Studien zeigen, dass die Berichterstattung über den Klimawandel, Pestizide, die Verbreitung von SARS-CoV2 und anderen wissenschaftlichen Themen einige Defizite aufweist, die eine Politisierung von Wissenschaft und eine Polarisierung gesellschaftlicher Auseinandersetzungen verstärken dürften.
Zahlreiche gesellschaftliche Debatten berühren wissenschaftliche oder technologische Sachfragen. Debatten um die Energiewende werfen Fragen nach der Effizienz, den Chancen und Risiken von Energiequellen auf, Debatten um den Klimaschutz, Fragen nach den Ursachen und Folgen des Klimawandels, Debatten um den Umgang mit SARS-CoV2 Fragen nach der Ausbreitung des Virus, nach den ökonomischen und sozialen Folgen politischer Maßnahmen u.v.a.m.
Damit sich gesellschaftliche Mehrheiten für oder gegen bestimmte Maßnahmen zur Bewältigung gesellschaftlicher Probleme sachlich begründet bilden können, müssen die Menschen sachgerecht informiert werden. Dies ist in öffentlichen Auseinandersetzungen um Umwelt, Technologie und Wissenschaft häufig nicht der Fall. Viele Menschen kommen mit wissenschaftlichen Aussagen in politisierten Kontexten in Berührung. In solchen Auseinandersetzungen werden wissenschaftliche Erkenntnisse nicht nur nach wissenschaftlichen Kriterien beurteilt – also danach, inwieweit sie unser wissenschaftliches Wissen voranbringen – sondern bspw. auch danach, inwiefern sie politisch erwünschte oder unerwünschte Folgen haben können (Pielke 2004; Post 2016; Post & Ramirez 2018; Sarewitz 2004; Scheufele 2014).
Politisierte gesellschaftliche Debatten um Umwelt, Technologien und Wissenschaft können komplexe und folgenreiche Dynamiken entfalten. Zum Beispiel können sie den Umgang der Menschen mit wissenschaftlicher Erkenntnis beeinflussen. So halten viele Menschen Wissenschaft dann für glaubwürdig, wenn sie sich politisch von ihr bestätigt fühlen und dann für unglaubwürdig, wenn sie sich von ihr politisch in Frage gestellt sehen (Kahan 2012). Verkürzte, emotionalisierte Botschaften über wissenschaftliche Sachverhalte („Bienensterben“, „Ackergifte“, „Klimakiller“) können zudem Wissensillusionen begünstigen – hohe Diskrepanzen zwischen dem subjektiven Informiertheitsgefühl von Personen und ihrem objektiv gemessenen Wissensstand (Fernbach et al. 2019). Dies könnte die Verbreitung von Desinformation fördern und eine Polarisierung gesellschaftlicher Auseinandersetzungen vorantreiben, weil sich Personen mit starken Wissensillusionen stärker in gesellschaftliche Debatten einmischen als Personen mit einem hohen objektiv gemessenen Wissen (Schäfer 2012; Donsbach & Mothes 2013).
Politisierung und Polarisierung
Diesen Entwicklungen könnte ein an Sachkriterien orientierter, um Objektivität bemühter, präziser und differenzierender Journalismus entgegenwirken. Zahlreiche Untersuchungen zeigen aber, dass die Berichterstattung über Umwelt, Technologie und Wissenschaft einige Defizite aufweist, die eine Politisierung von Wissenschaft und eine Polarisierung gesellschaftlicher Auseinandersetzungen verstärken dürften. Journalisten berichten häufig emotionalisiert und sensationalistisch über politische Sachfragen (Humprecht & Udris 2019). Dies kann Konflikte um Umwelt, Technologie und Wissenschaft anheizen (Post & Schmidt, in Vorbereitung). Auch die journalistische Nachrichtenauswahl und der Umgang von Journalisten mit ihren Quellen dürften zu einer Politisierung von Wissenschaft in gesellschaftlichen Auseinandersetzungen beitragen.
Studien zur journalistischen Nachrichtenauswahl zeigen, dass Journalisten Informationen aus der Wissenschaft häufig nicht sachorientiert, sondern nach politischen Gesichtspunkten auswählen. So hielten Journalisten Informationen über Gentechnik oder die Kernenergie dann für objektiv und publikationswürdig, wenn sie ihre eigenen politischen Vorlieben bestätigten (Mothes 2017; Kepplinger & Lemke 2016).
