Schwimmer im Mahlstrom

19. Februar 2008 • Medienökonomie • von

Weltwoche 07/ 2008

Wer war vor zwei Jahren Chefredaktor der NZZ, von Radio DRS oder vom Blick? Keine Ahnung. Chefredaktoren unterscheiden sich von anderen Chefs durch Flüchtigkeit. in paar knappe Worte im Editorial, und er war weg. Spiegel-Chefredaktor Stefan Aust ist seit dieser Woche gewesener Spiegel-Chefredaktor. Die Nachfolge ist im Amt.

War der Spiegel in den dreizehn Jahren unter Aust eigentlich besser oder schlechter als unter seinem Vorgänger – wie hiess der schon wieder? Der Spiegel war unter Aust vermutlich weder viel besser noch schlechter als unter seinem Vorgänger Hans Werner Kilz. Und dass man sich nicht mehr an den Namen Kilz erinnert, und vielleicht bald auch nicht mehr an den Namen Aust, bringt uns zum Thema.

Der Chefredaktor. Es gibt nur wenige Chefredaktoren, an die man sich wirklich erinnert. Chefredaktoren sind in aller Regel vom Schicksal geschlagen, dass sie flüchtige Figuren sind. Sie kommen und gehen, wie Reisende, aber nur ganz wenigen gelingt es, zu erreichen, dass man sie nicht vergisst, wenn sie nicht mehr da sind.

Wir können unsere Eingangsfrage auch auf die Schweiz übertragen. Gehen wir zum Beispiel zwei Jahre zurück. Vor zwei Jahren war Hugo Bütler Chefredaktor der Neuen Zürcher Zeitung – ist das Blatt unter seinem Nachfolger eigentlich besser oder schlechter geworden? Vor zwei Jahren war Werner De Schepper Chefredaktor des Blicks – ist das Blatt unter seinem Nachfolger eigentlich besser oder schlechter geworden? Vor zwei Jahren war Marco Färber Chefredaktor von Radio DRS – ist das Radio unter seinem Nachfolger eigentlich besser oder schlechter geworden?

Die NZZ und der Blick und Radio DRS sind vermutlich nicht viel besser und nicht schlechter geworden. Und auch die Bilanz und die Schweizer Illustrierte und die Basler Zeitung sind vermutlich nicht viel besser und nicht schlechter als vor zwei Jahren, als sie noch andere Chefredaktoren hatten.

Es ist schwierig, als Chefredaktor einer Zeitung oder einem TV- und Radiosender wirklich einen unverwechselbaren Stempel aufzudrücken. Medienprodukte haben ein unglaubliches Beharrungsvermögen, sie haben eine starke und störrische Persönlichkeit, die meist stärker ist als die Persönlichkeit eines Chefs. Der Tages-Anzeiger etwa ist immer der Tages-Anzeiger geblieben, auch wenn in relativ kurzer Zeit sechs sehr unterschiedliche Schriftleiter an seiner Spitze standen.

Nur wenigen gelingt es, diesen zähen Mahlstrom eines Medienproduktes umzulenken. Tina Brown ist ein bekanntes Beispiel dafür: In den achtziger Jahren baute sie den Beliebigkeitstitel Vanity Fair erfolgreich zu einem brillanten Lesemagazin um. In der Schweiz könnte man Peter Rothenbühler nennen, der die eher elitäre Schweizer Illustrierte erfolgreich in ein populistisches People-Magazin verwandelte.

Weil der Charakter von Medienprodukten so schwerflüssig ist, gibt es folgerichtig nur wenige geglückte Turnarounds. Zeitungen und Zeitschriften, die einmal in einen Abwärtsstrudel geraten, sind nur selten daraus zu befreien. Was hat man nicht alles an Führungswechseln versucht, um eine Los Angeles Times oder ein Facts oder einen Daily Express wieder flottzumachen. Regelmässig scheiterten hier Chefredaktoren, die anderswo durchaus erfolgreich waren.

Das unterscheidet Medien von simplen Unternehmen ausserhalb ihrer Welt. Wenn wir die Eingangsfrage nochmals aufnehmen, dann stellen wir fest, dass auch CS und Swisscom und UBS und Kuoni und Sunrise einen anderen Chef haben als noch vor zwei Jahren. Sind die Unternehmen eigentlich besser oder schlechter geworden? Die Antwort ist klar.

Auch die CEOs von grossen Unternehmen kommen und gehen. Wenn sie gehen, ist ihr Unternehmen meist nicht wiederzuerkennen. Wenn Chefredaktoren gehen, ist ihr Unternehmen meist dasselbe.

Irgendwie tröstlich.

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