Gut gemeint ist nicht immer gut gemacht: Die am Samstag gestartete ARD-Themenwoche Toleranz wurde schon Tage im Vorfeld heftig kritisiert. Titel, Werbeplakate und Sendungsankündigungen werden vor allem in sozialen, aber auch in traditionellen Medien angegriffen. Ein Kommentar.
Tolerant sein ist lateinisch und bedeutet „erdulden“ oder „ertragen“. Durch die Kombination mit den Werbeplakaten, die Menschen außerhalb oder am Rande der Mehrheitsgesellschaft mit Fragen wie „Belastung oder Bereicherung?“ oder auch „Normal oder Nicht normal?“ zeigen, hat die ARD das Social-Media-Pulverfass entzündet, auf dem sie allein durch den Titel der Themenwoche schon saß. Denn die Frage, wer denn bitte hier für sich in Anspruch nehmen könne zu definieren, wer oder was zu „ertragen“ sei, kam gar nicht gut an bei Twitterern, Facebookern und Medienredakteuren. Und dass die Mehrheitsgesellschaft Menschen in Schubladen wie „Bereicherung“ oder „Belastung“ mit Hilfe der ARD einsortieren solle, schon mal gar nicht.
Das geht auch nicht! Egal ob Mehrheitsgesellschaft oder nicht, ob Homosexuelle, Behinderte, Flüchtlinge, religiöse, ethnische oder sonstige Minderheiten: Niemand kann entscheiden, was „normal“ ist. Wir alle sind Otto Normalverbraucher oder auch Susi Sonderbar. Und wer sich bisher eher wie Otto Normalverbraucher fühlt, kann durch einen schrecklichen Unfall oder auch einfach die Zeit und entsprechenden körperlichen Verfall zu einer Randgruppe werden. Niemand hat das Recht, in Schubladen zu stecken oder über Tolerierbares und Nicht-zu-Tolerierendes zu entscheiden. Vor allem sind wir über eine Diskussion des Erduldens im Grunde schon länger hinausgewachsen, da wir mitten in einem Integrationsdiskurs stecken. Und wer würde schon jemanden integrieren wollen, von dem er noch nicht weiß, ob er ihn überhaupt ertragen kann. Insofern hat die ARD sich wohlmöglich unbedacht verhalten, bei einem so sensiblen Thema so provokative Worte zu wählen.
Aber so gemeint hat es die ARD und in Person der Koordinator der ARD-Themenwoche, Hans-Martin Schmidt, offensichtlich nicht. Es habe sich niemand persönlich verletzt fühlen sollen, erklärt er auf der Homepage des Bayrischen Rundfunks in einer Stellungnahme. Und dazu: „Wir greifen existierende Themen und Debatten auf, beziehen aber mit der Plakatkampagne keine Position, sondern wollen Denkanstöße geben.“ Denkanstöße zu einem Thema zu geben, das manchmal nicht bewusst und sensibel betrachtet wird, ist legitim.
Dass Schmidt dann aber noch bestätigt („Eine gewisse Provokation haben wir dabei in Kauf genommen“), dass diese Brüskierung der teils durch Stigmatisierung verletzten Gruppen einkalkuliert war, hat die Wogen im Social-Web nicht gerade geglättet. Oder wie es „Tersei Quannister“ bei Twitter postet: „Mit eurer ‚gewissen Provokation‘, die ihr ‚in Kauf genommen‘ habt, trampelt ihr auf den Gefühlen Marginalisierter herum.“ Nicht nur einmal fällt dazu in den sozialen Netzwerken das Wort „menschenverachtend“.
Ähnlich harsch kritisiert wurde die Ankündigung des Hessischen Rundfunks zu einer Sendung mit dem Titel „Der Tanz um die Toleranz“ mit den Worten: „Ist sich das knutschende schwule Paar in der U-Bahn eigentlich bewusst, wie viel Toleranz es seinen Mitreisenden abverlangt? Und mit welcher Beharrlichkeit die muslimische Kollegin den Betrieb in der Kantine lahmlegt, weil sie unbedingt wissen muss, ob in dem Essen auch wirklich kein Schweinefett enthalten ist?“ Die Ankündigung wurde daraufhin überarbeitet. Oder wie der Tagesspiegel schreibt: „Letztlich korrigierten die Verantwortlichen nur einen Grammatikfehler und veröffentlichten ein ‚Update‘, das die unglücklichen Formulierungen als ‚pointierte, journalistische Fragestellungen‘ verteidigt.“ Das stieß auf noch weniger Toleranz der Twitterer: „erschüttert“, „entsetzt“, „peinlich“.
Die Entrüstung in den sozialen und klassischen Medien über diese Arbeit der ARD zeigt, dass die Verantwortlichen ein heikles Thema zur Themenwoche auserkoren haben, bei dem aus Erfahrung durch Stigmatisierung und Ausgrenzung jedes Wort genau betrachtet wird. Dann sollte man sich nicht so provokant verhalten und in einer Stellungnahme über Äußerlichkeiten und Vorurteilen verlauten lassen: „Genau damit spielt die Kampagne“. Für die Menschen, die es betrifft, ist es kein Spiel. Aber das eigentliche Problem ist eben nicht die ARD und deren Kampagne inklusive diverser Rettungs- und Erklärversuche, sondern die Tatsache, dass diese Stigmatisierung und Ausgrenzung stattfindet. Und daran sollte sich etwas ändern. Es wird nach all der anonymen und öffentlichen Schelte der ARD-Themenwoche und ihrer PR dafür Zeit, dass wir endlich die Metaebene verlassen und uns um das Thema des integrativen, gleichberechtigten und gemeinschaftlichen Zusammenlebens kümmern.
Bildquelle: Jason A. Howie/flickr
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