Journalismus 2020 – was wird sich ändern?

26. April 2016 • Digitales, Qualität & Ethik • von

„Wie wird der Journalismus im Jahr 2020 aussehen?“ Das hat die „Deutsche Gesellschaft Qualitätsjournalismus“ handverlesene Experten gefragt und ihre Antworten in einem Buch festgehalten.  

question-mark-112390_1280Wenn es nach Miriam Meckel geht, ist der automatisierte Journalismus „the next big thing“. Die Chefredakteurin der Wirtschaftswoche, die zugleich Direktorin am Institut für Medien- und Kommunikationsmanagement der Universität St. Gallen ist, sieht im Einsatz von Algorithmen im Journalismus „ein erhebliches Rationalisierungs- und Einsparungspotenzial“ für Redaktionen, denn: „Algorithmen werden nicht krank, streiken nicht und wollen keine Gehaltserhöhung.“ Aber keine Panik – Meckel betrachtet Roboter nicht als Ersatz, sondern als sinnvolle und effiziente Ergänzung von Journalisten, vor allem im Nachrichtenjournalismus. Wenn Nachrichten von einer Software produziert würden, hätten Redaktionen mehr Geld für exklusive, aufwändig recherchierte und investigative Geschichten, schreibt sie.

Dass es auch im Jahr 2020 nicht ohne Journalisten geht, davon ist auch Laszlo Trankovits, ehemaliger Büroleiter und Korrespondent der Deutschen Presse-Agentur, überzeugt: „Die Medien und die professionellen Journalisten spielen eine Schlüsselrolle bei der Beobachtung historischer Ereignisse und der Beschreibung und Bewertung politischer und gesellschaftlicher Entwicklungen.“ Zwar signalisierten digitale Giganten wie Google und Facebook, dass ihnen die Zukunft gehöre, doch wenn es darum gehe, nützliche Antworten für die von Kriegen, Krisen und Gewalt gebeutelte Welt zu finden, könnten sie nicht mithalten und schrumpften zu Zwergen.

Aber was genau muss ein Journalist im Jahr 2020 denn können? Dieser Frage nahmen sich sieben Medienexperten in einem weiteren Beitrag an. „Es ist nicht das was, sondern das wie, das sich verändert“, betont Michael Haller, wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Praktische Journalismus- und Kommunikationsforschung in Leipzig. „Die Journalisten sollten transparenter, relevanter und im Dialog mit ihrem Publikum (Leser, User) ihre Funktion erfüllen.“ Haller zufolge sollten Journalisten das Informations- und Medienverhalten ihres Publikums genau analysieren, um zur richtigen Zeit die richtigen Kanäle bespielen zu können. Um nicht vom automatisierten Newsfeed verdrängt zu werden, müssten sie als Kommunikatoren „deutlich professioneller“ werden.

Am „klassischen journalistischen Handwerkszeug“, zu dem gründliche Recherche und eine professionelle, verständliche Aufbereitung der Inhalte gehöre, werde sich nichts ändern, bemerkt Nadja Stavenhagen, Geschäftsführerin und Direktorin der Akademie für Publizistik in Hamburg. Je nach Arbeitsfeld werde aber zudem technische Kenntnis beziehungsweise Umsetzungskompetenz gefragt sein. Sie schätzt, dass im Jahr 2020 viele journalistische Projekte in einem interdisziplinären Team entstehen werden, weshalb es wichtig sei, die Sprache von Screendesignern, Produktmanagern und Usability-Experten zu verstehen.

EJO-Direktor Stephan Russ-Mohl verweist in dem Beitrag auf die Neuauflage seines Lehr- und Handbuchs „Journalismus“ – nicht nur, um die Werbetrommel zu rühren, sondern auch, weil ihm die Arbeit daran, wie er sagt, bewusst mache, „wie unseriös Prognosen angesichts des Tempos wären, in dem sich Technologien und Mediennutzungsverhalten derzeit verändern“. Auf die Frage, was ein Journalist in der Zukunft können müsse, gebe es nur eine Antwort: „Weder ich noch sonst jemand weiß, was 2020 sein wird.“ Vor fünf Jahren habe, so Russ-Mohl, auch keiner ahnen können, welche Rolle heute Smartphones und soziale Netzwerke für den Journalismus spielen würden.

