Russland als neue Ordnungsmacht, Antiamerikanismus und Geschichtsrevision – Die Junge Freiheit und ihre Berichterstattung über Russland

11. Juni 2024 • Aktuelle Beiträge, Forschung aus 1. Hand • von

Illustration: Daniela Heisterkamp

Rechtspopulistische und rechtsorientierte Parteien in ganz Europa florieren. In Deutschland wurde erst kürzlich die AFD als rechtsextremer Verdachtsfall eingestuft –sie verfolge verfassungswidrige Bestrebungen, so das Oberverwaltungsgericht MünsterWer sich heute bewusst rechts positioniert, hinterfragt die demokratischen Werte und die einer offenen, liberalen Gesellschaft. Für die Verbreitung von rechten Thesen, Ideologien und Meinungen nutzen Rechte oft publizistische Wege. Das Ziel: mit alternativen Medien ein eigenes Weltbild, fernab der sogenannten „Mainstream-Medien“, vermitteln. In der Politikwissenschaft herrscht Einigkeit darüber, dass zu diesen alternativen Publikationen unter anderem die Wochenzeitung „Junge Freiheit“ gehört. Sie gilt als das Flaggschiff der politischen Strömung der „Neuen Rechten“ (Braun et al., 2007; Kellershohn, 2007; Brauner-Orthen, 2001).  Alternative Medien haben oft eine eigene Agenda und können Ereignisse und Themen verzerrt darstellen. Gerade bei kontroversen Themen wie der Berichterstattung über Russland stehen sich zwei verschiedene Weltbilder, dass der Mainstream-Medien versus das der Jungen Freiheit gegenüber. Dabei hat die Beziehung zwischen Russland und dem Westen in den letzten 20 Jahren bemerkenswerte Entwicklungen durchgemacht. Von der Hoffnung auf eine enge Zusammenarbeit nach Ende des Kalten Krieges bis hin zu den Spannungen und Konflikten, die schließlich seit 2022 ihren Höhepunkt im Ukraine-Krieg erleben.

In meiner wissenschaftlichen Arbeit habe ich die Russland-Berichterstattung der letzten 20 Jahre in der Jungen Freiheit mit der Berichterstattung der „Mainstream-Medien“ Die Welt und Süddeutsche Zeitung untersucht und verglichen. Dafür wurde jeweils auf die Print- und Online Artikel der Zeitungen zurückgegriffen. Als Flaggschiff der Neuen Rechten publiziert die Junge Freiheit ganz eigene Darstellungen, die sich an neurechten Thesen und Ideologien orientieren.

Die Neue Rechte fungiert als politische Strömung zwischen Konservatismus und Rechtsextremismus und operiert als offenes Netzwerk ohne klare Organisation. Die Bewegung lehnt dabei liberale und universalistische Werte ab. Stattdessenn wird die Bedeutung von kultureller Identität und ethnischer Homogenität betont. Dafür nutzt die Bewegung auch geschichtsrevisionistische Ansätze, um etablierte Narrative zu hinterfragen und umzudeuten, um ihre eigene ideologische Sichtweise zu fördern. Dies umfasst oft die Relativierung und/oder Neubewertung von geschichtlichen Ereignissen. Sie propagiert zudem eine Rückbesinnung auf nationale Werte und Traditionen und sieht die multikulturelle Gesellschaft und Globalisierung als Bedrohung für die nationale Identität. Besonders in Russland sieht sie einen Verbündeten, der sich gegen den westlichen Liberalismus und die Globalisierung stellt.

Die Zeitungen Die Welt und Süddeutsche Zeitung wurden als „Mainstream-Medien“ ausgewählt, weil sie verschiedene politische Standpunkte vertreten und somit eine weitere politische Bandbreite abdecken. Die Welt ist eher als konservativ einzuordnen, während die Süddeutsche Zeitung einen moderaten Standpunkt vertritt. Dadurch sind sie für einen Vergleich mit der Jungen Freiheit geeignet.

