Kein Zweifel: das Machogehabe und die Selbststilisierung der Nationalparkbesetzer im US-Bundesstaat Oregon als wehrhafte Bürger bergen eine gefährliche Ideologie. Doch man sollte die Kirche im Dorf lassen, sagt Kommunikationswissenschaftler Thomas Schmidt.
Eine Gruppe bewaffneter Männer erobert ein Regierungsgebäude, verschanzt sich darin und erpresst die Regierung. Hört sich nach Terroristen an, oder? Immerhin kann ja nicht jeder daherkommen und so einfach das Gewaltmonopol des Gesetzes untergraben.
Aber wie verhält es sich, wenn es sich um einen legitimen Protest besorgter Bürger handelt, die zu Aktivisten werden, weil ihre Forderungen anderswie nicht gehört werden?
Im Fall jener bewaffneten Männer, die im US-Bundesstaat Oregon Verwaltungsgebäude eines Vogelschutzgebietes in Beschlag genommen haben, greifen beide Erklärungen zu kurz. Und die Medien tun sich schwer, die Komplexität der Sachlage darzulegen.
Noch einmal der Reihe nach. Als nach einer friedlichen Demonstration mehr als ein Dutzend bewaffnete Männer einen Gebäudekomplex in einem entlegenen Teil von Oregon einnehmen, sprechen erste Medienberichte von einer Bürgermiliz, einige auch von bewaffneten Besetzern. Daraufhin bricht in den sozialen Medien ein Shitstorm los. Die Medien würden die Gewalttätigkeit verharmlosen, heißt es. Kritisiert wird die Doppelbödigkeit mit der die Aggression von Weißen akzeptiert, gleichzeitig der Protest von Schwarzen gegen Polizeigewalt als illegitim denunziert wird.
Rassismus in den US-Medien ist sicherlich ein Thema. In diesem Fall verhält es sich aber anders. Das Problem, die Ereignisse einzuordnen, hat weniger mit Scheuklappen, dafür aber mehr mit den Herausforderungen einer unsicheren Nachrichtenlage in einem abgelegenen Gebiet zu tun, über dessen kulturellen Eigenarten nur wenig bekannt ist – sowohl innerhalb der USA, insbesondere aber in Europa.
Was sind die Besetzer? Militant. Ganz sicher. Aber Bürgerwehr? Höchstens selbsternannt. Zwar gibt es in Teilen des amerikanischen Westens organisierte Bürgermilizen. In diesem Fall hat sich allerdings eine Gruppe von Aktivisten aus dem benachbarten Nevada zum Sprachrohr aufgeschwungen. Nicht jeder dahergelaufene Brandredner ist schon ein Aufständischer. Auch die Einheimischen haben sich geschlossen gegen die ungebetene Unterstützung ausgesprochen. Die Behörden haben ebenfalls gut daran getan, die Lage zu deeskalieren. Immerhin gibt es hässliche Präzedenzfälle im benachbarten Idaho (Ruby Ridge) und in Texas (Waco), als in den 1990ern Konfrontationen zwischen rechten Extremisten und den Bundesbehörden tödlich endeten.
Kein Zweifel, das Macho-Gehabe und die Selbststilisierung der Besetzer als wehrhafte Bürger birgt eine gefährliche Ideologie. Doch man sollte die Kirche im Dorf lassen. Es handelt sich um eine Handvoll angeberischer Außenseiter, die nach Medienpräsenz gieren. Mehr Aufmerksamkeit würde nur in deren Hände spielen. Selbst die Idole der konservativen Rechten wie Präsidentschaftswerber Ted Cruz und der Fox-Moderator Sean Hannity fordern die Aktivisten auf, die Waffen niederzulegen. Die beste Strategie ist in diesem Fall vielleicht überhaupt die Ironie. In den sozialen Medien werden die Besetzer mittlerweile als bewaffnete Hinterwäldler verlacht.
Während es schon in den amerikanischen Medien ein paar Tage dauerte, bis die kulturellen Eigenarten des amerikanischen Westens und dessen historischer Kontext herausgearbeitet werden konnten, so finden sich in einigen deutschsprachigen Medien haarsträubende Missinterpretationen. Auf spiegel.de ist etwa zu lesen, dass die „Besetzung Amerikas Zeitgeist [entspricht] – einem regierungs- und gesetzesfeindlichen Rassismus, der im Vorwahlkampf und nicht zuletzt dank des polemischen Anti-Washington-Agitators Donald Trump plötzlich neue politische Legitimation gefunden zu haben glaubt.” Die Agitation im Wahlkampf ist definitiv beunruhigend. Mit der Situation in Oregon hat dies allerdings nichts tun. Dort handelt es sich um historische Konflikte zwischen Viehzüchtern und den Behörden, die von ein paar Pseudo-Cowboys für billige Zwecke instrumentalisiert wird.
Auch auf taz.de werden Klischees über den amerikanischen Westen so miteinander vermischt, dass der Eindruck entsteht, dort gäbe es eine Ansammlung an gesetzlosen und rassistischen Rebellen, die von den Medien verharmlost wird. Die „last frontier“ ist sicherlich ein prägendes Merkmal im kollektiven Bewusstsein (mitunter auch inklusive Rassismus), doch in diesem Fall greift die Beurteilung daneben. Die Lage ist schon allein deshalb komplizierter, weil Oregon nicht nur ländlich geprägt ist, sondern gleichzeitig auch über die liberale Hipster-Hochburg Portland verfügt.
Es ist wichtig und notwendig, die Dinge beim Namen zu nennen. Aber eine unsichere Nachrichtenlage sollte zur Vorsicht gemahnen. In der Nähe wie in der Ferne.
Erstveröffentlichung: derStandard.at vom 11. Januar 2016
Bildquelle: Wikimedia Commons
Schlagwörter:Ammon Bundy, Aufmerksamkeit, Medienpräsenz, Nationalpark-Besetzer, Oregon, USA