Problematisch kann auch der Umgang von Journalisten mit ihren Quellen sein. Journalisten lassen in ihren Berichten häufig konträre Positionen zu Wort kommen, weil sie den Konfliktgehalt ihrer Beiträge erhöhen wollen (Humprecht & Udris 2019) oder weil sie sich um Ausgewogenheit bemühen. In der Wissenschaftsberichterstattung kann das problematische Folgen haben: Durch die Gegenüberstellung von Konfliktgegnern kann es zum Phänomen der „False Balance“ kommen, nämlich dann, wenn in Medienberichten Wissenschaftsleugner die Aussagen etablierter Wissenschaftler ohne Sachgrundlage in Frage stellen (Boykoff & Boykoff 2004). Durch die „falsche Ausgewogenheit“ in der Wissenschaftsberichterstattung kann es zu starken Diskrepanzen zwischen der in der Wissenschaftsberichterstattung dargestellten Expertenmeinung und dem tatsächlichen wissenschaftlichen Sachstand kommen (Stocking & Holstein 2009). So erhalten Mediennutzer den falschen Eindruck, dass unumstrittene, etablierte wissenschaftliche Fakten wissenschaftsintern hoch umstritten seien. In den USA wurde eine falsche Ausgewogenheit vor allem in der Klimaberichterstattung belegt (Boykoff & Boykoff 2004). Im deutschsprachigen Raum könnte sie in Debatten um die grüne Gentechnik, neue Züchtungstechnologien oder Tierversuche eine Rolle spielen. Hierzu gibt es allerdings keine aktuellen empirischen Erhebungen.
Darstellungen wissenschaftlicher Informationen
Weitere Defizite der Wissenschaftsberichterstattung bestehen in Gestalt unpräziser Darstellungen wissenschaftlicher Erkenntnis oder wissenschaftlicher Konstrukte. So vernachlässigen Journalisten häufig wissenschaftliche Ungewissheiten und Wissenslücken, die zur spezifischen Lesart wissenschaftlicher Erkenntnis dazugehören (Post 2013). Eine Befragung der deutschen Klimaforscher aus dem Jahr 2015 zeigte, dass vor allem jene Minderheiten der Klimaforscher häufig in Kontakt mit Journalisten waren, die in ungewöhnlich hohem Maße von der Verlässlichkeit der Klimamodelle oder der Verfügbarkeit bzw. Genauigkeit empirischer Messdaten überzeugt waren. Dagegen war die Mehrheit der Klimaforscher, die noch Verbesserungsbedarf bei den Klimamodellen sahen, deutlich seltener in Kontakt mit Journalisten (Post 2019). Dass Journalisten wissenschaftliche Ungewissheiten vernachlässigen, zeigte auch eine Inhaltsanalyse der Berichterstattung über den fünften Sachstandsbericht des Weltklimarats (Haßler et a. 2016, Schaubild 1). Die Autoren identifizierten alle Referenzen auf den Sachstandsbericht in deutschen Leitmedien und verglichen sie mit den Originalaussagen im IPCC-Bericht. Demnach gaben Journalisten nur ca. ein Drittel (37%) aller Aussagen, die im IPCC-Bericht als mehr oder weniger ungewiss gekennzeichnet waren, mit der korrekten Ungewissheit wieder. In 43% der Fälle wurde die Ungewissheit der Aussagen im IPCC-Bericht in der Berichterstattung nicht erwähnt, in 17% der Fälle wurde eine bestehende Ungewissheit beschwichtigt (Abbildung 1).
Ein weiteres Problem der Berichterstattung über wissenschaftliche Sachverhalte ist der journalistische Umgang mit Zahlen, Statistik oder mit präzise definierten mathematisch-wissenschaftlichen Konstrukten wie „Risiko“, „vorzeitige Todesfälle“ oder „Unfalltote“. Eine Fallstudie über die Berichterstattung über die Nebenwirkungen des Blutfettsenkers Lipobay verdeutlicht die Tragweite des Problems. Anlass der Studie waren einige Todesfälle, zu denen es aufgrund der Einnahme des Medikaments zu Beginn der Jahrhundertwende gekommen war (Kepplinger & Klimpe 2017). Leitfrage der Untersuchung war, welche Informationen Leser erhalten müssen, um das Einnahmerisiko von Patienten einschätzen zu können. Auf der Grundlage theoretisch-mathematischer Überlegungen unterschieden die Autoren fünf Qualitätsniveaus der Berichterstattung (vgl. Abbildung 2) und bestimmten anhand dieses Kriterienkatalogs anschließend die Qualität der Berichterstattung über Lipobay in meinungsführenden Qualitätszeitungen in Deutschland und den USA.
Die Studie zeigt, dass die weitaus meisten deutschen Beiträge über Lipobay keine Informa-tionen enthielten, die für eine ausreichende Risikoabschätzung notwendig gewesen wären. Drei Viertel (77%) der Beiträge über Lipobay nannten lediglich die zentralen Begriffe und gaben einen allgemeinen Hinweis auf die Existenz eines tödlichen Risikos. Ein Fünftel der Berichte (18%) gab zusätzlich die Anzahl der Todesfälle an. Nur ein verschwindend geringer Anteil der Berichte (5%) nannte die für eine angemessene Risikoabschätzung notwendige Gesamtzahl der Patienten, die das Medikament eingenommen hatten.
Noch weniger Beiträge gaben weiterführende Informationen, zum Beispiel darüber, ob es bei den Todesfällen eine Überdosierung oder Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten gegeben hatte.
