Sowohl die Medien als auch die Plattformen der sozialen Medien gelten heute als wichtige Informationsquellen in Ernährungsfragen, weshalb die Informationsqualität ihrer Inhalte zum Thema Ernährung Gegenstand eines zuverlässigen Monitorings sein sollte.
Als menschliches Grundbedürfnis ist Ernährung unverzichtbar, eine falsche Ernährung hingegen sorgt für individuelles Leid und gesellschaftliche Lasten: Die gesundheitlichen Folgen alleine der Tatsache, dass die Deutschen zu viel Zucker, Salz und gesättigte Fette essen, verursachen im Gesundheitssystem jährlich Kosten von mehr als 16,8 Milliarden Euro (so eine Studie der Universität Halle-Wittenberg von 2015). Der Konsum dieser drei Stoffgruppen liegt oft deutlich über den offiziellen Verzehrsempfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung. Von 22 untersuchten Krankheitsbildern rufen Schädigungen des Herz-Kreislauf-Systems, Karies, Stoffwechselstörungen wie Diabetes und Übergewicht sowie diverse Krebserkrankungen die größten Kosten im Gesundheitssystem hervor. Indirekte Kosten, bedingt durch Arbeitsausfall, Kurbehandlungen und Invalidität, sind in diesen Schätzungen noch nicht berücksichtigt.
Beispiel Adipositas: Laut der „Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland“ (ebenfalls 2015) des Robert-Koch-Instituts (RKI) hat sich der Anteil Übergewichtiger auf hohem Niveau eingependelt (67 Prozent der Männer, 53 Prozent der Frauen), und der Anteil der krankhaft Fettleibigen ist seit 1998 vor allem unter den jungen Erwachsenen „besorgniserregend“ gestiegen. Nach Berechnungen des Instituts für Gesundheitsökonomik in München kosteten Übergewichtige das Gesundheitssystem seit 2010 mindestens 17 Milliarden Euro im Jahr; für 2020 prognostizierte die Deutsche Adipositas Gesellschaft (aufgrund von Schätzungen der WHO) durch die Krankheit hervorgerufene Ausgaben von mindestens 25,7 Milliarden Euro.
Die enormen gesellschaftlichen Belastungen aufgrund der direkten Behandlungskosten und der indirekten volkswirtschaftlichen Verluste durch krankheitsbedingte Ausfälle sind ebenso allseits bekannt wie die so genannten intangiblen Kosten für die Betroffenen: persönliche Einschränkungen durch Schmerz, Depressionen, Behandlungsaufwand oder allgemein den Verlust an individueller Lebensqualität. Und obwohl solche Folgen durch eine gesunderhaltende Ernährung des oder der Einzelnen vergleichsweise einfach reduziert werden könnten, zeigte zuletzt auch die Nationale Verzehrsstudie (NVS) II zu den Ernährungsgewohnheiten der Deutschen, dass gerade Fleisch, Wurstwaren und Fleischerzeugnisse (insbesondere von Männern) im Überfluss konsumiert werden, während z. B. pflanzliche Lebensmittel, insbesondere Gemüse, sowohl bei Männern als auch bei Frauen in geringerer Menge verzehrt werden als empfohlen.
Repräsentative Bevölkerungsumfragen belegen gleichzeitig regelmäßig ein hohes Bewusstsein der Befragten hinsichtlich der Bedeutung von Ernährung für die Gesundheit (s. z.B. Abb. 1), weisen aber ebenso auf ein lückenhaftes Wissen über den Zusammenhang zwischen Ernährung und Gesundheit sowie über die Grundlagen der Ernährung hin. Da gezielte Informationskampagnen von Institutionen und Ministerien immer nur einen Bruchteil der Bevölkerung erreichen, stellt sich die gesellschaftspolitisch bedeutsame Frage, wie es um die Informationsqualität in Deutschland hinsichtlich einer gesunderhaltenden Ernährung bestellt ist. Schließlich belegen Studien, dass die Umsetzung eines vorteilhaften Ernährungsverhaltens unter anderem auf dem Wissen über Vor- und Nachteile der einzelnen Nahrungsmittel aufbaut. Gerade die deutschen Massenmedien – und in jüngerer Zeit auch die Plattformen der Sozialen Medien – gelten heute als wichtige Informationsquellen auch in Ernährungsfragen, weshalb die Informationsqualität ihrer Inhalte zum Thema Ernährung Gegenstand eines zuverlässigen Monitorings sein sollte.