Um die verschiedenen Medien miteinander vergleichen zu können, wurde die Berichterstattung über Russland durch eine quantitative Inhaltsanalyse sowie eine darauffolgende Framing- Analyse untersucht. Augenmerk der Arbeit lag dabei auf dem sprachlichen Framing der Medien. Grundsätzlich sollte herausgearbeitet werden, ob und wie sich die Berichterstattung über Russland unterscheidet.

Der gesamte Korpus der Jungen Freiheit umfasste dabei rund 1300 Artikel, der Korpus der Welt & SZ (zusammen) ca. 28.000 Artikel. Nachdem die Hauptthemen der jeweiligen Korpora identifiziert wurden, erfolgte die Framing-Analyse anhand von etwa 260 Artikeln im Korpus der Jungen Freiheit sowie etwa 340 Artikeln im Korpus der Welt und Süddeutsche Zeitung.

DIE WICHTIGSTEN EREIGNISSE IM ÜBERBLICK

Medienpeaks in der Berichterstattung

Die Berichterstattung der beiden Medienformen orientiert sich anhand der gleichen Medienpeaks. Die Berichterstattung nimmt bei negativen Ereignissen in Russland (Georgien und Ukraine) und bei negativen internationalen Vorfällen (Irak und Syrien), an denen Russland beteiligt war, zu. Abbildungen 1 und 2 verdeutlichen, dass diese Wörter (Ereignisse) am bedeutsamsten für die BerichtersTattung über Russland im Beobachtungszeitraum waren.

Abbildung 1: Ereignisse innerhalb der letzten 20 Jahre, bei denen die Berichterstattung über Russland zunahm im Korpus Die Welt & Süddeutsche Zeitung

 Abbildung 2: Ereignisse innerhalb der letzten 20 Jahre, bei denen die Berichterstattung über Russland zunahm im Korpus der Jungen Freiheit

Das Wort „irak“ taucht zum ersten Mal 2003 auf. Mit Beginn des Irak-Krieges verschiebt sich das internationale Machtgefüge. Während die USA militärisches Eingreifen befürworten, lehnen Deutschland, Frankreich und Russland dies ab. Ab 2004 nimmt die Häufigkeit des Wortes ab. 2008 erscheint erstmal das Wort „georgien“ zu Beginn des Georgien-Kriegs, ebbt jedoch im weiteren Verlauf wieder ab. 2014 erreicht das Wort „ukraine“ den ersten Höhepunkt, bedingt durch Russlands Versuch, die Krim zu erorbern. Während die Junge Freiheit ab 2015 kaum noch darüber berichtet, ebbt das Wort in SZ und Die Welt langsam ab, mit einem leichten Anstieg 2018 und erneut 2022 zu Beginn des Ukraine-Krieges. Auch im Korpus der JF steigt das Wort „ukraine“ 2022 wieder stark an. Die Unruhen in Syrien, die seit 2011 andauern, erreichen 2016 einen Höhepunkt, als Aleppo zurückerobert wird, was sich ebenfalls in der Berichterstattung beider Medienformen widerspiegelt.

Russland-Bild der Qualitätsmedien

Bei den Medien Süddeutsche Zeitung und Die Welt wird in einem Großteil der geframten Artikel  und mit der Zeit zunehmend negativ über Russland berichtet. Anfang der 2000er Jahre zeigte sich ein einigen Texten (10 insgesamt) zunächst noch ein anderes Bild, als für die Kooperation und Zusammenarbeit, für eine „konstruktive und dauerhafte Balance“ (Die Welt, 2004), mit Russland plädiert wurde. Durch Russlands Rolle im Ukraine- Konflikt und aufgrund weiterer negativer Ereignisse wird Russland jedoch zunehmend als Gefahr betrachtet. Auch Putins Machterhaltung und autoritäre Führung werden als Bedrohung für Demokratie und Menschenrechte gesehen und entsprechend kritisch beleuchtet.

