gebührenzahler und der staatlich verpflichtete Steuerzahler sorgen für die künftigen Profite des Privatunternehmens Ringier.

Das nennt man wohl Service privé-public.

Der Blick aus dem Hause Ringier kommentierte jedenfalls: „Der Deal zwischen Ringier, SRG und Swisscom ist sehr zu begrüßen.“

Erstveröffentlichung: Weltwoche vom 20. August 2015 (EJO-Version leicht modifiziert)

Update vom 10. September 2015: Laut Medienberichten will die Schweizer Wettbewerbskommission (WEKO) die Gründung des Gemeinschaftsunternehmens zwischen Swisscom, SRG und Ringier vertieft prüfen.

Bildquelle: duncan c / flickr.com

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