Im Interview mit Christian Limpert, Leiter des ARD Studios in Tel Aviv, sprechen Katarina Machmer und Dominik Hamers über die Grausamkeit des Nahost Krieges, sensationsgetriebenen Journalismus und die Relevanz objektiver Berichterstattung.
Herr Limpert, Sie berichten täglich über Krieg und Grausamkeit. Wie gehen Sie damit um?
Bevor ich nach Israel kam, war ich als Reporter relativ lange auf dem Balkan und habe dort die Situation Geflüchteter von 2015 an begleitet.
Da gab es auch immer wieder sehr viele dramatische Bilder, die einfach im Kopf bleiben. Um das verarbeiten zu können, muss man einigermaßen stabil sein. Das heißt aber keinesfalls, dass ich das alles einfach so wegstecke. In Tel Aviv arbeiten wir sehr professionell zusammen im Team, und dazu gehört auch, dass wir über Dinge sprechen, die wir erlebt oder gesehen haben.
Wie zum Beispiel?
Aus unserem Team in Israel und auch unter unseren palästinensischen Mitarbeitenden kennt jede:r jemanden, der oder die entführt, ermordet oder durch den Krieg obdachlos geworden ist. Trotz aller Professionalität müssen wir also empathisch sein.
Grundsätzlich haben wir alle auch die Möglichkeit, psychologische Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Wie ist es für Sie als Studioleiter, wenn sie Reporter:innen in Gebiete schicken müssen, die gefährlich sind?
Eine der größten Herausforderungen — losgelöst von der inhaltlichen Berichterstattung — ist die Abwägung, wie wichtig uns eine Geschichte ist. Die Verantwortung für unsere Sicherheit trägt der BR und trage ich als Studioleiter. Unsere Sicherheit ist am Ende wichtiger als „das beste Bild“ oder „die beste Geschichte“ und das ist auch gut so. Niemand von uns geht ohne Absprache irgendwo hin. Wenn meine Kollegin Sophie von der Tann, die Hörfunk-Kolleg:innen oder ich in die Nähe des Gazastreifens wollen, dann haben wir klare Sicherheitskategorien. Je näher wir kommen, desto strenger werden die Vorgaben. Ich habe auch nicht den Drang, völlig unvorbereitet in die erste Reihe zu gehen.
Privatwirtschaftlich organisierte Medien sind oft darauf angewiesen, auch mit Schlagzeilen über den Krieg Geld zu verdienen. Empfinden Sie es als Privileg, für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu arbeiten?
Auf jeden Fall. Wir wollen unser Publikum schnell erreichen. Doch dabei gilt: Es ist für uns weniger wichtig, die ersten zu sein, die über etwas berichten, als die ersten zu sein, die richtig berichten. Das gut zu machen, ist nicht immer ganz einfach.
Warum?
Konkretes Beispiel: Kurz vor der Tagesschau um 20 Uhr bekommen wir die Information, dass ein Krankenhaus im Gazastreifen von einer Rakete getroffen wurde, und wir sehen Bilder davon. Dagegen kann sich, glaube ich, niemand emotional abschotten. In so einer Situation ist es ein menschlicher Reflex, das sofort emotional zu bewerten. Unsere Aufgabe in Nachrichtenformaten ist es aber, über so einen Anschlag lediglich zu berichten und dabei klar zu sagen, was wir wissen und was nicht. In diesem konkreten Fall gab es sofort ganz unterschiedliche Angaben über Opferzahlen und gegenseitige Vorwürfe, wer für den Beschuss verantwortlich sei. Trotz knapper Zeit haben wir in diesem Moment nicht spekuliert, wir haben wie bisher immer eindeutig unsere Quellen benannt und offen gesagt, dass wir Informationen gerade nicht verifizieren konnten. Das führt natürlich auch zu Kritik. Die kommt in vielen Fällen aber von beiden Seiten.
Haben Sie ein Beispiel?
Wenn wir etwa über Menschen berichten, die den Terrorangriff in einem Kibbuz überlebt haben, dann geben wir deren emotionales Leid wieder und Fakten, die wir eindringlich prüfen. Trotzdem erhalten wir sofort heftige Kritik, dass wir nicht erwähnen, dass nach dem Angriff der israelischen Armee im Gazastreifen viel, viel mehr Menschen gestorben sind. Und umgekehrt: Wir berichten über das Leid der Menschen im Gazastreifen, die eben keine Schutzräume haben, die unter einer unvorstellbaren humanitären Katastrophe leiden. Hier hagelt es dann oft Kritik, dass wir in diesem Beitrag nicht auf den Terrorangriff der Hamas eingehen, indem wir sagen, was für ein schlimmes Leid die israelischen Opfer und Familienangehörigen ertragen mussten. Wir stehen praktisch mittendrin und berichten über Leid auf beiden Seiten.
