Allianz gegen Desinformation

8. Februar 2018 • Digitales, Qualität & Ethik • von

Die Digitalisierung gefährdet die Werte der Aufklärung. Denn Autokraten und Populisten können dank Suchmaschinen und sozialen Netzwerken „alternative Fakten“ effizient verbreiten. Wissenschaftler und Journalisten sollten darum gemeinsam für die Aufklärung kämpfen.

Wissenschaft und Journalismus erbringen für die Demokratie und die Marktwirtschaft Leistungen, auf die man nicht verzichten kann, denn unser Gemeinwesen wird nur als „informierte Gesellschaft“ eine freiheitliche Gesellschaft bleiben. Sollten sich deshalb Journalisten und Wissenschaftler im Kampf um Wissenschafts- und Pressefreiheit sowie um eine zivilgesellschaftlich „verträgliche“ Meinungsfreiheit stärker gemeinsam engagieren? Könnten sie eine „Allianz für die Aufklärung“ schmieden, um gegen Fakes, Konspirationstheorien und Desinformation vorzugehen?

Walter Quattrociocchi, ein italienischer Spezialist bei der Erforschung von Echokammern, hält in Zeiten von Big Data mehr Zusammenarbeit von Wissenschaft und Journalismus für essenziell. Die Wissenschaftler müssten besser mit der Gesellschaft kommunizieren. Andererseits wären Journalisten besser auszubilden, eben um über „komplexe Phänomene wie Desinformation und ihre Folgen, aber auch über Ökonomie, Technologie und Gesundheit angemessen zu berichten“.

Feinde des Wissens

Der Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Peter Strohschneider, sagt, einer Phase der „Verwissenschaftlichung der Gesellschaft“ werde eine Phase der „Vergesellschaftung der Wissenschaften“ folgen. Die Wissenschaften hätten sich nicht nur differenziert und spezialisiert, sondern auch verselbständigt, doch „die Autonomietoleranz der Gesellschaft“ sinke. Ein Indiz dafür ist fraglos, wenn über demokratische Entscheide Politiker in Machtpositionen gelangen, die auf alternative Wahrheiten statt auf wissenschaftliche Erkenntnisse vertrauen und die, wie in den USA unter Donald Trump bereits geschehen, wichtigen Forschungszweigen den Geldhahn zudrehen – seien das nun die Geisteswissenschaften oder die Klimaforschung. Oder wenn solche Politiker, wie Viktor Orban in Ungarn, gleich ganze stiftungsfinanzierte Universitäten als unerwünscht deklarieren.

Das hat seither global zu einer Mobilisierung im Wissenschaftsbetrieb geführt, die viele noch vor kurzem für undenkbar gehalten hätten. In 400 Städten der Welt beteiligten sich im April 2017 Forscher und wissenschaftsaffine Gruppen am March for Science – fraglos mit Signalwirkung, deren Nachhaltigkeit allerdings noch nicht belegt ist. Besinnen sich Forscher tatsächlich darauf zurück, dass Wissenschaft nicht losgelöst von der Gesellschaft möglich ist, sondern nur eingebettet in sie? Die Steuerzahler finanzieren ja weitgehend die Grundlagenforschung. Sie haben deshalb ein Recht, zu erfahren, was mit ihrem Geld passiert. Dazu wiederum braucht es auskunftsbereite Wissenschaftler, aber auch kompetente und kritische Journalisten.

Die Ziele einer Allianz

Ziel einer Allianz für die Aufklärung sollten freilich nicht nur gemeinsame Anstrengungen beim Faktencheck und bei der Vermittlung von Wissenschaft an eine breitere Öffentlichkeit sein. Sie müsste möglichst auch auf mehr Quellenkritik, mehr Qualitätsbewusstsein im öffentlichen Diskurs, letztlich: auf besser informierte, mündigere Mediennutzer hinwirken.

Das hieße auch, sich auf beiden Seiten aktiv einzusetzen für

  • Wissenschafts-, Presse- und Meinungsfreiheit und in diesem Kontext auch für zivile Umgangsformen, sprich weniger Hass und Hetze, weniger fundamentalistische Besserwisserei und Glaubensbekenntnisse, aber oftmals auch weniger Political Correctness;
  • mehr Rückhalt und mehr Zahlungsbereitschaft für Wahrheitssuche und Aufklärung – also für einen Journalismus und für eine Wissenschaft, die sich ihrer gesellschaftlichen Verantwortung bewusst sind;
  • mehr Transparenz bei der Verwendung öffentlicher Gelder für Journalismus und für Wissenschaft, aber auch mehr Zurückhaltung bei der öffentlichen Finanzierung von Unterhaltungsangeboten, von PR und Propaganda;
  • mehr Bewusstsein, dass Gemeinsinn und Gemeinwohlorientierung anspruchsvolle Erziehungsaufgaben sind, denen sich vor allem Eltern sowie Schulen, Kirchen, Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände, Jugend- und Sportverbände zu stellen hätten – nicht zuletzt aber eben auch der Journalismus und die Wissenschaften;
  • den Service public als kulturelle Errungenschaft. Er müsste nicht nur in der öffentlichen Verwaltung und im öffentlichen Rundfunk, sondern generell im Journalismus und in der Wissenschaft wieder vermehrt gelebt und nicht nur in Sonntagsreden proklamiert werden. Solcher Dienst am Gemeinwohl schliesst im Übrigen auch ein: die Förderung von Eigeninitiative und Gründergeist sowie die sozial verantwortliche Entfaltung von Marktkräften und Wettbewerb.

