Künstliche Intelligenz im Nachrichtenjournalismus

24. März 2025 • Aktuelle Beiträge, Digitales • von

Bild: Stefan Frerichs

Es gibt vielfältige Möglichkeiten, Künstliche Intelligenz (KI) im Journalismus bei der Nachrichtenrecherche, ‑erstellung und ‑verbreitung einzusetzen. (1) KI lässt sich beispielsweise zur journalistischen Datenanalyse, Audio- und Sprachanalyse oder Bild- und Videoanalyse einsetzen. Auch bei der Archivierung und Dokumentation sowie der Recherche und Verifikation wird Künstliche Intelligenz bereits genutzt. Das wichtigste Einsatzgebiet für erzeugende (generative) KI im Journalismus liegt bei der Texterzeugung, der Audio- und Spracherzeugung sowie der Bild- und Videoerzeugung. Außerdem kann Künstliche Intelligenz als redaktionelle Assistenz für Journalisten eingesetzt werden. Schließlich können journalistische Angebote mit KI-Unterstützung automatisch an verschiedene Verbreitungswege angepasst, barrierefrei gestaltet und für Suchmaschinen optimiert werden. Auch in der Nutzerkommunikation wird Künstliche Intelligenz von immer mehr Redaktionen eingesetzt.

Die Vorteile von Künstlicher Intelligenz gegenüber menschlichem Verstand sind offenkundig: Eine KI wird nie krank, müde oder urlaubsreif, und sie kann in kurzer Zeit eine große Zahl an Aufgaben erledigen. Die beiden wichtigsten Ziele KI-gestützter Nachrichtenproduktion sind also, den Personalaufwand zu senken und die Produktivität zu erhöhen. Dies ist vor allem dort sinnvoll, wo redaktionelle Arbeitsabläufe mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz vereinfacht und beschleunigt werden können oder durch KI sogar erst möglich werden.

Allerdings kann Künstliche Intelligenz sogar bei sorgfältigem Training falsche und unerwünschte Ergebnisse erzeugen. Einerseits treten insbesondere bei erzeugender (generativer) KI unwahre Angaben in Texten (Halluzination oder Konfabulation) oder fehlerhafte Darstellungen in Bildern auf. So werden in KI-Texten unwahre Sachverhalte oder fiktive Quellenangaben „erfunden“. KI-Bilder zeigen unmögliche Körper(teile) (wie überzählige Extremitäten) oder unrealistische Personen (wie multi-ethnische Wikinger). Andererseits sind die Texte und Bilder oft durch gesellschaftliche Stereotype und kulturelle Vorurteile geprägt. So werden Frauen und Männer einseitig in traditionellen Rollen dargestellt oder schwarze und weiße Menschen nach rassistischen Mustern.

Die Ursachen hierfür sind vielfältig: Künstlicher Intelligenz fehlen erlebtes Weltwissen und soziale Kompetenz. Häufig ist das Trainingsmaterial verzerrt, sodass auch die KI-Erzeugnisse tendenziös sind. Darüber hinaus ist KI nicht in der Lage, mit Humor, Ironie oder Sarkasmus umzugehen. Spezielle KIs haben zudem besondere Schwächen: So kann eine unterscheidungsbasierte KI keine neuen Inhalte erstellen, eine erzeugende (generative) KI kann nicht zählen und rechnen. Eine KI „erfindet“ oder „halluziniert“ jedoch nicht mit Absicht, sondern sie hat schlicht kein Bewusstsein für die erzeugten Ergebnisse wie KI- Texte oder ‑Bilder.

Wie die Digitalisierung und das Internet wird auch der Einsatz von Künstlicher Intelligenz die Nachrichtenproduktion weiter grundlegend verändern. Aufgrund von Erfahrungen in der Vergangenheit ist zu erwarten, dass die Medienunternehmen vorrangig auf die Senkung von Personalkosten und weniger auf die Sicherung der Produktqualität setzen werden. Demgegenüber könnten Nachrichtenredaktionen durch KI von Routineaufgaben entlastet werden und dadurch Zeit für anspruchsvolle Aufgaben wie Analysen, Kreativität und Recherchen gewinnen. Der Einsatz von Künstlicher Intelligenz dürfte sich somit im Spektrum zwischen zwei Extremmodellen bewegen, die insbesondere im Online-Journalismus wie folgt aussehen könnten.