Vor allem aber die Konflikte zwischen Russland und der Ukraine bergen immer wieder Gefahren für die EU, was sich in der Berichterstattung niederschlägt: „Russland ohne die Ukraine ist ein Nationalstaat, den man kontrollieren kann; Russland mit der Ukraine ist ein unbeherrschbares Imperium“ schreibt Die Welt 2008. Zudem sei vor allem auch die Westbindung Europas in Gefahr, da Russland „einen Keil zwischen Europa und Amerika“ (Die Welt, 2014) treiben wolle.

Russland-Bild der Jungen Freiheit

Im Unterschied zu den etablierten Medien nimmt die Junge Freiheit eine Perspektive ein, die tendenziell positiver und wohlwollender gegenüber russischen Positionen und der Politik ist. Das wird besonders deutlich, wenn in insgesamt 26 Artikeln immer wieder darüber berichtet wird, dass Russland sich als neue Ordnungsmacht etablieren könnte. Dabei wird insbesondere die hegemoniale Macht der USA kritisiert und infrage gestellt. In der Berichterstattung schwingt der Wunsch mit, dass sich die Welt hin zu einer multipolaren Ordnung entwickelt, in der „die USA nur noch ein Machtzentrum unter mehreren sind“ (Junge Freiheit, 2005).

Auch gegenüber dem russischen Präsident Putin ist die Berichterstattung im Großteil der untersuchten Artikel wohlwollender – er habe es schließlich geschafft die Kirche und Kultur wiederaufzubauen und auch das nationale Bewusstsein durch seine Politik zu stärken. Interessanterweise findet sich keine genaue Positionierung der Zeitschrift über den Ukraine-Krieg (über den schon seit 2015 berichtet wird). Wohingegen besonders auffällig ist, wie deutlich negativ die Zeitschrift über die sowjetische Vergangenheit Russlands berichtet. So werden immer wieder Zeitzeugenberichte vom 17. Juni 1953 publiziert, die vom brutalen Vorgehen der sowjetischen Armee gegen Protestierende in ganz Ost-Deutschland berichten.

In diesem Kontext wird auf weitere schwere Verbrechen der Sowjetunion verwiesen – denn die Deportation von Kriegsgefangenen in Arbeitslager und auch das Einmarschieren mit Panzern gegen die DDR-Arbeiterschaft sollte nicht in Vergessenheit geraten und eine Erinnerungskultur entstehen, die aktuell noch fehle. Durch diese Berichterstattung wird ein spezifisches Geschichtsbild gefördert, dass es ermöglicht, besonders negative Auswirkungen des kommunistischen Systems zu verdeutlichen.

Antiamerikanismus in der Berichterstattung der Jungen Freiheit

Die Junge Freiheit legt in ihrer Berichterstattung einen bedeutenden Fokus auf die USA. In über 20 Artikeln übt die Zeitung immer wieder übt sie Kritik an deren Vorgehen. Unter anderem werden die USA mitverantwortlich gemacht für den Ukraine-Konflikt und Krieg. Auch die NATO wird kritisiert und als ein „Hilfsaggregat zur Durchsetzung amerikanischer Ziele und Prioritäten“ (Junge Freiheit, 2003), beschrieben. Darüber hinaus habe die USA durch die Nato-Osterweiterung Russland provoziert und sich mit ihrem Vorgehen in die geopolitischen Angelegenheiten anderer Länder, aber vor allem Russlands, eingemischt.

Ein weiterer interessanter Aspekt ist die Berichterstattung über den ehemaligen US-amerikanischen Präsidenten Trump. In insgesamt sechs der untersuchten Artikel werden die Qualitätsmedien für ihre Trump-Berichterstattung scharf kritisiert: Die „Damen und Herren in deutschen Redaktionsstuben“ liefen demnach „regelmäßig Amok“ (Junge Freiheit, 2017), sobald es etwas über Trump zu berichten gäbe. Und keine anderen Meinungen über Trump werden aufgrund des Linksdralles der anderen Journalist:innen mehr zugelassen.

