Die Renaissance des Medienvertrauens bleibt aus

22. Juni 2022 • Aktuelle Beiträge, Digitales • von

Das Reuters Institute an der Universität Oxford hat seinen Digital News Report für das Jahr 2022 veröffentlicht. Der Bericht beinhaltet wichtige neue Zahlen zu Medienvertrauen und Nachrichteninteresse.

Für eine nicht zu unterschätzende Zahl von Menschen sind Nachrichten nur noch eines: ein Labyrinth. Sie haben zwar den Zugang gefunden, doch im Wirrwarr der Informationen fühlen sie sich verloren und frustriert.

Nach dem „Corona-Hügel“ geht es mit dem Medienvertrauen scheinbar wieder bergab. Immer mehr Menschen vermeiden es aktiv, Nachrichten zu konsumieren. Schwindet das Interesse an Qualitätsjournalismus? Das wäre fatal, gerade in Zeiten von Covid-19 und dem Ukraine-Krieg.

Wissenschaftler des Reuters Institute haben die Mediennutzung und die Einstellungen gegenüber Medien in 46 Märkten weltweit analysiert. Sie kommen zu dem Schluss, dass das Verhältnis zwischen Journalismus und der Öffentlichkeit immer brüchiger wird. Zwar hat das Medienvertrauen durch die pandemiegetriebene Nachfrage nach Informationen im vergangenen Jahr noch einen Anstieg erlebt, im Kontext der aktuellen Entwicklungen sei dieser „Covid-19-Optimismus“ des vergangenen Jahres jedoch weniger als „nachhaltiges Wiederaufleben“ und vielmehr als „kurzzeitige Erholung“ zu verstehen. Diese Beobachtung nennen die Forscher den corona bump („Corona-Hügel“). Er lässt sich unter anderem in Finnland, Deutschland, Frankreich, im Vereinigten Königreich (UK) und in den USA nachweisen, wobei in allen Ländern außer den USA das Vertrauen in Medien noch auf einem vorpandemischen Niveau liegt und in Finnland sogar angestiegen ist, wenn auch ein wenig schwächer als noch im Jahr zuvor.

„In fast der Hälfte der untersuchten Länder hat das Nachrichtenvertrauen abgenommen; in nur sieben Ländern ist es angestiegen“, schreiben die Autoren. In der Summe macht diese Entwicklung die Zuwächse beim Medienvertrauen während der Covid-19-Pandemie wieder zunichte. Finnland verzeichnet mit 69 Prozent das höchste Vertrauensniveau, während die USA mit 26 Prozent am schlechtesten abschneiden.

Wenig Vertrauen in UK und den USA

Die Untersuchungen aus Oxford zeigen auch, dass Medienvertrauen und Nachrichteninteresse zwei Seiten einer Medaille sind: Dort, wo die Menschen ein stärkeres Vertrauen in die Medien haben, ist auch ihr Interesse an deren Inhalten größer und die Vermeidungshaltung geringer. Letztere lässt sich wiederum verstärkt in Ländern mit vergleichsweise geringem Medienvertrauen feststellen, wie beispielsweise in den USA, der Slowakei, im Vereinigten Königreich oder in Frankreich. Interessant ist hier die Kontextualisierung, die die Forscher bereits in ihrem Bericht aus dem Jahr 2020 für die USA und das Vereinigte Königreich angewandt haben. In den USA stieg das Medienvertrauen im politisch linken Lager mit der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten im Jahr 2016 an und nahm mit Beginn der neuen Wahlperiode im Jahr 2019 wieder ab. Im politisch rechten Lager zeigte sich diese Entwicklung in umgekehrter Form. Im Vereinigten Königreich hingegen nahm das Vertrauen in Medien in beiden politischen Lagern mit der Brexit-Abstimmung 2016 ab, befand sich seitdem im Tiefflug – besonders stark nach der Unterhauswahl 2019 – und erlebte dann kurzzeitig den corona bump, der in diesem Jahr allerdings wieder von 36 Prozent auf 34 Prozent abflachte.

Ein Drittel der Deutschen meidet Nachrichten

Die Befragungen für den diesjährigen Digital News Report wurden im frühen Februar durchgeführt. Aufgrund des russischen Angriffs auf die Ukraine haben sich die Forscher dazu entschieden, eine erneute Befragung im April durchzuführen, allerdings nur in fünf ausgewählten Ländern: Brasilien, Polen, Deutschland, den USA und dem Vereinigten Königreich. Überraschenderweise ist in der kurzen Zeit vor und nach Beginn des Krieges der Anteil jener Befragten, die angeben, Nachrichtenkonsum manchmal oder oft aktiv zu vermeiden, angestiegen. Am stärksten zeigt sich diese Entwicklung in Deutschland (Anstieg von 29 Prozent auf 36 Prozent) und Polen (Anstieg von 41 Prozent auf 47 Prozent), obwohl diese Länder „direkt vom Konflikt betroffen sind“, so die Autoren. Gleichzeitig gibt jedoch fast die Hälfte (49 Prozent) der Befragten in Deutschland an, den Konflikt sehr aufmerksam oder extrem aufmerksam zu verfolgen.

Der Digital News Report 2022 ist hier abrufbar.

Beitragsbild: Susan Q Yin/unsplash.com

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