Olaf Jahn, Geschäftsführer der BJS Berliner Journalistenschule, zufolge wird 2020 und in den darauffolgenden Jahren der Journalist erfolgreich sein, der sich „sozial kompetent“ auf Facebook, Twitter und anderen sozialen Netzwerken bewege und wisse, „wie die Leser ticken“. Der Journalist der Zukunft bereite seine Beiträge in verschiedenen Formaten für unterschiedliche Verbreitungskanäle auf – und arbeite vermutlich frei. Somit sei er „eine Marke mit eigener Gemeinde und denkt unternehmerisch“.

Genau gegen diese Zukunftsvorstellung des „Selbstoptimierungsalleskönnercracks, der seine Inhalte auf zig Kanälen spielt“ spricht sich die freie Journalistin Silke Burmester in ihrem Beitrag aus. Mit sarkastischem Unterton erklärt sie, warum sie nie Unternehmerjournalistin sein werde. Burmester kritisiert, dass es nicht mehr ausreiche, das gut zu machen, was Journalisten können, nämlich journalistische Darstellungsformen wie zum Beispiel Interview, Reportage und Kommentar zu beherrschen. „Nein“, schreibt sie, „wir müssen so tun, als hätten wir elf andere Berufe auch noch gelernt. Den der Kamerafrau. Den der Cutterin. Der Toningenieurin. Der Fotografin. Der Grafikerin. Der Programmiererin. Der Webdesignerin. Der Moderatorin. Der Marketing-Expertin. Den der Social-Media-Managerin. Und den der Betriebswirtin – schließlich sollen ja auch die Zahlen stimmen.“ Den Unternehmerjournalisten bezeichnet Burmester als „omnipotenten Großkotzbrocken, der alles wuppt und alles kann.“

„Journalismus 2020“ ist spätestens seit Beginn des Jahrzehnts eines der Schlagwörter, wenn es um die Zukunft des Journalismus geht. Nur einige Beispiele: 2010 organisierte das Medienhaus Wien in Zusammenarbeit mit dem EJO und der Schweizer Journalistenschule MAZ die Konferenz „Journalism 2020“ und bat Journalisten, Wissenschaftler und Medienexperten aufs Podium, um über die Chancen und Aussichten des Journalismus der Zukunft zu diskutieren. 2011 führten der Berliner Think Tank „Stiftung neue Verantwortung“ und das Beratungsunternehmen IFOK die Umfrage „Journalismus 2020“ durch, mit der herausgefunden werden sollte, wie Journalisten in Deutschland den aktuellen Zustand und die Perspektiven ihrer Branche einschätzen. 2013 stieß Spiegel Online unter der Überschrift „2020 – Die Zeitungsdebatte“ eine Diskussion über die Zukunft des gedruckten Journalismus an.

Das Jahr 2020 rückt aber immer näher – in etwas mehr als drei Jahren und acht Monaten wird es erreicht sein. So stellt auch Andreas Schümchen, Professor für Journalistik und Direktor des Instituts für Medienentwicklung und -analyse der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg, in seinem Beitrag im Almanach der Deutschen Gesellschaft Qualitätsjournalismus treffend fest: „2020, das ist sehr bald.“ Und in knapp vier Jahren werden sich seiner Ansicht nach die Anforderungen an Journalisten nicht so sehr von den heutigen unterscheiden: Journalisten sollten ein „echtes Interesse daran haben, stellvertretend für ein Publikum etwas herauszufinden“, ihren Beruf als Dienstleistung betrachten und in der Lage sein, „fremde Menschen zu fragen und nicht nur im Internet nach Antworten zu suchen oder Pressemitteilungen unkritisch zu übernehmen“.

Der 82-seitige Almanach „Journalismus 2020. Die Macht der Medien von morgen“ der Deutschen Gesellschaft Qualitätsjournalismus kann gegen eine Schutzgebühr von 10 Euro unter [email protected] bestellt werden.

Bildquelle: pixabay.com

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