Sie sehen sich als „Wachposten“, „Interpret“ und „Wortträger“ – aber nicht als „Super-Chefredakteur“ und „Staatsanwalt“.
Sie wollen Vermittler sein zwischen Rezipienten und Redaktion, profitieren von größtmöglicher Freiheit und Unabhängigkeit, sind aber trotzdem Angestellte ihrer Medienunternehmen. Viele französische Ombudsleute, die médiateurs und médiatrices, sind bei ihren Medien längst eine Institution geworden. Wie französische Ombudsleute ihre alltägliche Arbeit gestalten, wie sie Rezipientenkritik innerhalb der Redaktion nachspüren und wie sie gleichzeitig über ihre Antworten, Kolumnen und Sendungen nach außen hin sichtbar sind, hat Thilo Kötters vom Institut für Journalistik der TU Dortmund in seiner Bachelorarbeit untersucht.
Er befragte dazu sechs amtierende und ehemalige Ombudsmänner, den Großteil davon aus dem öffentlich-rechtlichen Sektor, nämlich Marie-Laure Augry vom Fernsehsender France 3, Jérôme Bouvier von der Radioanstalt Radio France, Dominique Burg vom Auslandsradio Radio France Internationale, Nicolas Jacobs vom Fernsehsender France 2, Didier Epelbaum, ehemaliger und erster France-2-Ombudsmann sowie Laurent Chasteaux von der Tageszeitung Le Parisien als einziger Vertreter aus der Printbranche.
Der Grad der Professionalisierung vor allem der Ombudsleute des Rundfunks kann sich ohne weiteres mit dem ihrer amerikanischen Kollegen vergleichen lassen. Vielfach ist ihnen per Statut die größtmögliche Unabhängigkeit garantiert, die sich nur noch durch die Schaffung eines medienexternen Ombudsmannes überbieten lassen würde. Zwar stehen die meisten Befragten noch immer in Kontakt mit den Chefetagen, der Austausch – etwa über Programmänderungen oder große ethische Probleme – ist aber ein fruchtbarer, was der Grundidee, dass ein Ombudsmann die Zustände innerhalb seines Unternehmens verbessern und dem Rezipienten mehr Einfluss verschaffen soll, durchaus zuträglich ist.
Am stärksten ist der Grad der Professionalisierung beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Die Schaffung der Ombudsmann-Posten auf Anregung der damaligen Kulturministerin Frankreichs kam zur rechten Zeit und hat wohl aufgrund des damals schon vorhandenen klar formulierten Rollenverständnis der Rundfunkanstalten in der französischen Demokratie großen Anklang gefunden. So sehen die médiateurs ihre Existenz als nur folgerichtig angesichts des rechtlichen Status ihrer Anstalten an. Wer sie bezahle – und das tue das Publikum, indem es Rundfunkgebühren entrichtet – habe gleichzeitig das Recht, angehört zu werden und auch in gewisser Weise Entscheidungen zu treffen.
Weniger gefestigt sieht die Situation bei privaten Medienunternehmen aus. Hier entscheidet das Wohlwollen einzelner Führungspersönlichkeiten noch im starken Maße über Bestand oder Abschaffung der Ombudsmann-Position. Die Rolle von médiateur Laurent Chasteaux beim Parisien stellte zwar zunächst aus Sicht der Zeitung einen ebenso konsequenten Schritt dar wie für die Fernseh- und Radiosender. Das Blatt sah sich ohnehin „nah an den Lesern“ und wollte mit der Institution Ombudsmann die enge Bindung an die Rezipienten noch verstärken. Allerdings wechselte nach zwei Jahren der Generaldirektor, der andere Prioritäten setzte und die Stelle des Ombudsmanns wieder strich.
Schwierig zu beantworten bleibt indes die Frage, wie sich die Existenz der Ombudsleute und der von ihnen geltend gemachte Einfluss auf die Qualität ihres Mediums auswirkt. Erfolg und Misserfolg werden an Abozahlen und Quote gemessen und von einer Unzahl weiterer Faktoren bestimmt, weshalb es schwierig ist, vom Beitrag des Ombudsmannes auf das Gesamtergebnis zu schließen. Zudem war die vorliegende Untersuchung ausschließlich dazu in der Lage, Selbstbilder der Ombudsleute zu erheben – und die können am allerwenigsten mit letzter Gewissheit sagen, wie sie auf Kollegen oder das Unternehmen wirken.
Dass die Posten beim Rundfunk weiter Bestand haben, davon darf angesichts bislang immer erfolgter Neubesetzungen ausgegangen werden. Aktuelle médiateurs haben sich neben ihrem Tagesgeschäft als Mittler zwischen Rezipienten und Redaktion auch immer mit tiefer gehenden, deontologischen Fragen beschäftigt. So arbeiten sie laufend an Chartas und ethischen Leitfäden, die sie ihrer Firma zur Verfügung stellen.
Was den Rollenkonflikt zwischen Fürsprecher der Redaktion und Anwalt der Leser betrifft, so ist festzustellen, dass sich die französischen médiateurs – weisen sie auch sonst fast jedes Charakteristikum auf, das auch mit ombudsman oder readers’ advocate betitelte Ombudsmänner in der englischsprachigen Welt kennzeichnet – ganz getreu ihres Titels als „Mittler“ zu positionieren versuchen. Direkte Parteinahme für Leser oder Redaktion kennen sie praktisch nicht.
Als innere Schnittstelle sind die Ombudsleute indes nur eingeschränkt aktiv. Ihre Kommunikation mit der Redaktion erscheint als Einbahnstraße, in der Aktivität vor einer Veröffentlichung gibt es anscheinend Verbesserungsbedarf. Dass sie vielfach vor einer Veröffentlichung nicht intervenieren dürfen, lässt sich noch mit der Sicherung der Unabhängigkeit und der Mittlerrolle begründen, dass sie dadurch aber den journalistischen Arbeitsprozess noch nicht einmal beratend begleiten und ihre Kollegen schulen, hemmt sicherlich ihre nachhaltige Wirksamkeit.
Die grundlegende Transformation der Medienbranche und die zunehmende Verschmelzung unterschiedlicher Medienkanäle aufgrund der digitalen Revolution ist auch die größte Herausforderung für die französischen Ombudsleute. Doch was vordergründig Mehrbelastung ist (durch zusätzliche Betreuung eines Blogs, Internetangebotes und Bearbeitung von tausender elektronischer Zuschriften) ist gleichzeitig eine Chance. Als beispielhaft kann hier der große Internetbereich espace public von Radio France gelten, der die Sichtbarkeit des Ombudsmannes auf eine neue Ebene hebt.
Außer der Kostenfrage, die für die reichlich mit Gebührengeldern gesegneten öffentlich-rechtlichen Anstalten wohl eine nebensächliche ist, gibt es nichts, was gegen die Beschäftigung eines Ombudsmannes spricht. Seine Einstellung ist ein Signal, dass das Medium seine Rezipienten ernst nimmt. Seine Abschaffung ist dagegen ein Signal, dass es das nicht tut – und das ist angesichts des ohnehin schon nicht groß ausgeprägten Vertrauens der Franzosen gegenüber ihren Medien wohl ein Signal, das zumindest die öffentlich-rechtlichen Anstalten nicht senden möchten.
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