Billigjournalismus ohne Journalisten

So sind einerseits Online-Angebote möglich, deren (Nachrichten‑)Seiten vollständig mit automatisch erzeugten KI-Texten gefüllt werden. Als Ausgangsmaterial können Meldungen von Nachrichtenagenturen, aber auch Texte aus anderen online verfügbaren Quellen wie dem eigenen Archiv oder Wikipedia dienen. Auf diese Weise kann eine Künstliche Intelligenz sämtliche relevanten Themenbereich von Politik, Wirtschaft und Regionales bis Kultur, Sport und Servicemeldungen abdecken. Die Gewichtung der Meldungen und Themen in einem solchen Online-Angebot ist ebenfalls weitgehend automatisch möglich. Politikmeldungen der Nachrichtenagenturen können in der Regel übergeordnet platziert werden, diese Regel kann durch eine geschickte Programmierung aber auch gezielt gebrochen werden. So lassen sich Sportmeldungen übergeordnet platzieren, sobald es zum Beispiel überraschende Spielergebnisse gibt oder eine Zusammenfassung des aktuellen Spieltages der Fußball-Bundesliga vorliegt. Darüber hinaus kann Künstliche Intelligenz eingesetzt werden, um aus Texten automatisch Podcasts und Webradio-Programme mit künstlichen oder geklonten Stimmen und entsprechende Video-Animationen mit Avataren zu erzeugen.

Über ein solches automatisch erzeugtes KI-Online-Angebot können zeit- und zielgruppenoptimiert große Mengen an Nachrichten verbreiten werden, die sich zu niedrigen Kosten erstellen lassen. Sofern es bei dieser vollständig automatisierten Programmierung zu Doppelungen oder Fehlern kommt, kann dies zugunsten der Kostensenkung hingenommen werden. Dagegen muss ein besonderes Augenmerk daraufgelegt werden, die KI-Texte automatisch für Suchmaschinen zu optimieren und über soziale Netzwerke zu verbreiten. (Nachrichten‑)Redaktionen, die Künstliche Intelligenz vorrangig zur Senkung von Personalkosten einsetzen, können im Extremfall sogar völlig ohne Journalisten auskommen. Technische Fachleute wie Datenanalysten oder Programmierer sind für ein vollständig automatisiertes Nachrichtenangebot wichtiger als Redakteure. Hier stellt sich die grundsätzliche Frage, ob man in einem solchen Fall überhaupt noch von “Journalismus” und “Redaktionen” sprechen könnte.

Qualitätsjournalismus mit KI-Assistenz

Anderseits sind Online-Angebote möglich, bei denen Künstliche Intelligenz ein wesentlicher Baustein in einer internationalen Verbreitungsstrategie von Qualitätsmedien ist. Für einen solchen KI-unterstützten Qualitätsjournalismus könnten sich die Nachrichtenredakteure auf fachkundig einordnende, originell geschriebene, sorgfältig recherchierte Beiträge konzentrieren. Inhalte, die nur wenig Einordnung, Originalität und Recherche benötigen, ließen sich dagegen mit KI-Unterstützung oder komplett automatisch erstellen und würden die journalistischen Qualitätsbeiträge nur ergänzen. Diese “Ergänzungen” könnten dabei aber quantitativ deutlich zahlreicher sein als die von Menschen geschriebenen Texte.

Es gibt kaum Themenbereiche, in denen Hintergrundberichte, Interviews und Reportagen von Journalisten nicht automatisch durch Künstliche Intelligenz ergänzt werden könnte. Exklusive Politikrecherchen von Hauptstadt-Korrespondenten ließen sich automatisch mit KI-Texten auf der Grundlage von Agenturmeldungen anreichern. Hintergründige Unternehmensanalysen von Wirtschaftsredakteuren könnten durch KI-erzeugte Finanzmeldungen und Börsenberichte ergänzt werden. Und während Sportreporter die Analysen und Kommentare zu einigen Spitzenspielen des aktuellen Spieltages der Fußball-Bundesliga schreiben, kann Künstliche Intelligenz die Spielberichte und Tabellen für hunderte Begegnungen von der Ersten Bundesliga bis hinab zu den Kreisligen zuliefern.