Einen ersten Schritt in Richtung eines solchen Monitorings unternahm das Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft (BMVEL) schon in den Jahren 2001-2003, als es das Kooperationsprojekt „Ernährung im Fernsehen“ der Universität Erfurt, Empirische Kommunikationsforschung und des Instituts für Ernährungsökonomie und -soziologie (IÖS) an der Bundesforschungsanstalt für Ernährung und Lebensmittel (Karlsruhe) förderte. Wichtige Ergebnisse wurden in einem eigenen Kapitel des Ernährungsberichts 2004 des BMVEL dargestellt und in der Öffentlichkeit breit diskutiert; seitdem wurde diese Erhebung nicht fortgeschrieben.
Ein zentrales Ergebnis lautete, dass in der Ganztags-Stichprobe der acht wichtigsten Vollprogramme rund zwei Drittel (65,5 %) der Programmelemente ernährungsrelevante Inhalte zeigten, in insgesamt 19.556 ernährungsrelevanten Prozessen. Das bedeutet, in jeder beliebigen Sendestunde tauchten knapp neun Filmszenen, Werbespots oder non-fiktionale Abschnitte auf, die sich um Ernährung drehen und in denen rund 19 Mal gegessen, getrunken, eingekauft und zubereitet wird oder in denen Inhalte vom Acker bis zur Ladentheke vorkommen.
Insgesamt vermittelt das Fernsehen aber ein alarmierend schlechtes Bild der „Fernseh-Ernährung“, das kaum die Ernährungsempfehlungen der DGE widerspiegelt: Gerade das zu häufige Vorkommen von Süßem, fetten Snacks (24,6 %) und Alkohol (16 %) ist vor dem Hintergrund möglicher Wirkungen auf die Zuschauer äußerst bedenklich – ausgerechnet die Gruppen von Lebensmitteln werden am häufigsten dargestellt, die eigentlich gar keinen Anteil am Speiseplan haben sollten. Auch Fleisch, Fisch, Wurst und Eier (12,8 %) werden häufiger gezeigt als es ihrem Prozentwert im Ernährungskreis (7 %) entsprechen würde. Deutlich unterrepräsentiert sind hingegen die Gruppen, die laut DGE-Empfehlungen den größten Anteil am Verzehr haben sollten: Brot, Getreide und Beilagen (13,4 % – empfohlen wird ein Anteil von 30 %), Gemüse (11,1 vs. 26 %), Milch und Milchprodukte (12,3 % vs. 18 %) sowie Obst (7,5 % vs. 17 %). Auch entfallen 43,1 % der dargestellten Getränke auf Kaffee, Tee und Limonade, die sich zur Flüssigkeitsaufnahme im Rahmen einer gesunderhaltenden Ernährung nur bedingt eignen und deswegen einen geringeren Anteil an der täglichen Flüssigkeitszufuhr haben sollten.
Die Informationslage im Jahr 2020 ähnelt einerseits in mancherlei Hinsicht den Verhältnissen von 2003: Im Nachrichtenbereich dominieren Skandale die Berichterstattung über Ernährung; etwa die im Zuge der Corona-Krise thematisierten Zustände in deutschen Schlachtbetrieben, gepaart mit der Forderung nach Mindestpreisen für bestimmte Gruppen von Nahrungsmitteln. Im Unterhaltungssektor erfreuen sich Koch-Shows (z.B. Das perfekte Dinner) ungebrochener Beliebtheit, und im Reality-TV von Promi Big-Brother bis zum Dschungelcamp dreht sich vieles um die Frage, was es zum Essen gibt. Gleichzeitig haben sich aber die gesellschaftlichen und medialen Rahmenbedingungen erheblich verändert – permanent wird für Diäten geworben, vegetarische und vegane Lebensweisen sind inzwischen üblich, und in den Sozialen Medien scharen Food-Blogger und -Podcaster viele Anhänger um sich; ganz zu schweigen von dem Trend unter vielen Online-Nutzern, ihre Mahlzeiten auf Instagram zu dokumentieren und zu präsentieren. Dies wirft die Frage nach der auf Ernährung bezogenen Informationsqualität in der deutschen Medienöffentlichkeit aufs Neue auf.
