Der Abwärtstrend gefährdet die Demokratie

7. November 2014 • Digitales, Medienökonomie, Qualität & Ethik • von

Es ist inzwischen fast schon wie bei James und Miss Sophie im Dinner for One: Die Truppe um Kurt Imhof vom Forschungsinstitut Öffentlichkeit und Gesellschaft präsentiert ihr Jahrbuch zur Qualität der Medien und konstatiert bei den journalistischen Leistungen einmal mehr einen rasanten Abwärtstrend für die Schweiz.

Die Medien selbst reagieren, bis auf wenige rühmliche Ausnahmen wie die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) verhalten, gar nicht oder abwehrend. Verleger wie Pietro Supino reisen durch die Welt und erklären, wie jüngst beim Kongress der deutschen Zeitungsverleger in Berlin, die Qualität des Medienangebots sei noch nie so gut und vielfältig gewesen wie heute – und seine Journalisten stimmen, wie etwa Christian Lüscher in seinem Blog im Tages-Anzeiger, ein in diesen Lobgesang wider die empirische Evidenz. The same procedure as every year.

Dass Billig- und Gratisangebote den kostenpflichtigen, qualitätsvollen News-Angeboten stark zusetzen und sie allmählich vom Markt verdrängen, ist allerdings nicht nur in der Schweiz, sondern in großen Teilen der Welt eine unbestreitbare Tatsache. Ebenso unbestreitbar ist, dass die Medienkonzentration in der Schweiz ein gefährliches Ausmaß angenommen hat und neben den Platzhirschen Tamedia und Ringier inzwischen auch Medienunternehmer in den Markt drängen, die klare politische Ziele verfolgen.

Kurt Imhof und sein Forscherteam erzählen keine Märchen. Das belegt nicht zuletzt der internationale Forschungsstand. Vom Pew Center erreichen uns Jahr für Jahr aus den USA ähnliche Analysen zum Niedergang des Journalismus. In Italien beobachtet Gianpietro Mazzoleni seit langem, wie „Pop Politics“ und „Pop Medien“ einander in die Hände spielen: Die mehrheitlich populistischen Medien, und zwar nicht nur die Berlusconis, verhelfen den populistischen Politikern wie Berlusconi und Renzi zu Popularität – und sogar solchen wie Grillo, die sie zunächst totgeschwiegen haben.

Für Deutschland hat Wolfgang Donsbach soeben in einer fulminanten Zusammenschau jüngster wissenschaftlicher Studien für die Stiftervereinigung der Presse gezeigt, wie sich zum einen die medialen Angebote journalistisch „deprofessionalisieren“, also immer mehr PR, versteckte Werbung, aber auch nicht-kommerzielle Blödelei die seriösen Informationsangebote verdrängen. Kombiniert mit dem veränderten Mediennutzungs-Verhalten einer nachwachsenden „digital sozialisierten Generation“, die sich nur noch zufällig statt regelmäßig professioneller Nachrichtenquellen bediene, um sich über das Tagesgeschehen und den gesellschaftlichen Prozess zu informieren, gehe das „Weltwissen“ in der Bevölkerung nachweisbar immer weiter zurück.

Doch nicht nur politische Ignoranz und politisches Desinteresse breiteten sich aus und würden zu einer Gefahr für die Demokratie. Den Bürgern komme auch die Fähigkeit zur Distinktion abhanden: Sie können nicht mehr zwischen professionell-journalistischen und nicht-professionellen Medienangeboten unterscheiden und wissen diesen Unterschied folglich auch nicht mehr zu schätzen. In einer von Donsbach verantworteten Repräsentativ-Befragung rechneten vier von zehn Deutschen Pressesprecher, Leser-Reporter und Redakteure von Kundenzeitschriften zu den Journalisten.

Und wie kommt der öffentliche Rundfunk ins Spiel? Ist er ein „Auslaufmodell“, wie die SRG soeben keck im SRF-Medienclub selbst suggerierte? Oder könnten mehr öffentlich finanzierte journalistische Angebote womöglich doch den Niedergang aufhalten? Zumindest die Inszenierung dieser langweiligen und verwirrenden Talkrunde, bei der einzig und allein der SRG-Generaldirektor Roger de Weck mit konzisen, fernsehgerecht vorgetragenen Argumenten brillierte, versprach diesbezüglich keine Wende. Gefordert sind letztlich wohl die Schulen – und die Qualitätsmedien selbst. Distinktionsfähigkeit wird durch Bildung und Erziehung generiert, und ohne sie wird es beim Publikum eben kaum noch Nachfrage nach hochwertigem Journalismus geben. Auch nicht, wenn dieser vermehrt aus Steuern oder Gebühren zwangsfinanziert werden sollte.

Erstveröffentlichung: Werbewoche vom 7.11.2014

Bildquelle: Chilling Soul/flickr.com

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