Messung der Qualität der Berichterstattung
Die Qualität öffentlicher Kommunikationsinhalte über Wissenschaft wird seit einigen Jahren kontrovers diskutiert, zum Beispiel in Diskussionen um irreführende oder gefälschte Meldungen („Fake News“), Verschwörungstheorien oder Desinformation (Scheufele & Krause 2019). Solche Debatten spielen vor allem in öffentlich politisierten Auseinandersetzungen um Umwelt, Technologien und Wissenschaft eine Rolle – in Debatten um Klimawandel, Gentechnik, erneuerbare Energien, SARS-CoV2 usw. (Iyen-gar & Massey 2019).
Vor diesem Hintergrund erscheint es notwendig, die Qualität der Wissenschaftsberichterstattung in transparenten Verfahren zu bestimmen und öffentlich zur Diskussion zu stellen. Dies verlangt systematische Verfahren, die es ermöglichen, sachlich angemessenere von unangemesseneren Darstellungen zu unterscheiden (vgl. Post & Wegner, im Erscheinen). Hierzu müssen Kommunikationsinhalte mit systematisch entwickelten oder erhobenen Qualitätsstandards abgeglichen werden.
Je nach der konkreten Fragestellung sind unterschiedliche Studiendesigns geeignet, zum Beispiel:
- Vergleiche der in Medien repräsentierten Einschätzungen wissenschaftlicher Sachfragen mit Meinungsverteilungen aus repräsentativen Expertenbefragungen;
- Vergleiche der Berichterstattung mit Aussagen aus wissenschaftlichen Originalpublikationen wie wissenschaftliche Fachaufsätze oder Dokumente der wissenschaftlichen Politikberatung (Weltklimaberichte, Berichte der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina usw.);
- Vergleiche der in der Berichterstattung präsentierten statistischen, numerischen oder begrifflichen Informationen mit mathematisch oder theoretisch abgeleiteten Qualitätskriterien;
- Vergleiche der Berichterstattung mit medienunabhängigen Statistiken (z. B. über Luftschadstoffbelastung, den Einsatz von Antibiotika in der Nutztierhaltung, usw.)
In den vergangenen Jahren erhielten verschiedene Wissenschaftsthemen ein hohes Maß an Medienaufmerksamkeit – zum Beispiel die Luftverschmutzung, der Klimawandel, das Waldsterben, das Artensterben, Pestizide oder die Verbreitung von SARS-CoV2. In Zukunft erscheint es wünschenswert, die Qualität der Wissenschaftsberichterstattung öffentlich zu thematisieren und zu stärken. Hierzu sollten Themen, die ein hohes Maß an Medienaufmerksamkeit auf sich gezogen haben, in passgenauen, repräsentativen Fallstudien regelmäßig wissenschaftlich analysiert und anschließend diskutiert werden. Dies würde die Qualität der Wissenschaftsberichterstattung vermutlich langfristig erhöhen, den Wert eines qualifizierten Wissenschaftsjournalismus stärken und einen Beitrag dazu leisten, gesellschaftliche Debatten um Umwelt, Technologie und Wissenschaft zu depolarisieren und zu versachlichen.
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Literatur
Boykoff, M. T., & Boykoff, J. M. (2004). Balance as bias: Global warming and the US prestige press. Global Environmental Change 14(2), 125-136.
Donsbach, W., & Mothes, C. (2013). The dissonant self: Contributions from dissonance theory to a new agenda for studying political communication. Annals of the International Communication Association, 36(1), 3-44.
Fernbach, P. M., Light, N., Scott, S. E., Inbar, Y., & Rozin, P. (2019). Extreme opponents of genetically modified foods know the least but think they know the most. Nature Human Behaviour, 3(3), 251-256.
Haßler, J., Maurer, M. & Oschatz, C. (2016). So gut wie sicher? Die Darstellung der Ungewissheit klimawissenschaftlicher Erkenntnisse durch Wissenschaft, Massenmedien und Politik [A safe guess? The representation of the uncertainty of climate science findings by science, mass media and politics.] In G. Ruhrmann, S. H. Kessler & L. Guenther (Hrsg.), Wissenschaftskommunikation zwischen Risiko und (Un-)Sicherheit (S. 122-142). Köln: Halem Verlag.
Humprecht, E. & Udris, L. (2019). In: Örnebrink, Henrik. Oxford Research Encyclopedia of Communication. Oxford, UK: Oxford University Press, 1-22.
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Post, S. & Schmidt, K. (in Vorbereitung). Der Konflikt um den Wolf. Wie Nutzerhalter und Naturschützer die konflikthaltige und versöhnliche Medienberichte wahrnehmen und wie das ihre Konfliktsicht beeinflusst.
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Stocking, S. H., & Holstein, L. W. (2009). Manufacturing doubt: journalists’ roles and the construction of ignorance in a scientific controversy. Public Understanding of Science 18(1), 23-42.
Dieser Beitrag wurde zuerst im „Bericht zur Lage der Informations-Qualität in Deutschland“, herausgegeben von Roland Schatz (Media Tenor), veröffentlicht.
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Schlagwörter:Berichterstattung, Technologie, Umwelt, Wissenschaft, Wissenschaftsjournalismus