Mehr Mut zum Querdenken

Auf Seriosität bedachte Journalisten und Wissenschaftler hätten letztlich mehr Mut zum Querdenken aufzubringen und sich gegen Herdentrieb und Groupthink in den jeweils eigenen Reihen zu behaupten. Im Kern ginge es darum, Anreizsysteme zu verändern, damit

  • Journalisten vermehrt auf wissenschaftliche Quellen zurückgreifen, statt Unsinn zu verbreiten, mit dem sie vielfach von dritter Seite gefüttert werden, und
  • Forscher vermehrt den Elfenbeinturm verlassen, um in den Medien mit ihrer fachlichen Kompetenz und ihrer verstärkten Präsenz der Desinformation entgegenzuwirken.

Gefordert wären hier Chefredaktionen, Leiter von Universitäten und Forschungsinstituten und – vor allem – die Forschungsförderungsinstanzen. Das Bündnis wäre auch ein Signal, über Alternativen zur Selbstzensur nachzudenken, wie sie das Netzwerkdurchsetzungsgesetz in Deutschland seit Jahresbeginn Plattformen wie Facebook und Twitter abverlangt. Zugleich ließe sich „Wahrheitsministerien“ entgegenwirken, die manche Kassandren bereits als Folge von Kampfansagen gegen Fake-News im Entstehen sehen.

Zwei gegenläufige Trends

Erheblichen Einfluss auf die Bereitschaft zum Engagement und die Ausprägung von Gemeinsinn dürften allerdings zwei gegenläufige Trends haben, die sowohl im Journalismus als auch in den Wissenschaften durchschlagen: Professionalisierung und Prekarisierung. Erstere ist über einige Jahrzehnte hinweg vorangekommen, wird aber durch Sparauflagen an den Universitäten und vor allem von der jüngsten ökonomischen Entwicklung in der Medienbranche ausgebremst. Aus dem Aufstiegstraum im Journalismus und im Wissenschaftsbetrieb ist vielfach Abstiegsgefährdung geworden.

All das dürfte zu jenem „emotionalen Klimawandel“ beitragen, den der österreichische Sozialforscher Georg Franck in anderem Kontext beschrieb: Man überlegt sich, wen man attackiert. Es gibt mehr Lobhudelei, weniger Widerrede als früher. Schon die Präsentationsformate auf den meisten wissenschaftlichen Konferenzen – zehn Minuten Vortrag, fünf Minuten Diskussion, der Nächste, bitte – machen konstruktive Kritik zur Ausnahme von der Regel.

Eigentlich gehören zu produktiver Forschung Differenzen, Diskurse und widersprüchliche Auffassungen, oftmals auch widersprüchliche Erkenntnisse – gerade das macht die Essenz wissenschaftlichen Arbeitens aus. „Normalmenschen“, darunter viele Journalisten, erwarten dagegen von Wissenschaft Eindeutigkeit. Solch widersprüchliche Erwartungen stehen einer Allianz von Forschern und Journalisten eher entgegen.

Wird dagegen Wissenschaft von Lobbygruppen für ihre jeweiligen Zwecke instrumentalisiert, gibt sie ihren Aufklärungsanspruch preis – und der Journalismus wäre gefordert, genau dies mit Unterstützung anderer Wissenschaftler aufzudecken. Vielen Journalisten geht es allerdings auf der Suche nach Experten nicht um Wahrheitsfindung, sondern oft nur darum, einen Forscher einzuspannen, dessen Aussage „passt“ und sich schon vorher abschätzen lässt. Umgekehrt überschreiten gerade medienerfahrene Wissenschaftler gerne leichtsinnig ihre Kompetenzgrenzen. Wenn sie so den Kredit der Wissenschaft in der Öffentlichkeit verspielen, schaden sie ihrer Scientific Community und stehen der angedachten Allianz im Wege. Insgesamt folgen indes viel zu wenige Wissenschaftler dem Beispiel des Philosophen Norbert Bolz, durch Medienpräsenz auf sich aufmerksam zu machen.

Das Risiko, Reputation zu verspielen, ist weiterhin gegeben – warum also im Bauch des vermeintlichen Ungeheuers heroisch den Kampf aufnehmen, wenn Forschungsförderungsinstitutionen Medienpräsenz bei der Mittelvergabe nicht explizit honorieren? Wie Franck erläutert, gelingt es Forschern nur selten, aus Prominenz Kapital zu schlagen – ganz anders etwa als Entertainern und Journalisten.

Profit für beide Seiten

Vieles könnte in der Wissenschaftskommunikation anders sein, wenn sich beide Seiten, Journalisten und Forscher, nur ein bisschen mehr anstrengten. Eigentlich geht es um die perfekte Win-win-Situation: Journalisten könnten bei ihren Recherchen, sofern sie dafür überhaupt noch Zeit haben, die nahezu unerschöpflichen, wenn auch nicht immer leicht zugänglichen Quellen des Wissenschaftsbetriebs vermehrt nutzen. Sie bekämen Information, die meist verlässlich ist, und neuen Stoff für Storys. Wissenschaftler hätten umgekehrt bereit zu sein, ihr Wissen mit Journalisten und der Öffentlichkeit zu teilen. Damit das geschieht, hätten sie auch vermehrt Redaktionen anzustupsen, die tagtäglich von allen anderen Seiten mit Medienmitteilungen geflutet werden. Käme es wenigstens punktuell zum Schulterschluss und ließen sich Netzwerke weiterentwickeln, in denen beide Seiten kooperieren, wären das Schritte in die richtige Richtung.

Erstveröffentlichung: Neue Zürcher Zeitung vom 3. Februar 2018

Bildquelle: Marco Verch/Flickr CC: Fake News; Lizenzbedingungen: https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/

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