Schlussfolgerungen
Zur Verbesserung der Ernährungssituation und damit auch der gesundheitlichen Gesamtlage in Deutschland wurden 2003 eine Reihe von Empfehlungen gegeben, um die Ernährungsaufklärung der Bevölkerung zu verbessern: von einer intensiveren Öffentlichkeitsarbeit mit Experten über eine gezielte Platzierung von Themen in den öffentlich-rechtlichen Senden und den Unterhaltungsformaten der privaten Programme bis zur Ansprache bestimmter Zielgruppen (z. B. durch die Gewinnung ‚Cooler Typen‘ als Vorbilder) und schließlich der Etablierung eines „7. Sinns“ für Fragen rund um das Essen und Trinken.
Nun, nachdem 20 Jahre vergangen sind, hat sich die Ernährungssituation, der allgemeinen Wahrnehmung zufolge, nicht spürbar verbessert. Es bietet sich daher an, das Konzept der ursprünglichen Erhebung erneut aufzugreifen und mit Blick auf die gegenwärtigen medialen und gesellschaftlichen Bedingungen fortzuschreiben. Ziel sollte sein, die Informationsqualität zu Ernährungsthemen auch jenseits des Fernsehen künftig kontinuierlich zu erheben, um regelmäßig den Stand verfügbarer Informationen in der Öffentlichkeit einschätzen zu können. Darüber hinaus könnten systematische Erkenntnisse zu den Food-Trends insbesondere in den Sozialen Medien helfen, eventuell drohende Fehlernährung frühzeitig zu erkennen. Dies würde bundeseigene Einrichtungen zu einer gezielteren Kommunikationsstrategie befähigen.
Für ein solches Monitoring sollte eine mehrstufige Analysestrategie zum Einsatz kommen, die als Stichprobe neben dem Fernsehen auch die Berichterstattung in Tageszeitungen und informationsorientierten Wochenzeitschriften einschließt; außerdem natürlich eine Auswahl aus den vielfältigen Darbietungsformen von Ernährung auf den verschiedenen Plattformen im Internet (Websites klassischer Massenmedien, YouTube etc.) und in den Sozialen Medien (Instagram, Twitter, Facebook etc.).
Unabhängig von der Art der Veröffentlichung muss die Untersuchung dieses Materials vier ineinander verschachtelte Ebenen für Texte und Bilder berücksichtigen, die als einzelne Analyseeinheiten zu betrachten sind (Abb. 4; analog auf die jeweiligen Medien anzuwenden): Neben (a) den medialen Darbietungsformaten, d.h. jeder Sendung, jeder Zeitungsausgabe oder jedem Podcast im Sample werden (b) alle ernährungsrelevanten Beiträge oder Artikel, (c) alle ernährungsrelevanten Sinneinheiten innerhalb dieser Beiträge und Artikel sowie (d) alle ernährungsrelevanten Prozesse einer detaillierten Analyse unterzogen. Als Prozesse sind die verschiedenen Stadien der Nahrungskette (Produktion, Verarbeitung, Vermarktung, Einkauf, Zubereitung, Verzehr oder Nachbereitung) sowie die reine Darbietung von Ernährung, z.B. in Form einer Obstschale im Vordergrund (= Präsentation) zu erheben, die sich innerhalb einer ernährungsrelevanten Sinneinheit feststellen lassen.
Weiterführe Untersuchungen belegen, dass das individuelle Ernährungsverhalten auf einem komplexen Zusammenspiel von Faktoren beruht und nur unter erheblichem Aufwand verändert werden kann. Gleichwohl stellt in Kommunikationsstrategien die informations- und faktenbasierte Ernährungsaufklärung einen Grundpfeiler dar, weshalb detailliertes Wissen über die öffentliche Verbreitung von Ernährungsinformationen in den unterschiedlichen Medien einen wichtigen Baustein für das Handeln von Legislative und Exekutive in unserem demokratischen Gemeinwesen bilden muss. Zwei Jahrzehnte nach der Erfurter Pionierstudie bleibt die kontinuierliche Erhebung der Qualität dieser medialen Informationen aber immer noch ein Desiderat.
Dieser Beitrag wurde zuerst im „Bericht zur Lage der Informations-Qualität in Deutschland“, herausgegeben von Roland Schatz (Media Tenor), veröffentlicht.
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Schlagwörter:Berichterstattung, Deutsche Gesellschaft für Ernährung, Ernährung, Gesundheit