Media Governance: Neue Perspektiven aus dem Globalen Süden

16. März 2023 • Aktuelle Beiträge, Medienpolitik • von

Media Governance, ein Teilgebiet der Medienpolitik, basiert stark auf der Forschung aus Europa und den USA. Weshalb dies ein Problem ist und was dagegen unternommen werden kann, dazu haben Sarah Anne Ganter und Hanan Badr 18 Forscher:innen aus fünf Kontinenten eingeladen, um gemeinsam ein Sammelband zu schreiben. Das Ziel ist es, eine kosmopolitische Perspektive anzustossen, welche Media Governance aus neuen Perspektiven und Blickwinkeln betrachtet, die in der Forschung und Politik oft vernachlässigt werden. Nur so kann Media Governance als Forschungsfeld diverser und inklusiver werden, so die Herausgeberinnen.

Was ist Media Governance?

Ein kosmopolitischer Ansatz will den marginalisierten Perspektiven Platz bieten / Quelle: Pixabay

In der Medienpolitikforschung ist Media Governance eine Perspektive, mit deren Hilfe medienpolitische Prozesse, Ziele und Ergebnisse analysiert werden. Die Betrachtungsweise beruht dabei auf einem weiten und fokussiert sich auf die Interaktionen, die den Ausgang einer medienpolitischen Debatte beeinflussen. In der Politik findet Media Governance auch normative Verwendung als Regulierungsinstrument, das auf der Einbindung einer Vielzahl von Akteur:innen basiert.

 

MedienpolitikMedia Governance
ForschungsfeldForschungsperspektive, analytisches Instrument, normative Vorgaben für die Politik
Gesetze, Regulierungen, Implementierung, EvaluierungRegulierung, Selbst- und Ko-Regulierung
Instrumente zur Erlangung eines medienpolitischen Ziels (Subventionen, Steuerbegünstigungen, Quotenregeln, Handelsbeschränkungen, etc.)Aushandlungsprozesse, Rolle von Diskursen, Interaktion im Fokus der Betrachtung
Staat als HauptakteurWeitläufiges Akteursverständnis

«Media Governance: A cosmopolitan Critique» macht sichtbar, wie stark die westliche Perspektive Media Governance als Forschungsfeld dominiert und geformt hat. In einer Zählung der wissenschaftlichen Publikationen zu Media Governance haben wir festgestellt, dass über 75% der Forschung aus Europa und Nordamerika stammt. Die Konsequenz ist, dass Erkenntnisse zur Media Governance hauptsächlich auf westlichen Kontexten beruhen und ähnliche Theorien und Interpretationen das Feld ausgestalten. In «Media Governance: A Cosmopolitan Critique» möchten wir neue, kritische und unterrepräsentierte Perspektiven hervorheben. Denn, das Konzept der Media Governance befindet sich im Prozess der Entwicklung.

Daher gibt es die Chance dem Forschungsgebiet durch neue Interpretationen mehr Wirkungskraft zu geben. Dies geschieht in diesem Sammelband dadurch, dass wir 18 Forscher:innen Raum geben, aus ihrer Erfahrung, ihren Kontexten, und ihren Perspektiven das Konzept zu beleuchten und zu hinterfragen. Denn:

«Je nach den Erfahrungen von Wissenschaftler:innen, Medienaufsichtsbehörden, politischen Entscheidungstragenden, Medienschaffenden, Medienorganisationen und Bürger:innen kann der Begriff Media Governance unterschiedliche Bedeutungen und Interpretationen annehmen. Dies sollte sich auch in der Art und Weise widerspiegeln, wie wir konzeptionell mit Media-Governance-Ansätzen arbeiten.» (Übers.)

Neue Perspektiven aus dem Globalen Süden

Als Herausgeberinnen dieses Buches schlagen wir einen kosmopolitischen Ansatz vor, um genau das zu schaffen: einen Dialog zwischen unterschiedlichen Perspektiven anzustoßen und die Forschung so gemeinsam kritisch zu reflektieren und zu bereichern.

«Der akademische Kosmopolitismus strebt in diesem Sinne nicht nach Universalismus, sondern nach einem respektvollen und integrativen Umgang mit Differenzen.» (Übers.)

Dabei geht es darum, monolithisches Wissen aufzubrechen und eine «Ökologie des Wissens» zu schaffen (nach Boaventura de Sousa Santos), welches die Unvollständigkeit des jeweiligen Wissens wechselseitig respektiert und nicht nach Vollständigkeit strebt. Ein Beispiel für die unangemessene Vereinheitlichung von Standards und Erkenntnissen ist, dass Media Governance oft im Sinne von «Good Governance» als ein Ideal für die Medienregulierung und Medienpolitik angesehen, und basierend auf westlichen Standards mit demokratischen Strukturen und Werten gleichgesetzt wird.