EU-Osterweiterung

Besonders nennenswert ist die negative Berichterstattung der Jungen Freiheit über Europa. Zum einen sieht die Junge Freiheit Europa in einem ständigen Ost-West-Konflikt und Wertedebatte „die in Wirklichkeit nichts anderes als eine Schulmeisterei des Westens gegenüber Rußland darstelle“ (Junge Freiheit, 2007), gefangen. Statt der Westbindung bevorzugt die Zeitung eine Orientierung nach Osten, durch die Europa wieder erstarken würde. Zum anderen und vor allem zu Beginn der 2000er Jahre thematisiert die Junge Freiheit die EU-Osterweiterung.

Im Rahmen dieser Diskussion wird unter anderem in insgesamt 8 der untersuchten Artikel argumentiert, dass es kulturelle und identitäre Gleichheit zwischen europäischen Völkern geben müsse. So sind Länder wie Rumänien „zweifelsfrei Teil der europäischen Völkerfamilie“ (Junge Freiheit, 2005), während eine Aufnahme der Türkei jedoch ausgeschlossen sei. Eine Aufnahme der Türkei führe sonst zu einer „politischen und kulturellen Selbstaufgabe Europas“ (Junge Freiheit, 2011).

Fazit

Aus den Ergebnissen meiner Arbeit ließen sich Rückschlüsse auf die ideologische Ausrichtung der Jungen Freiheit ziehen. Die Junge Freiheit orientiert sich bei der Themensetzung und den Peaks an den Qualitätsmedien, um eine Brücke zum Mainstream zu schlagen. Gleichzeitig orientiert sie sich inhaltlich an neurechten Ideologien, was die eigene Darstellung eines rechten und rechtspopulistischen Weltbilds und auch alternativen Russland-Bilds, ermöglicht.

Das wird zum einen durch die Berichterstattung über die sowjetische Vergangenheit Russlands verdeutlicht. Immer wieder spielt in der Berichterstattung ein Erinnern an die sowjetischen Kriegsverbrechen eine wichtige Rolle. Dadurch soll eine Relativierung der eigenen deutschen Geschichte erreicht werden. Zum anderen wird durch die Artikel der Jungen Freiheit über die EU-Osterweitung verdeutlicht, dass eine Aufnahme in die EU nur bei Völkern mit ähnlichen kulturellen Merkmalen und identitären Gemeinsamkeiten gerechtfertigt ist – ein Ansatz der ebenfalls aus der Ideologie der Neuen Rechten hervorgeht.

Allerdings lassen sich nicht alle Artikel der Zeitung deutlich rechts verordnen – so gibt es zum Beispiel auch keine deutliche Positionierung zum Ukraine-Krieg. Das Veröffentlichen von Artikeln, die sowohl Schnittmengen mit rechten Meinungen, als auch konservative Standpunkte aufweisen, ist ein geschickter Schachzug der Zeitung. So gelingt es der Jungen Freiheit Raum für eine verschwommene Grenze zwischen Konservatismus und rechtem Denken zu schaffen. Und nur so können rechte Meinungen breiter und gesellschaftlich salonfähiger gemacht werden.

 

Quellen:

Braun, S., Geisler, A. & Gerster, M. (2007). Die „Junge Freiheit“ der „Neuen Rechten“.

VS Verlag für Sozialwissenschaften

https://link.springer.com/chapter/10.1007/978-3-531-90559-4_1

Brauner-Orthen, A. (2001). Die Neue Rechte in Deutschland. Leske + Budrich

https://link.springer.com/book/10.1007/978-3-322-93237-

Diesen, G. (2020). Russia as an international conservative power: the rise of the right-wing populists and their affinity towards Russia. Journal of Contemporary Europa Studies, 182-196.

https://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/14782804.2019.1705770

Haller, A. & Holt, K. (2018). Paradoxical populism: how PEGIDA relates to mainstream and Alternative Media. Information, Communication & Society

https://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/1369118X.2018.1449882

Kellershohn, H. (2007). Kurzchronologie der “Jungen Freiheit” 1986 bis 2006. VS Verlag für Sozialwissenschaften

https://link.springer.com/chapter/10.1007/978-3-531-90559-4_2

Woods, R. (2007). Germany’s new right as culture and politics. Palgrave Macmillan.

https://link.springer.com/book/10.1057/9780230801332

 

 

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