Medien unter Beschuss? Wann negative Kommentare Medienmarken wirklich schaden

13. September 2022 • Digitales, Qualität & Ethik, Redaktion & Ökonomie, Top • von

Die Zeiten, in denen Leserbriefe als Hauptquelle für Rückmeldungen aus dem Publikum dienten, sind in Medienhäusern längst vorbei. Mit der Digitalisierung kamen unzählige Möglichkeiten für Leser, Zuhörer oder Zuschauer auf, um auf journalistische Erzeugnisse unmittelbar zu reagieren und ihre Meinung über deren Qualität kundzutun – und zwar ohne Vorauswahl seitens der Redaktionen und oftmals sofort öffentlich für jeden User einzusehen. Die Kommentarfunktionen auf sozialen Plattformen wie Facebook und Twitter oder auch direkt auf den Webseiten journalistischer Medien halten die Redaktionen seither in Schach. Dabei ist es nicht nur der konkrete Inhalt einzelner Kommentare, der Digitalstrateginnen und Redakteure umtreibt, sondern auch die breitere Wirkung von Kommentaren auf die Wahrnehmung derer, die „mitlesen“: Was machen negative Kommentare mit unserem Publikum? Nimmt es unser Medienhaus als weniger vertrauenswürdig wahr? Schaden die Kommentare unserer Marke?

Auch die Wissenschaft beschäftigen solche Fragen zur breiteren Wirkung kritischer Kommentare. An der Universität Antwerpen zum Beispiel haben sich Patrick F. A. van Erkel und Karolin Soontjens unlängst damit auseinandergesetzt, wie negative Tweets von Politikern die Wahrnehmung des Publikums hinsichtlich Medienmarken beeinflussen. Besonderen Anstoß zur Studie gab wohl der Fall des US-amerikanischen Ex-Präsidenten Donald Trump, der seinen Twitter-Account regelmäßig dazu nutzte um unliebsame Medienhäuser wie etwa die New York Times mit harscher Kritik und Häme zu überziehen. Doch auch in einem kleineren Land wie Belgien, in dem journalistische Medien traditionell vergleichsweise hohes Vertrauen genießen, erscheint die Frage relevant, wie Bürgerinnen und Bürger es einordnen, wenn politische Eliten auf Twitter „Medienbashing“ betreiben. Van Erkel und Soontjens untersuchten dies anhand eines Experiments mit insgesamt 377 Teilnehmenden: Als Teil einer Online-Umfrage wurde einer Experimentalgruppe flämischer Bürger*innen ausgedachte Tweets vom Twitter-Account einer politischen Partei vorgelegt. Diese Tweets bezogen sich auf den öffentlich-rechtlichen flämischen Sender VRT und warfen ihm wahlweise ideologische Befangenheit („ideological bias“) oder Fehler bzw. Ungenauigkeit („being incorrect and inaccurate“) in einem Nachrichtenbeitrag vor.

Der Vorwurf tendenziöser Berichterstattung wirkt – wenn die Lieblingspartei ihn äußert

Je nach vorher angegebener Parteienpräferenz der Befragten, wurde der absendende Twitter-Account im Experiment variiert: Mal kamen die Tweets von der Lieblingspartei, mal von der, die sie am wenigsten mögen. Einen signifikanten Effekt machten die Forschenden bei Tweets aus, die von der jeweiligen bevorzugten Partei kamen. Wenn diese dem Sender vorwarf, befangen zu sein, schätzten die Befragten der Experimentalgruppe den Sender zu einem signifikanten Grad als befangener ein, als es die Befragten der Kontrollgruppe taten, denen überhaupt keine Tweets vorgelegt wurden. Bei Tweets, in der die Lieblingspartei dem Sender Ungenauigkeit vorwarf, gab es diesen Effekt allerdings nicht. Auch wenn entsprechende Tweets von der jeweils unbeliebtesten Partei kamen, gab es keine statistisch bedeutsamen Unterschiede zwischen Experimental- und Kontrollgruppe in ihrer Einschätzung des öffentlich-rechtlichen Medienhauses.

Medienvertrauen insgesamt schwer zu erschüttern
Van Erkel und Soontjens prüften auch, ob die jeweilig abgewandelten Tweets einen Einfluss auf das Vertrauen der Menschen in den Sender und in Nachrichtenmedien insgesamt hatten. Auch dies war weder bei Tweets der bevorzugten noch bei Tweets der unbeliebtesten Partei der Fall. Die Forschenden kamen also zu dem Schluss, dass Politiker bei ihren Parteianhängern durchaus die Wahrnehmung verstärken können, dass ein Medienunternehmen tendenziös berichtet. Um das Vertrauen in und die Wahrnehmung von Nachrichtenmedien insgesamt zu erschüttern, braucht es aber offenbar mehr als ein paar Tweets.

