Gefährdetes „Ökosystem“

8. April 2010 • Medienökonomie, Qualität & Ethik • von

Erstveröffentlichung: Die Furche

Vom Wunschdenken war mehrfach die Rede, als jüngst bei einer vom Medienhaus Wien veranstalteten Konferenz sich Experten aus aller Welt über die Zukunft des Journalismus die Köpfe heiß redeten.

Phil Meyer, der Grandseigneur der US-amerikanischen Journalismus-Forschung, setzt große Hoffnungen in die Spendenbereitschaft seiner Landsleute und in philanthropische Aktivitäten. Sie sollen dafür sorgen, dass der Journalismus auch dann überlebt, wenn er sich nicht mehr – wie bisher – weitgehend aus den Werbeerlösen der Verlage finanzieren lässt. Denn absehbar fliessen die Werbe-Milliarden künftig entweder zu Suchmaschinen wie Google und in soziale Netzwerke wie Facebook oder Youtube.Andere einst einträgliche Werbemärkte lösen sich ganz und gar in Luft auf, weil beispielsweise Kleinanzeigen online gratis zu haben sind.

Alan Rusbridger, der als Chefredakteur des Guardian zu den Wegbereitern eines hochwertigen Online-Journalismus zählt, hofft als ultima ratio auf Subventionen für die notleidenden News-Websites – wobei offen blieb, ob der Staat den ohnehin unter hohen Steuer- und Schuldenlasten stöhnenden Bürgern direkt in die leeren Taschen greifen oder die Gebührengelder für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk umverteilen soll, wenn die traditionellen Einkünfte aus Printmedien nicht mehr sprudeln.

Derweil hat das Project for Excellence in Journalism in seinem neuen Jahresbericht vorgerechnet, dass allein in den USA die Zeitungsredaktionen in den letzten drei Jahren um 15 000 Journalisten geschrumpft sind – das sind mehr als ein Viertel aller Jobs, die es 2007 noch gab. 1,6 Milliarden Dollar haben die Verlage seither an ihren Redaktionen Personalkosten eingespart. Machen wir uns nichts vor: Das bedeutet Existenzgefährdung für das „Ökosystem“ Journalismus, in dem auch die besten Redaktionen auf die Vorleistungen von tausendundein anderen Newsrooms angewiesen bleiben. Solch massive Einschnitte lassen sich weder durch Spenden noch durch Subventionen auffangen.

Weshalb ich Meyer und Rusbridger nur mein eigenes Wunschdenken entgegenzusetzen vermag: Mögen die Verlage, statt alles gratis ins Netz zu stellen, was sie gedruckt noch verkaufen möchten, endlich Vernunft annehmen und auch ihre Online-Leserinnen und Leser davon überzeugen, dass journalistische Qualität und Unabhängigkeit auf Dauer nicht gratis zu haben sind. Schon die Wortschöpfung „Paywall“ ist eine Absurdität: Kein Limonadenhersteller, kein Bäckermeister käme auf die Idee, von einer „Bezahlschranke“ zu reden, nur weil er von seinen Kunden für die Ware, die er liefert, eine faire, angemessene Gegenleistung erwartet.

Bildquelle: Andrew Magill

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