Der Medienwandel erfasst auch jene Redaktionen, welche über die Wissenschaft berichten. Können sie davon profitieren, wenn die Medien vermehrt ressortübergreifend arbeiten?
Derzeit werden drei Varianten erkennbar, wie große Medienhäuser auf die Konvergenz, auf das Zusammenfließen der Mediengattungen, reagieren: Im Extremfall werden, wie bei der SRG, einzelne Fernseh-, Radio- und Online-Redaktionen zusammengefasst. Ähnliches tun in Deutschland die Axel Springer AG, der Verlag Gruner und Jahr sowie die WAZ-Gruppe, welche ganze Zeitungs-, Zeitschriften- und Online-Redaktionen zusammenlegen.
Weniger weit gehen jene Häuser, die Mantelredaktionen auslagern, welche dann mehrere Zeitungstitel beliefern. – Der Kölner Verlag Neven DuMont arbeitet so mit der “Berliner Zeitung”, der “Frankfurter Rundschau”, dem “Kölner Stadtanzeiger” und der “Halleschen Zeitung”.
Unspektakulärer sind schließlich die Beispiele jener Medien, welche die Ressortmauern einreißen und flexiblere Teamstrukturen einführen. So entstehen – als Modelle für die künftige, konvergente Medienwelt – Newsrooms und Newsdesks, die mehrere Kanäle, zumindest aber Print und Online gemeinsam bedienen.
Größer, leistungsfähiger?
Was heißt das für den Wissenschaftsjournalismus? Im besten Fall entsteht durch Zusammenlegung ein größeres, leistungsfähigeres Ressort. Wahrscheinlicher werden indes einige feste Stellen wegrationalisiert, denn das ist ja Sinn und Zweck der Übung. Im ungünstigeren Fall werden sie eingespart, im günstigeren ausgelagert und durch flexibler einsetzbare freie Mitarbeiter ersetzt.
Ob Newsrooms eher eine Bedrohung oder eine Chance für den Wissenschaftsjournalismus sind, darüber streiten sich die Betroffenen vorerst noch. Es liegt nahe, anzunehmen, dass gerade die kleinen Ressorts im Umstrukturierungsprozess besonders gefährdet sind. Zum einen können sie wenig Hausmacht im internen Verteilungskampf aufbringen, zum anderen schlägt die Kürzung von ein oder zwei Stellen in einem kleinen Ressort ganz anders zu Buch als in einem großen.
Bei der SRG arbeiten die Mitarbeiter der Wissenschaftsredaktionen, die insgesamt 13 Fernsehredaktionsstellen sowie 9 Vollstellen im Radio umfassen, alle auch am Online-Angebot mit. Mit Blick auf die Konvergenz wird es aber wohl erst im Lauf dieses Jahres spannend. Da steht die Entscheidung an, ob die Radio- und die Fernseh-Wissenschaftsredaktionen fusionieren. Beim Sport wurde ein solcher Zusammenschluss bereits realisiert.
Bei den Qualitätszeitungen in der Schweiz sind die Wissenschaftsredaktionen geschrumpft: Bei der NZZ von 510 auf 390, beim “Tages-Anzeiger” von 560 auf 420 Stellenprozente. Beide Redaktionen befinden sich noch in einem Vorstadium der Konvergenz. Die Online-Berichterstattung läuft eher nebenher mit. Auch bei den beiden großen deutschen überregionalen Titeln, der “Frankfurter Allgemeinen Zeitung” und der “Süddeutschen Zeitung”, bilden Online- und Presseredaktionen noch Parallelwelten.
Die Wissenschaftsredaktion der “FAZ” ist binnen weniger Jahre von sechs auf drei Redaktoren geschrumpft, also halbiert worden. In der Online-Redaktion sitzt ein weiterer Wissenschaftsredaktor, der aber zugleich für das Feuilleton die Sachbücher betreut. Bei der “SZ” war der Aderlass nicht weniger heftig. Es sind derzeit sechs Redaktoren fest angestellt; vor eineinhalb Jahren waren es, so der Leiter der Wissenschaftsredaktion, Patrick Illinger, noch acht.
