Die neueste Ausgabe des Reuters Digital News Report beschreibt eine für Nachrichtenmedien bedrohliche Entwicklung: In Deutschland geht das Interesse an Nachrichten ebenso zurück wie das Vertrauen in Medien und die Bereitschaft, für Journalismus im Netz zu bezahlen.
Bei oberflächlicher Betrachtung der Nachrichtenlandschaft ist die Welt oder jedenfalls Europa nahtlos von einer Krise in die nächste geschlittert: Mit dem Ende der sichtbarsten Einschränkungen durch die Covid-19-Pandemie begann der russische Angriff auf die Ukraine, mit allen menschlichen, gesellschaftlichen und auch wirtschaftlichen Folgen. Doch für Nachrichtenmedien in Deutschland scheinen sich die beiden Krisen fundamental zu unterscheiden: Vor allem zu Beginn der Pandemie wurde eine verstärkte Medien- und Nachrichtennutzung bei insgesamt hohem Vertrauen in die Medien sichtbar, die Menschen hatten hohen Bedarf an Informationen und aufgrund der Einschränkungen des öffentlichen Lebens auch mehr Zeit zum Medienkonsum. Wirtschaftlich konnte sich die Branche auch aufgrund einer überraschend schnellen Erholung des Werbemarktes an diese Krise anpassen.
Eine frühere Erhebung von Nutzungsmustern für die ARD/ZDF-Massenkommunikation Trends hatte mit einem Erhebungszeitraum von Januar bis April 2022 bereits den Beginn des Krieges in der Ukraine umfasst und konnte insgesamt kaum Veränderungen in der Mediennutzung in dieser Zeit nachweisen. Mit dem kürzlich veröffentlichten Digital News Report des Reuters-Instituts für 2023 stehen nun Daten zur Verfügung, die hauptsächlich im Zeichen des Krieges statt der Pandemie erhoben wurden: Im Januar und Februar 2023 ließ das Institut in 46 Ländern jeweils über 2000 Menschen per Online-Befragung Auskunft zu ihrer Mediennutzung und ihren Einstellungen gegenüber Medien geben. Und anders als in der Pandemie zeigen zumindest für Deutschland nun eine Reihe von Indikatoren nach unten. Sascha Hölig vom Hamburger Hans-Bredow-Institut, der den deutschen Beitrag zum Report verantwortet, fasst die Entwicklung in seinem Länderbeitrag zusammen als leichten Rückgang bei Nachrichteninteresse, Nachrichtennutzung und Nachrichtenvertrauen.
Interesse und Vertrauen erodieren
Demnach geht vor allem das Nachrichteninteresse in Deutschland zurück – und zwar durchaus dramatisch, wenn man die Entwicklung über mehrere Jahre betrachtet: Nur noch 52 Prozent der Befragten bezeichneten sich als sehr oder extrem interessiert an Nachrichten. Das sind fünf Prozentpunkte weniger als im Vorjahr und 22 Prozentpunkte weniger als noch 2015, im Ländervergleich zeigt sich ein besonders starker Rückgang in den vergangenen beiden Jahren. Neun Prozent gaben sogar an, in der Woche vor der Befragung keinerlei Nachrichten konsumiert zu haben – weder online noch offline. Die Darstellung der deutschen Studienergebnisse zeigt außerdem: Es gibt eine Gruppe, die zwar Nachrichten verfolgt, aber bestimmte Themen ausblendet. Dieses Verhalten betrifft besonders häufig Nachrichten über den Krieg in der Ukraine.
Mit der geringeren Nutzung geht ein Vertrauensverlust einher: Nur noch 43 Prozent der befragten Deutschen gaben an, den Nachrichten überwiegend zu vertrauen, sieben Prozentpunkte weniger als im Vorjahr. Unter den 46 untersuchten Märkten reicht das zwar noch zu Rang 14, doch die Erosion des Vertrauens verlief den Reuters-Daten zufolge in Deutschland zuletzt schneller als in anderen Ländern. Tagesschau, ZDF heute sowie Regional- und Lokalzeitungen stehen beim Vertrauen noch am besten da.