Es ist schwierig, Tendenzen umzukehren oder zu diversifizieren, wenn der Westen als Standard gilt. Eine Möglichkeit, dieses Ungleichgewicht sichtbar zu machen, besteht darin, sich kritisch mit der westlichen Literatur auseinanderzusetzen, jedoch mit einer analytischen Distanz, die es ermöglicht, die Kritik zu begründen. Einige Autor:innen haben sich dafür entschieden, mit der bestehenden westlichen Literatur zu beginnen, um dann aufzuzeigen, dass die politischen, wirtschaftlichen und soziokulturellen Umstände nicht angemessen erforscht und verstanden werden können, wenn Begriffe und Konzepte verwendet werden, die von westlich geprägten Ideen stammen.

Mit Konzepten werden auch Werte transportiert

Einerseits ist das Konzept Media Governance nur schwer zu übersetzen und hat in vielen Sprachen keinen gleichwertigen Begriff. Auch in der deutschsprachigen Wissenschaft, wird die englische Bezeichnung benutzt.

Gleichzeit wird mit dem Begriff nicht nur das Konzept, sondern auch bestimmte Werte transportiert. So zum Beispiel werden bestimmte Bedeutungen von Freiheit, Unabhängigkeit und Demokratie durch unausgesprochene Interpretationen miteingeschlossen. So zeigt Allam in ihrem Kapitel auf, dass der Import von Regelwerken und Gesetzgebungen in Ägypten nicht funktioniert und zu verwirrenden Mechanismen und Ambivalenz in der Anwendung der Texte führt. Allam beschreibt einen “fehlerhaften Import” und geht in ihrem Kapitel detailliert darauf ein, wie in Übergangsländern wie Ägypten eine Kluft zwischen dem Geist neuer Gesetze, die von westlichen Modellen inspiriert sind, und ihrer Anwendung besteht, die immer noch von alten autoritären Strukturen kontrolliert werden. Akpojivi erläutert, wie in Nigeria der Versuch des Imports westlicher Werte durch die Interpretationen der nigerianischen Regierung geprägt ist, wodurch sich die Absicht, mehr Partizipation, Vielfalt und Inklusion zu erreichen, umkehrt und zur Einschränkung derselben führt.

Daher sollte die wissenschaftliche Debatte um Media Governance an einem Wissensaustausch interessiert sein, der ein umfassenderes Verständnis über das Zusammenspiel von Akteur:innen, Wertesystemen, unterschiedlichen Interessen und Prozessen in der Medienpolitik ermöglicht.

Machtungleichheiten anerkennen

Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Kritik an unreflektierten Aufrufen zu mehr Multilateralismus. Durch die existierenden Ungleichheiten – auf Ebene der Staaten, aber auch national auf der Ebene der Zivilgesellschaft – werden oft die existierenden Machtverhältnisse in der Analyse ausgeblendet. Denn insbesondere staatliche Akteur:innen können Regulierungen missbrauchen, um z. B. die Internet- und Pressefreiheit einzuschränken, wie es in vielen afrikanischen Länder passiert, so Matsilele und Mutsvairo in ihrem Kapitel. Auf internationaler Ebene kritisiert Shen den Fokus auf die USA und die Unterschätzung Chinas, aber auch generell fehlende Untersuchungen zu den Konsequenzen einer neoliberalen Medienpolitik im Globalen Süden. De Albuquerque und de Matos argumentieren, dass die neoliberale Geschichte des Multi-Stakeholder- Ansatzes dazu führt, dass dieser die Macht der Einflussreichen sichert. Segura und Linares erläutern, dass im lateinamerikanischen Kontext Akteur:innen oft als gleichberechtigt angesehen werden, obwohl sie es nicht sind. Somit werden existierende Ungleichheiten in der wissenschaftlichen Analyse und auf politischer Ebene verstärkt und weitergetragen.

Ausblick und neue Ansätze

Die Beiträge im Buch belegen Einschränkungen als auch Chancen der Media Governance Forschung. Als Forschungsfeld muss die Media Governance Forschung die eigenen Schwächen sichtbar machen und reflektieren, um sich konzeptionell weiterzuentwickeln. Das Umdenken muss dabei sowohl in der Forschung, in der Lehre und im institutionellen Raum geschehen, um langfristig Wirkung zu entfalten. Die Autor:innen der Kapitel entwickeln neben konkreten Kritikpunkten auch interessante konzeptuelle Ansätze. Beispielsweise die Idee der fragmentierten Autoritäten, der „cosmopolitan media commons“, oder neue Interpretationen von Informalität im Kontext der Media Governance. Diese Vorschläge liefern einen hervorragenden Ansatzpunkt für die Erneuerung und Diversifizierung der Forschungsliteratur zu Media Governance.

 

Der Sammelband:

Ganter, S., & Badr, H. (Eds.). (2022). Media governance: A cosmopolitan critique. Palgrave Macmillan. https://link.springer.com/book/10.1007/978-3-031-05020-6

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