Der Pressekodex fordert die klare Trennung von redaktionellen und werblichen Inhalten, doch mit Native Advertising verschwimmt diese Grenze. Presseratsmitglied Johannes Endres über eine ethische Grauzone.
EJO: Native Advertising ist kein junges Phänomen, doch zunehmend professionalisiert. Spiegelt sich das in den Beschwerden wider, die beim Presserat eingehen?
Johannes Endres: Native Advertising kennen wir in der Tat schon lange beispielsweise aus dem Printbereich, wenn zum Beispiel bezahlte Inhalte mehr oder weniger gut gekennzeichnet in sogenannten Sonderbeilagen erscheinen. Entsprechend sind die Beschwerden nicht neu und ihre Häufigkeit relativ gleichmäßig geblieben. Aber es gibt eine grundsätzliche Schwierigkeit: Ich bin Vorsitzender des Ausschusses, der die Beschwerden nach Ziffer 7 behandelt, also bezüglich der Trennung von Werbung und Redaktion. Wir werden tätig, wenn ein Leser eine Beschwerde einreicht. Doch damit sich jemand beschweren kann, muss er die Verschleierung erkennen. Professionelles Native Advertising verhindert unter Umständen genau das, denn es zeichnet sich eben dadurch aus, dass Leser es nicht direkt als Werbung identifizieren können.
Wenn Werbung im Gewand redaktioneller Inhalte erscheint, sich in Layout und Stil dem Trägermedium weitgehend angleicht, wie sollen Medienhäuser sie angemessen kennzeichnen?
Der Presserat betrachtet immer den Gesamteindruck einer Anzeige. Neben der optischen Aufmachung achten wir auf die Kennwörter und akzeptieren nur die Begriffe ‚Werbung‘ und ‚Anzeige‘ als angemessene Kennzeichnung. Studien belegen, dass für die Mehrheit der Rezipienten nur diese unmissverständlich sind. Andere Begriffe – ob Sponsored Content, Advertorial, Sonderveröffentlichung oder andere – vermitteln dem Leser nicht eindeutig, dass Geld geflossen ist.
Können Sie beim Presserat denn eindeutig nachvollziehen, ob Geld geflossen ist?
Der Presserat ist kein Gericht. Wenn wir einen werblichen Text erkennen, der nicht eindeutig als solcher gekennzeichnet ist, können wir die Hintergründe nicht abschließend recherchieren und nachweisen, ob tatsächlich Geld geflossen ist oder nicht. Wir befragen das jeweilige Medium und müssen uns auf dessen Angaben verlassen. Beschwerden erreichen uns in der Regel, weil über Produkte und Dienstleistungen besonders positiv oder unausgewogen berichtet wird. Dabei machen die Beschwerdeführer keinen Unterschied zwischen Native Advertising, schlecht gemachten Artikeln oder der Übernahme von PR-Texten. Von außen ist das oft schwer zu unterscheiden – für die Leser und teilweise auch für den Presserat.
Das Anliegen der Beschwerden ähnelt sich also, erkennen Sie auch Unterschiede?
Einen Unterschied erkenne ich zwischen Online- und Printlesern, denn bei Native Advertising haben wir mehr Beschwerden über Print- als über Online-Vorgänge. Über die Gründe kann man nur spinnen. Ich vermute, dass Online-Leser eine andere Einschätzung von Medien haben als Printleser. Letztere haben eine stärkere Bindung an Journalismus und eine klarere Vorstellung von Aspekten wie beispielsweise Unabhängigkeit. Auf der anderen Seite nehmen Leser einzelne Online-Medien nicht unbedingt als journalistische wahr und legen entsprechend andere Maßstäbe an. Das ist aber lediglich Spekulation. Sicherlich könnte man daraus Forschungsfragen entwickeln, deren Ergebnissemich sehr interessieren würden.
Ob Print oder Online – Medienhäuser sind unter wirtschaftlichem Druck. Während sie sich mit Native Advertising ethisch angreifbar machen können, entgeht ihnen ohne dieses eine wichtige Einnahmequelle. Wie lösen sie das Dilemma?
Der Presserat mischt sich nicht in Geschäftsmodelle ein. Wir können und wollen das wirtschaftliche Handeln von Verlagen nicht beurteilen. Das ist nicht unsere Aufgabe. Wir sind zuständig, wenn Leser in die Irre geführt werden. Daher ist für die ethische Beurteilung des Presserats nicht entscheidend, ob Medien Native Advertising schalten oder nicht. Stattdessen stellen wir die Frage, ob für den Leser absolut transparent ist, was er gerade konsumiert. Ihm muss klar sein, welche Art von Text, von Video, von Beitrag er vor sich hat. Ein ethisches Problem liegt vor, wenn bezahlte Inhalte verschleiert werden. Bei ausreichender Kennzeichnung ist alles in Ordnung. Transparenz ist der entscheidende Punkt.
Werbetreibende setzen auf Native Advertising, weil sie von der Glaubwürdigkeit des Trägermediums profitieren wollen. Was bedeutet das für die Glaubwürdigkeit eines Mediums?
Die Frage beantworte ich persönlich und nicht als Vorsitzender eines Presserat-Ausschusses. Der Druck zu verschleiernden Werbeformen geht häufig nicht von der Redaktion aus, sondern von Verlagsseite, wenn dort wirtschaftliche Interessen falsch gewichtet werden. Oft werten Verlage das wirtschaftliche Argument kurzfristiger Gewinne durch Native Advertising mehr als die langfristige Beschädigung ihrer Marke. Ich persönlich halte das für ein riesiges Problem dieser Medien, die mittelfristig ihre Strafe erhalten werden, weil sie ihre Marke kaputt machen.
Sprechen Sie von einem Glaubwürdigkeitsverlust als Risiko einzelner Medien oder reden wir hier vom Journalismus insgesamt?
Auch dazu habe ich eine persönliche Meinung. Das betrifft nicht nur einzelne Medien, sondern den Journalismus im Ganzen. Der Presserat spricht vom „Ansehen der Presse“, wenn ein Medium systematisch seine eigene Glaubwürdigkeit zerstört und damit dem Ansehen der Presse insgesamt schadet. Verurteilt ein Leser das Verhalten eines Mediums, wirkt das sicherlich auch auf seine Einschätzung vergleichbarer Medien. Für den konkreten Fall heißt das: Wenn ein Medium ungekennzeichnete Anzeigen veröffentlicht, fällt das nicht nur auf das Medium selbst zurück, sondern schlimmstenfalls auf die gesamte Branche.
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Johannes Endres ist beim Presserat Vorsitzender des Ausschusses für Beschwerden nach Ziffer 7 des Pressekodex‘. Als Journalist war er unter anderem Chefredakteur von Heise Online und der c’t.
Die Ziffer 7 des Pressekodex‘ fordert von Verlegern und Journalisten, „auf eine klare Trennung zwischen redaktionellem Text und Veröffentlichungen zu werblichen Zwecken“ zu achten.
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