Und es gibt noch mehr schlechte Nachrichten: Auch bei der bisher zahlenden Kundschaft sorgen Zeitmangel und Kaufkraftverlust dafür, dass bezahlte Abonnements in Frage gestellt werden. Der Reuters Report erhebt seit mehreren Jahren Daten zur Zahlungsbereitschaft für Online-Nachrichten. Diese lag in Deutschland immer unter dem Durchschnitt entwickelter Industrienationen und weit hinter den skandinavischen Ländern, aber auch den USA. In der aktuellen Ausgabe hat mit 11 Prozent der Befragten noch ein knapp zweistelliger Anteil für Nachrichten im Netz bezahlt, ein Rückgang von drei Prozentpunkten im Vergleich zum Vorjahr. In den USA, Großbritannien und Deutschland untersuchte die Studie Veränderungen im Laufe des Jahres 2022 genauer: Während 44 Prozent der zahlenden Online-User in Deutschland keine Veränderung vorgenommen haben, gaben jeweils 19 Prozent an, Abonnements gekündigt oder einen günstigeren Preis ausgehandelt zu haben. 20 Prozent haben neue Verträge geschlossen, häufig mit den üblichen Vergünstigungen in den ersten Wochen oder Monaten.
Viele sind aus Überzeugung nicht bereit, Nachrichten im Netz zu bezahlen
Medienunternehmen stehen also auch bei einem großen Teil des zahlungsbereiten Publikums unter ständigem Preisdruck. Noch problematischer ist der Markt aber unter jenen, die bisher nicht für Nachrichten im Netz bezahlen: Während ein günstiger Preis, Werbefreiheit oder besonders hochwertige Inhalte einige Befragte zum Abschluss eines Abos verleiten könnten, gaben 54 Prozent der deutschen „Nicht-Zahlenden“ an, dass sie unter keinen Umständen bereit seien, für Online-Nachrichten Geld auszugeben – der zweithöchste Wert hinter Großbritannien.
Eingeschränktes Interesse an Nachrichten, sinkendes Vertrauen, geringe Zahlungsbereitschaft und durch Krieg und Inflation auch wieder größere Fragezeichen hinter der Entwicklung des Werbemarktes: Es sind schwierige Zeiten, um mit Nachrichten Geld zu verdienen. Der Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger wies in seinem Branchenbeitrag zur wirtschaftlichen Lage der deutschen Zeitungen für das Jahr 2022 darüber hinaus noch auf heftige Kostensteigerungen hin, die vor allem die gedruckten Zeitungen betreffen: Zeitungspapier war infolge von Lieferengpässen und Inflation im Frühjahr 2022 so teuer wie nie, hinzu kämen die Energiepreise sowie höhere Kosten bei der Zeitungszustellung durch Einführung und geplante Erhöhung des Mindestlohns.
Gibt es bisher ungenutzte Chancen und Potentiale? Zumindest in einigen skandinavischen Märkten und in Benelux sieht der Reuters-Report einen noch jungen Trend hin zu Bündel-Angeboten, die unterschiedliche Medien enthalten: Ein Teil des Nachrichten-Publikums scheint sich ein einfach zu nutzendes Angebot ähnlich wie bei Musik- und Video-Streamingdiensten zu wünschen, bei dem es nicht nur Zugriff auf einzelne Titel bekommt, sondern zum Beispiel die Digitalausgaben der überregionalen zusammen mit der Regional- und Wochenzeitung.
Literatur
Newman, N., Fletcher, R., Eddy, K., Robertson, C.T., Nielsen, R.K. (Eds.). (2023). Reuters Institute Digital News Report 2023.
Behre, J., Hölig, S., Möller, J. (2022). Reuters Institute Digital News Report 2023. Ergebnisse für Deutschland.
Schlagwörter:Bezahlinhalte, Digital News Report, Mediennutzung, Medienvertrauen