Wie wichtig ist Objektivität in der Berichterstattung?
Für uns ist es das Allerwichtigste, in unseren Beiträgen objektiv zu sein. Natürlich hat jede:r von uns eine Haltung und eine Meinung. Aber wir stehen auf keiner Seite.
Ich habe den Eindruck, dass Menschen in Deutschland auf den Konflikt gucken wie auf ein Fußballspiel mit zwei Mannschaften, und dann fragen sie: „Auf welcher Seite bist du?“. Und das ist zu einfach.
Was wir schon vor dem 7. Oktober versucht haben und immer noch tun, ist, alle Seiten und Facetten dieses Konflikts abzubilden. Natürlich haben sich die Fronten massiv verhärtet. Aber wir sind weder die verlängerte Pressestelle des israelischen Militärs, noch sind wir Vertreter:innen von Menschenrechtsorganisationen. Wir müssen berichten, wenn Dinge schieflaufen, und da gibt es viele Geschichten, die das zeigen, aber für uns ist klar, dass die Fakten und die Daten dazu absolut stimmen müssen und geprüft sind.
Halten Sie die Berichterstattung in Deutschland außerhalb des öffentlich-rechtlichen Rundfunks für tendenziös?
Ich kann bloß für unsere Arbeit, also die Beiträge sprechen, die wir im ARD Studio Tel Aviv produzieren, und da kann ich nur sagen: Unser oberstes Ziel, jeden Tag, ist eine ausgewogene, objektive und unaufgeregte Berichterstattung. Das inhaltliche Dilemma in unserem Berichtsgebiet ist doch, dass wir eigentlich jedes Mal beim Beginn des Konflikts anfangen müssten, die Geschichte zu erzählen. Der 7. Oktober war ja nicht der Anfang – seitdem schaut nur die ganze Welt wieder hin. Ich habe im Juli letzten Jahres eine Doku für den Weltspiegel gemacht, in der es um die innere Zerrissenheit Israels geht. Sie zeigt, wie die Siedlergewalt und völkerrechtswidriger Siedlungsbau in der West Bank zunimmt, während gleichzeitig liberale Israelis versuchen, eine in Teilen rechtsextreme Regierung zu stoppen. Und auch das hat alles wieder eine Vorgeschichte. In zwei bis drei Minuten Beitragslänge bei Tagesschau oder Tagesthemen können wir diese hochkomplexe Lage nie abdecken; wir können mit jedem Beitrag eben nur aufzeigen, dass es nicht „schwarz und weiß“ ist. Und um die Frage noch ganz allgemein zu beantworten: Ich stelle fest, dass in anderen internationalen Medien eine deutlich schärfere Israelkritik stattfindet als in Deutschland.
Herr Limpert, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Mehr Medienschaffende unter den Kriegsopfern als je zuvor Nach Angaben verschiedener Medien und Organisationen ist der Krieg in Nahost zu den gefährlichsten Konflikten für Journalist:innen. Die Zahlen der Opfer unter den Medienschaffenden unterscheiden sich je nach Quelle: Die International Federation of Journalists zählt 130 Tage nach Kriegsbeginn 105 getötete Journalist:innen und veröffentlicht ihre Namen auf regelmäßig aktualisierten Listen. Darunter sind 98 Palästinenser:innen, vier Israelis und drei Libanes:innen. Damit ist der Konflikt laut dem Committee to Protect Journalists (CPJ) der tödlichste für Journalist:innen, seit die Organisation 1992 damit begann, Journalist:innen, die in Kriegen und Konflikten zu Tode kommen, aufzuzeichnen. Reporter ohne Grenzen betont, dass es in Gaza keine sicheren Orte für Medienschaffende mehr gibt: die Tötungen passierten demnach nicht nur bei der Arbeit im Feld, sondern auch in Büros, zuhause oder in Flüchtlingslagern. Reporter ohne Grenzen hat die Tötungen von Journalist:innen seit dem 7. Oktober bereits mehrfach beim Internationalen Strafgerichtshof als Kriegsverbrechen angeprangert.
Schlagwörter:Gaza, Israel, Krieg, Kriegsberichterstattung, Nahostkonflikt, Palästina