Lampenberg und Lampedusa

2. Oktober 2014 • Qualität & Ethik, Redaktionsmanagement, Ressorts • von

Die Ausland-Berichterstattung erlebt eine spektakuläre, aber auch bittersüße Renaissance.

Einmal im Jahr fliegen die Auslandkorrespondenten des Tages-Anzeigers zu einem Treffen in Zürich ein. Sie kommen aus Washington oder Johannesburg oder Mexiko. Zuerst reden sie über den Job. Dann folgt der fröhliche Teil.

Die Zeitung zahlt ihnen Flug und Hotel.

Es ist im Grunde wundersam, dass das Treffen der Korrespondenten bis heute überlebt hat. Im Hause Tamedia wurden in letzter Zeit sonst alle entbehrlichen Kosten gestrichen.

Nun, Tamedia hat Glück gehabt.

Wenn es in den Medien einen aktuellen Megatrend gibt, dann ist es die spektakuläre Wiedergeburt der Auslandberichterstattung. Islamischer Staat, Ukraine, Lampedusa, Irak, Syrien und Gaza. Internationale Politik, mit all ihrem Erklärungsbedarf, ist das journalistische Thema der Gegenwart.

Das Gezeter von Levrat, Darbellay und Brunner ist im Vergleich zu Putin, Abu Bakr al-Baghdadi und Abbas von marginaler Relevanz.

Leser, Hörer und Zuschauer, so sagen mir derzeit übereinstimmend Presse- und Rundfunkjournalisten, wollen heute ungleich tiefer über die Welt informiert werden. Sie wollen wissen, wie sehr ihr Leben durch Kiew und Bagdad fremdbestimmt werden kann. Sie haben ein zunehmend globalisiertes Informationsbedürfnis.

Auslandberichterstattung hat dadurch in den Medien merklich an Stellenwert zugelegt. Das ist neu. Lange galt das Ausland auf vielen Redaktionen als wenig attraktives Genre. Im “Ausland”, anders als in Ressorts wie “Inland”, “Wirtschaft” und “Region”, konnte man nie mit Exklusivität und Enthüllung brillieren.

Zudem waren die Korrespondenten enorm teuer. Es musste ihnen das Haus bezahlt werden, das Auto, das Büro und die internationale Schule für die Kinder. Auch die Steuerdifferenz zwischen der Schweiz und ihrem fiskalisch höher belasteten Einsatzort wurde ihnen zurückerstattet.

Als nach dem Jahr 2000 in den Verlagen die massiven Sparrunden einsetzten, wurde darum im Ausland gehörig abgeholzt. Die großen Regionalblätter wie Aargauer Zeitung, Berner Zeitung und Basler Zeitung beschäftigen heute nur noch einen einzigen Auslandredaktor. Hauseigene Korrespondenten haben sie nicht mehr. Jeweils fünf oder sechs der Regionalblätter leisten sich gemeinsam ein paar freie Journalisten in London, Berlin und Washington, die sie schlecht bezahlen.

Nun rächt sich dieser Sündenfall. Die Welt dreht sich wie verrückt, doch die neunzig Prozent der Schweizer Leser, die eine Regionalzeitung lesen, bekommen im Auslandteil nur noch ein Informationsangebot im unteren Mittelmaß.

Es gibt in der Deutschschweizer Presse nur noch zwei Auslandredaktionen, die so bestückt sind, dass sie echte Qualität liefern können. Der Leuchtturm bleibt die NZZ. Hier arbeiten zwölf Redaktoren in der Zentrale und 39 Korrespondenten rund um die Welt. Beim Tages-Anzeiger sitzen fünf Leute am Desk, und es liefern siebzehn festangestellte Korrespondenten.

Auch der Staatsfunk ist im Ausland erfreulich gut bestückt. Die SRF-Radios aus den drei Landesteilen haben weltweit neunzehn feste Korrespondenten im Einsatz. Bei den drei TV-Landessendern sind es insgesamt 24.

Die letzten fünfzehn Jahre waren in der Presse die Periode der Provinzialisierung. Die Verlage setzten auf das Prinzip der Nähe. Sie investierten in regionale Zeitungsableger und regionale Redaktionen. Sie suchten den Erfolg in Lampenberg BL, Unterkulm AG und Gais AR und nicht in Lampedusa, der Ukraine und in Gaza.

Nichts gegen Lampenberg. Aber die Zukunft Europas, und damit auch die Zukunft unserer Medien, entscheidet sich wohl eher in Lampedusa.

Erstveröffentlichung: Die Weltwoche vom 25. September 2014

Bildquelle: Ursel65 / Pixabay.com

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