Besonders spannend ist es natürlich, zu sehen, wie sich der Wissenschaftsjournalismus in zusammengelegten Redaktionen entwickelt – also etwa bei Axel Springer, wo eine einzige Redaktion inzwischen für “Welt”, “Welt am Sonntag”, “Welt online”, “Welt kompakt”, “Welt HD App”, “Welt aktuell”, “Welt Mobil” sowie das Regionalblatt “Berliner Morgenpost” zuständig ist.
In der Wissenschaftsredaktion dieser Gruppe sind neun feste Redaktoren beschäftigt. Jeder von ihnen arbeitet für alle Titel, also auch für die Online-Angebote. Betriebsgeheimnis bleibt jedoch, wie viele Stellen bei der Zusammenlegung gekürzt wurden. Die Zahl der im Wissenschaftsressort arbeitenden Personen sei “aufgrund der sich veränderten Konstellation nicht vergleichbar mit Mitarbeiterzahlen aus früheren Jahren”, heißt es ausweichend im PR-Speak des Konzerns.
Um das Bild abzurunden, noch ein Blick zur Gratiszeitung “20 Minuten”: In deren schlanker Redaktion war natürlich weder ein Wissenschaftsressort noch ein eigener Publikationsplatz für Forschungsthemen vorgesehen – bis sich ein Sponsor fand. Zwei Stiftungen waren der Meinung, dem jungen Publikum dieser Zeitung müsse Wissenschaft nahegebracht werden, und spendierten dem hochrentablen Blatt eine entsprechende Rubrik – obschon “20 Minuten” erkennbar den übrigen Schweizer Pressemarkt bedrängt, einschließlich der hauseigenen Titel von Tamedia.
Folgen des Wettbewerbs
Wie Inhaltsanalysen zeigen, hat der Wissenschaftsjournalismus in den letzten Jahren in den etablierten “alten” Medien eine Blütezeit erlebt. Zu befürchten ist indes, dass sich dieses Publikum als Folge der Medienkonvergenz spaltet. Der kleinere Teil der wirklich Wissenschaftsinteressierten wird, entsprechende Zahlungsbereitschaft vorausgesetzt, besser denn je informiert werden. Darauf deuten nicht zuletzt die erstaunlich stabilen Auflagen der Wissenschaftsmagazine hin.
Am Großteil des Publikums wird künftige Wissenschaftsberichterstattung aber wohl eher vorbeizielen. Weil die Informationsflut im Internet so unüberschaubar ist, entwertet der Überfluss die einzelne Nachricht. Ob sich die hohe Bereitschaft, für Print-Wissenschaftsjournalismus zu zahlen, in die konvergierende Web-2.0-Welt hinüberretten lässt, “wissen wir noch nicht”, konstatiert denn auch der Chefredaktor von “Bild der Wissenschaft”, Wolfgang Hess.
Mit der Ressortgrenze fällt vielerorts auch der Schonraum, der gesicherte eigene Publikationsplatz. Das kann eine Chance sein zu mehr Zusammenarbeit. Durch Konvergenzprozesse wird der Trend absehbar verstärkt, dass aus Wissenschaftsjournalismus Wissenschaftsjournalismus wird: Medien berichten dann seltener über einzelne Forschungsprojekte, ziehen aber dafür öfters das Fachwissen von Wissenschaftern heran, um tagesaktuelle Fragen zu klären. Das journalistische Handeln, so der Medienforscher Markus Lehmkuhl von der FU Berlin, werde dann weniger von den Erwartungen der Wissenschafter als von der Konkurrenz um Publika bestimmt.
