Im Mantel des Mainstreams

19. Oktober 2021 • Forschung aus 1. Hand, Qualität & Ethik • von

Die Ergebnisse einer computergestützten Twitter-Analyse zeigen, von welchen Medien Parlamentarier aus sieben EU-Ländern und der Schweiz Links teilen und wie vielfältig die damit verbundene Themenagenda ist. Rechtspopulistische Parteien nehmen dabei eine Sonderrolle ein.

Fußball-Fans kennen das: Wer sich besonders für einen Verein interessiert, weiß auch, bei welchem Medium man die ausführlichste Berichterstattung zur Lieblings-Elf findet. Vielleicht bei der Lokalzeitung der Stadt, aus der die favorisierte Mannschaft stammt oder auf dem vereinseigenen YouTube-Kanal. Gleichzeitig guckt man aber auch die Sportschau, liest 11Freunde oder den Kicker. Ähnlich ist es in unserem pluralistischen Mediensystem: Es gibt Medien, die den Anspruch haben, sich an alle Bürgerinnen und Bürger zu richten, aber auch solche, die eher eine bestimmte politische Tendenz widerspiegeln.

Solche Medien mit einer bestimmten politischen Ausrichtung finden sich in jedem Mediensystem – sie sind zunächst Ausdruck einer vielfältigen Gesellschaft. Bedenklich ist es hingegen, wenn einzelne Gruppen vor allem oder gar ausschließlich besonders parteiische oder ideologisch sehr einseitige Medien nutzen und sich so abgrenzen – insbesondere dann, wenn in diesen isolierten Sphären eine „alternative“ Version von Realität konstruiert wird, ein Zerrspiegel des common sense. Man stelle sich vor, einige Fan-Magazine würden andere Spielstände verkünden oder andere Regeln verbreiten – der Spielbetrieb müsste eingestellt werden.

In unserer aktuellen Veröffentlichung „From the Fringes to the Core – An Analysis of Right-Wing Populists’ Linking Practices in Seven EU Parliaments and Switzerland“ haben wir diese Dynamik nachgezeichnet, indem wir analysiert haben, welche Medien von rechtspopulistischen Politikerinnen und Politikern auf Twitter verlinkt werden. Wir haben uns die Frage gestellt: Verlinken rechtspopulistische Parlamentarier vor allem ihre „eigenen“ ideologisch sehr einseitigen Medien, die von anderen Politikern eher gemieden werden – oder nutzen sie dieselben Medien wie alle anderen? Da die Studie ländervergleichend angelegt war, konnten wir zudem analysieren, von welchen Kontextfaktoren die rechtspopulistische Verlinkungspraxis abhängig ist. Grundlage hierfür bildeten 4.368.030 Tweets von 2.229 Parlamentariern aus 141 Parteien.

Die wichtigsten Ergebnisse hierzu lassen sich wie folgt zusammenfassen: Unsere Daten legen einen Zusammenhang zwischen allgemeinem Medienvertrauen und der Verlinkungspraxis von AfD, FPÖ, SVP und Co. nahe: In Ländern mit hohem Medienvertrauen verlinken Populisten tendenziell eher Mainstream-Quellen, die auch von den Politikern anderer Parteien genutzt werden, so z.B. in Dänemark, der Schweiz und Österreich. Dasselbe gilt für Länder mit wenig polarisierten Gesellschaften. Ein Grund hierfür könnte sein, dass sich in diesen Gesellschaften „pragmatischer Extremismus“ (siehe „pragmatic extremism“, Lewandowsky et al. 2020) – also eine Mobilisierung der gesellschaftlichen Ränder – für Populisten weniger auszahlt. Dies gilt allerdings vor allem in Ländern, in denen die populistische Partei eine etablierte Position im gesellschaftlichen Diskurs einnimmt. Ist die rechtspopulistische Partei indes wenig integriert – wie beispielsweise in Deutschland oder in den Niederlanden – zeigt sich eine Verlinkungspraxis, die sich deutlich von der anderer Politiker unterscheidet. So finden sich im Medienrepertoire der AfD beispielsweise relativ viele Quellen, die Politiker anderer Parteien wenig oder gar nicht verlinken.

In einem zweiten Schritt haben wir untersucht, inwiefern die Verlinkungspraxis der rechtspopulistischen Parteien Rückschlüsse auf ihre Themenagenda zulässt. Um die thematische Bandbreite einer Partei zu messen, haben wir nicht nur die Tweets analysiert, sondern zusätzlich die darin verlinkten Texte (N= 172.638).

So wollten wir die Frage beantworten, ob sich von einer vielfältigen, mainstream-nahen Quellennutzung auch auf eine ähnlich normalisierte politische Themenagenda schließen lässt. Dies ist offenbar nicht der Fall. Vielmehr konnten wir zeigen, dass eine enge, wenig vielfältige Agenda – unabhängig von der Verlinkungspraxis – ein länderübergreifendes Charakteristikum populistischer Kommunikation zu sein scheint; genauso wie die Konzentration auf bestimmte Kernthemen, vor allem das Othering von Migranten und die Berichterstattung über Kriminalität. In diesem Punkt unterscheiden sich die rechtspopulistischen Parteien also nicht – es ist egal, ob sie vor allem Mainstream-nahe Medien verlinken oder vermehrt eher exklusive Beziehungen zu Alternativen Medien aufweisen.

Der fehlende Zusammenhang von Quellenwahl und Themensetzung zeigt, dass beide Praktiken in digitalen Öffentlichkeiten getrennt betrachtet werden sollten. Da auf Social Media immer nur einzelne Beiträge eines Mediums geteilt werden – man spricht von Entbündelung – kann auch mit den Inhalten mainstream-naher Medienquellen ein extremes, wenig vielfältiges Angebot kuratiert werden. Die Quellenwahl erfüllt offenbar eine eigenständige Kommunikationsfunktion; beispielsweise signalisieren bestimmte Quellen eine Nähe zum gesellschaftlichen Mainstream, während andere eine Abgrenzung betonen. Entsprechend fanden Eva Mayerhöffer und Annett Heft in einer aktuellen Studie, dass auch Alternative Medien, die populistischen Parteien oft ideologisch nahestehen, Artikel von klassischen Massenmedien oft selektiv als opportune Zeugen nutzen – in diesem Mainstream-Mantel steckt dann jedoch oft, ähnlich wie bei rechtspopulistischen Politikern, eine extreme Weltsicht.

 

Studie

von Nordheim, G., Rieger, J., & Kleinen-von Königslöw, K. (2021). From the Fringes to the Core – An Analysis of Right-Wing Populists’ Linking Practices in Seven EU Parliaments and Switzerland. Digital Journalism, 1–19. https://doi.org/10.1080/21670811.2021.1970602

Weitere Ressourcen zur Studie finden Sie unter
https://github.com/JonasRieger/fringes

 

Referenzen

Lewandowsky, S., L. Smillie, D. Garcia, R. Hertwig, J. Weatherall, S. Egidy, R. E. Robertson, et al. 2020. Technology and Democracy: Understanding the Influence of Online Technologies on Political Behaviour and Decision Making. Publications Office. https://data.europa.eu/doi/10.2760/709177

Mayerhöffer, E., & Heft, A. (2021). Between Journalistic and Movement Logic: Disentangling Referencing Practices of Right-Wing Alternative Online News Media. Digital Journalism, 1–22. https://doi.org/10.1080/21670811.2021.1974915

 

Bildquelle: Gordon Johnson/Pixabay 

 

 

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