Das sind erst einmal gute Nachrichten für Journalistinnen und Journalisten. Doch können sie auch selbst in den Kommentarspalten aktiv etwas für die Publikumswahrnehmung ihres Medienhauses tun? Dieser Frage sind Fabian Prochazka von der Universität Erfurt und Magdalena Obermaier von der Ludwig-Maximilians-Universität München nachgegangen. Sie haben ein Experiment mit 1.155 Teilnehmenden durchgeführt, um zu untersuchen, wie das Publikum Medienhäuser in ihrer Markenqualität wahrnimmt, nachdem diese in Social-Media-Kommentaren der Befangenheit und der Fehlerhaftigkeit bezichtigt wurden. In Procharzkas und Obermaiers Studie wurden die Befragten mit einem fiktiven Pressehaus („Aktuelle Rundschau“), seinen Facebook-Posts und User-Kommentaren dazu konfrontiert. Zudem legten die Forschenden den Studienteilnehmern Szenarien vor, in denen das Medienhaus selbst per Kommentarfunktion zu den kritischen Anmerkungen Stellung nimmt: Entweder indem es Fehler einräumt und sich verantwortlich zeichnet („accountability“) oder Fehler abstreitet und indem es zusätzlich noch eine Erklärung liefert („transparency“), warum ein oder kein Fehler seinerseits vorlag.

Unterschiedliche Wirkung auf Medienskeptiker und Medienbefürworter

Was die Publikumswahrnehmung der Markenqualität angeht, gleichen die Studienergebnisse hier denen aus Belgien: Fehlervorwürfe in Kommentaren hatten keinen signifikanten Einfluss darauf, wie die Befragten die Marke wahrnahmen. Bei Kommentaren, die voreingenommene Berichterstattung kritisieren, sah dies schon anders aus. Hier gab es statistisch relevante Effekte. Besonders interessant ist, dass Procharzka und Obermaier dabei zwischen Medienskeptikern („media cynics“) und Medienbefürwortern („media supporters“) unter den Befragten unterscheiden. Sie fanden heraus, dass Menschen, die Medien gegenüber eher zynisch eingestellt waren, auf den Vorwurf der Voreingenommenheit ansprangen und die Markenqualität des Medienhaus signifikant niedriger einschätzten. Bei Menschen, die eine positive Einstellung gegenüber Medien an den Tag legten, ging der Effekt in die entgegengesetzte Richtung: Die Kommentare, in denen dem Medienhaus Voreingenommenheit vorgeworfen wird, führten dazu, dass diese Menschen die Markenqualität signifikant höher einschätzen. Die Erklärung der Forschenden: Angesichts solcher Vorwürfe scheinen Medienbefürworter die Medien eher verteidigen zu wollen.

Empfehlung: Transparente Erklärungen liefern!

Doch welchen Effekt hatte es, wenn sich das Medienhaus selbst aktiv der Kommentarfunktion bediente? Tatsächlich hat sich ein Abstreiten von Fehlern im Gegensatz zum Nicht-Reagieren als zuträglich für die Publikumswahrnehmung herausgestellt. Was lediglich bei den Medienskeptikern einen Unterschied machte: Wenn das Medienhaus Fehler zugab. Dann stieg es in der Gunst dieser Befragten. Den Medienunterstützern war ein Einräumen von Fehlern anscheinend egal bei ihrer Einschätzung der Markenqualität. Wenn das Medienhaus zudem eine Erklärung lieferte, warum ein bzw. kein Fehler passiert ist, wirkte sich dies positiv auf die Wahrnehmung der Befragten hinsichtlich der Markenqualität aus – unabhängig davon, ob es sich um Skeptiker oder Befürwortet handelte. Procharzka und Obermaier stellen also fest: Eine transparente Erklärung scheint die beste Strategie im Umgang mit Medienkritik aus Nutzerkommentaren zu sein.

Ob sich auch Parteianhänger von twitternden Politikern davon beeindrucken lassen? Das wäre zumindest eine von vielen weiteren spannenden Frage für Experimentalstudien im Bereich der Wirkungsforschung zu Nutzerkommentaren.

Quellen:

  • Prochazka, F. & Obermaier, M. (2022). Trust through Transparency? How Journalistic Reactions to Media-Critical User Comments Affect Quality Perceptions and Behavior Intentions, Digital Journalism, 10(3), 452-472, DOI: 10.1080/21670811.2021.2017316
  • Van Erkel, P. & Soontjens, K. (2022). Attacking the Gatekeepers: A Survey Experiment on the Effects of Elite Criticism on the Media. International Journal of Communication, 16 (2022), 3516–3533.

Beitragsbild: Pixabay

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