Die bunten grauen Eminenzen

21. Juni 2017 • Qualität & Ethik • von

Wer die großen Schweizer Medienunternehmen wissenschaftlich berät, und wo im Journalismus die Personalisierung endet.

Die Wissenschaftlerin Jutta Allmendinger ist kürzlich ins Herausgeber-Gremium der Zeit berufen worden.

Nichts ist so spannend wie Personalia – und vor allem der Boulevardjournalismus lebt von Personalisierung. Wir alle erinnern uns an Doris Leuthard, die sich auf Staatsbesuchen nicht verschleiern möchte, an Angela Merkels Cabrio- Frisur, an Silvio Berlusconis Versuche, mit einer Haartransplantation auf seiner Glatze wieder Löckchen zu drehen oder als bereits über 70-Jähriger, gestützt auf die Aussage einer Prostituierten, ganz Italien seine fortdauernde Potenz „unter Beweis“ zu stellen. Auch Trumps irgendwie geniale Tweets, mit denen er täglich neu der Welt seine selbstverliebte Arroganz und seine hoffnungslose Ignoranz demonstriert, sorgen – für PR-Strategen berechenbar –  für journalistische Beachtung und weltweite öffentliche Aufmerksamkeit.

Es gibt allerdings Ausnahmen: Von den mächtigsten Hierarchen in der Medienbranche erfahren wir erstaunlich wenig – es sei denn, sie legen es selbst, wie Berlusconi oder in der Schweiz Roger Köppel, darauf an, im Rampenlicht zu stehen. Und auch Spitzenforscher kennt so gut wie kein Journalist. Jedes Jahr beginnt bei der Verleihung der Nobel-Preise in den Redaktionen das gleiche Spiel: Man sucht hektisch (und findet mit etwas Glück bei Wikipedia…) das Nötige, um den Zweispalter über den neuen Preisträger aus der Chemie, der Physik oder den Wirtschaftswissenschaften schreiben zu können.

Deshalb sei hier auf ein paar Personalia aus der Medienbranche und aus dem Wissenschaftsbetrieb noch einmal aufmerksam gemacht, die irgendwie sensationell sind und trotzdem noch nicht einmal branchenintern so richtig Wellen geschlagen haben. Mit Lucy Küng (University of Oslo) und mit Jutta Allmendinger (WZB Berlin) wurden jüngst gleich zwei Wissenschaftlerinnen in Spitzenfunktionen des Medienbetriebs berufen: Küng ist jetzt neu bei der NZZ-Gruppe im Verwaltungsrat und übt damit ein Doppelmandat aus, das nicht ganz frei von Interessenskonflikten sein dürfte, weil sie auch bei der SRG im Aufsichtsgremium amtet.* Und Allmendinger ist ins Herausgeber-Gremium der Zeit berufen worden. Sie ersetzt dort zusammen mit vier weiteren neuen Aufpassern den verstorbenen deutschen Bundeskanzler Helmut Schmidt. Dass sich die Zahl der Herausgeber so inflationär vermehrt hat, lässt sich allerdings vielleicht auch als Strategie des „Divide et impera“ von Chefredakteur Giovanni di Lorenzo sehen. Mit insgesamt fünf Herausgebern (Josef Joffe macht weiter), schmückt sich sein Flaggschiff der deutschen Wochenzeitungen jetzt und macht es ihm obendrein leichter, selbst nach eigenem Gusto zu schalten und zu walten, als wenn er sich mit nur einem oder zwei Herausgebern die Macht teilen müsste.

Die Schweizer Top-Medienunternehmen sind übrigens den deutschen und österreichischen in diesem Punkt voraus: Die großen vier haben sich mit Emily Bell (tamedia), Felix Oberholzer-Gee (Ringier) und eben Lucy Küng (NZZ und SRG) allesamt medienökonomische Fachkompetenz in ihre Aufsichtsgremien geholt. Was die Schweizer Unis in diesem Feld an wissenschaftlicher Expertise akquiriert haben, war den Medienunternehmen aber offenbar nicht praxisnah und prestigeträchtig genug. Denn alle drei Verwaltungsräte haben ihre wissenschaftlichen Karrieren im Ausland hingelegt. Küng und Oberholzer-Gee, der in Harvard lehrt, haben immerhin Schweizer Wurzeln. Aber so gut wie niemand in der Schweiz kennt die drei einflussreichen Berater der hiesigen Medien. Fraglos ist die Welt der grauen Eminenzen im Medienbetrieb damit auch etwas bunter geworden.

Um das Stichwort „Personalia in der Medienbranche“ noch von einer ganz anderen Seite auszuleuchten: Spannend war einmal mehr, wie Medienjournalismus in der Schweiz funktioniert, oder auch nicht. Ein Portrait, das im Tages-Anzeiger über den NZZ-Chefredaktor Eric Gujer erscheinen sollte, hat dessen Chefredaktoren-Kollege Artur Rutishauser nach Intervention von Gujer zurückgezogen. Autor Thomas Widmer beschrieb darin Gujer als „kalt“ und „unnahbar“, als „Machtmensch“. Das balancierte Widmer allerdings aus, indem er ihn auch als „brillant“, „im Gespräch locker“ und „pointiert“ würdigte. Ein cleverer PR-Berater hätte Gujer vermutlich empfohlen, die Geschichte „laufen“ zu lassen. Gujers Intervention hat indes zuverlässig dafür gesorgt, dass jetzt über die sozialen Netzwerke jeder in der Branche weiß, was für ein „kalter“, „unnahbarer“ und „brillanter“ Machtmensch er ist.

*Corrigendum: Lucy Küng hat ihr Mandat im Aufsichtsgremium der SRG im April 2017 niedergelegt.

Erstveröffentlichung: Schweizer Journalist Nr. 6+7/2017

Bildquelle: Wikimedia Commons

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