“Das alte System ist kaputt”
Damit einhergehend verändern sich aber auch die Arbeitsbedingungen für Wissenschaftsjournalisten drastisch: “Das alte System ist kaputt. Und das neue parasitiert unseren Arbeitsalltag”, so klagt der Leiter des Wissenschaftsressorts der “FAZ”, Joachim Müller-Jung, im Fachmagazin “Wissenschafts- und Medizinjournalist”: “Nehmen wir die Blattplanung im Wochenrhythmus. Wissenschaft in der Wochenbeilage hat etwas Abgeschlossenes, Ghettohaftes gelegentlich, auch etwas Abgestandenes, zugegeben. Aber das hat uns auch Luft gelassen zum Durchatmen, zum Überdenken. Im Cyberraum jagt ein Thema das nächste.”
Dass die Redaktionsarbeit hektischer wird, dazu tragen auch die Universitäten und Forschungseinrichtungen ihr Scherflein bei. Allesamt haben sie entdeckt, wie wichtig für sie öffentliche Aufmerksamkeit ist, und so füttern sie die Redaktionen mit Material. Ihre Kommunikationsabteilungen sind inzwischen personell meist besser ausstaffiert als die korrespondierenden Wissenschaftsredaktionen.
Die Forschungsstätten suchen aber auch an den Redaktionen vorbei direkten Kontakt zu ihren Zielgruppen und machen so dem Wissenschaftsjournalismus Konkurrenz. Für Petra Giegerich, die Leiterin der Pressestelle an der Universität Mainz, wird das Internet “zum zentralen Trägermedium – von Text, Bild und Video”. Anne Hardy-Vennen, Referentin für Wissenschaftskommunikation an der Universität Frankfurt, bestätigt, die direkte Kommunikation mit Zielgruppen sei “letztlich lohnender und befriedigender”. Im Filter der Medien blieben “viele Themen hängen, und es ist schade um die vergeblich investierte Arbeit”.
Viele Journalisten merken noch kaum, wie dramatisch Public Relations ihren Arbeitsalltag beeinflussen. Der Wissenschafts-Ressortchef der “FAZ” ist da realistisch: “Schluss ist mit den sorgfältigen Recherchen in den wissenschaftlichen Journalen”, so Müller-Jung. “Was einem beim stakkatohaften Scannen durch die virtuelle Realität der Online-Magazine und die massenweisen elektronischen Pressepakete auffällt, wird nicht mehr selektiert, sorgfältig markiert und kopiert.”
Papierflut
Und weiter meint Müller-Jung: “Was heute interessant genug daherkommt, und das ist immer mehr, wird rücksichtslos ausgedruckt. Adieu, papierloses Büro. Die gedruckten Journale türmen sich dafür unberührt auf dem Schreibtisch und auf diversen Ablagen. Wie Trutzburgen des Papierzeitalters stehen sie da, die vielen Haufen Wissenschafts- und Medizinmagazine. Gut zwanzig Ausgaben kommen jede Woche neu an, sie landen mit den allerbesten Absichten obendrauf, eine nach der anderen.”
Müller-Jung beschreibt allerdings den Alltag einer der bestausgestatteten deutschen Wissenschaftsredaktionen. Andere hängen noch mehr am Tropf der Öffentlichkeitsarbeit. Die überraschende Zwischenbilanz: In der Wissenschaftskommunikation ist ein Konvergenzprozess besonders weit fortgeschritten, den wir bisher gar nicht als solchen wahrgenommen haben – die Konvergenz von Wissenschafts-PR und Wissenschaftsjournalismus, wobei klar die PR die Oberhand gewinnen dürften.
Erstveröffentlichung: NZZ vom 31. Mai 2011
Schlagwörter:Axel Springer AG, FAZ, Internet, Konvergenz, Kürzungen, Medienwandel, Neven DuMont, Newsrooms, NZZ, SRG, SZ, Tages-Anzeiger, WAZ, Wettbewerb, Wissenschafts-PR, Wissenschaftsjournalismus