Eine solche Mischung aus hochwertigen Qualitätstexten und preiswerter Massenware ließe sich bei entsprechender Programmierung vermutlich auch international erfolgreich vermarkten. Online-Angebote von deutschen Qualitätsmedien über Bundespolitik, DAX-Unternehmen oder die Fußball-Bundesliga würden auch international ausreichend Leser finden, wenn das Gesamtpaket sowohl die Standardmeldungen als auch die exklusiven Analysen und Hintergründe bietet. Als Zielgruppe wären zahlungskräftige Politikinteressierte, Wirtschaftsexperten und auch Fußballfans zum Beispiel in Nordamerika, in Ostasien und im arabischen Raum denkbar.

Bei einem solchen Online-Angebot wäre wichtig, dass die Texte zeit- und zielgruppenoptimiert in die jeweilige Landessprache der Zielländer übersetzt würden. Dabei können sowohl die Standardmeldungen als auch die Qualitätstexte mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz automatisch in mehreren Sprachen erstellt und für Suchmaschinen optimiert werden. Aus solchen Übersetzungen ließen sich mit KI-Unterstützung sogar automatisch Podcasts mit künstlichen Stimmen oder Video-Animationen mit Avataren in den jeweiligen Sprachen erzeugen. Qualitätsmedien könnten auf diese Weise im Nachrichtenmarkt nicht nur regional oder national, sondern auch international wettbewerbsfähig sein.

KI-Journalismus als Zukunftsmodell?

Die beiden beschriebenen Extremmodelle grenzen nur das Spektrum ab, in dem sich der Einsatz von Künstlicher Intelligenz im (Online‑)Journalismus bewegen könnte. Es sind auch viele andere (Zwischen‑)Modelle denkbar, etwa wenn Redaktionen die Pflege ihrer Online-Angebote nachts oder am Wochenende an Künstliche Intelligenz übergeben. In solch einem Fall müsste der KI-Einsatz eine Alarmfunktion beinhalten, welche bei Eilmeldungen von Nachrichtenagenturen oder außergewöhnlichen KI-Daten die Bereitschaftsredakteure benachrichtigt und auf mögliche wichtige Ereignisse hinweist.

Es ist zu erwarten, dass sich der KI-unterstützte Journalismus in Zukunft auf immer mehr Einsatzmöglichkeiten und Themenbereiche ausweitet. Der Wandel im (Nachrichten‑)Journalismus und die wachsende Bedeutung von Künstlicher Intelligenz stellen Redaktionen vor neue Anforderungen, auf die sie sich frühzeitig einstellen sollten. Dieser Wandel wird nicht nur von Medien-, sondern auch von Internetunternehmen wie OpenAI, Microsoft und Google vorangetrieben.

Nachrichtenredaktionen können durch Künstliche Intelligenz einerseits von Routineaufgaben entlastet werden und andererseits Zeit für anspruchsvolle Aufgaben wie Analysen, Kreativität und Recherchen gewinnen. Künstliche Intelligenz ist nicht in der Lage, quellenkritisch, fantasievoll oder investigativ zu arbeiten (und kann das auch für absehbare Zeit nicht). Die erfolgversprechendste Strategie im Konkurrenzkampf mit KI ist für Journalisten also, sich vom Termin- und Verlautbarungsjournalismus zu verabschieden und auf fachkundig einordnende, originell geschriebene, sorgfältig recherchierte Beiträge zu besinnen. Wenn Redakteure wieder auf diese journalistischen Tugenden setzen, werden sie weitgehend unersetzbar bleiben. Darüber hinaus werden Journalisten, die Kenntnisse im Umgang mit KI erwerben, auf dem Arbeitsmarkt einen Vorteil haben.

Ethik im KI-Journalismus

Die wachsende Bedeutung von Künstlicher Intelligenz sollte nicht zu dem Trugschluss führen, dass dadurch die Berichterstattung im Allgemeinen oder die Nachrichten im Besonderen automatisch neutraler oder objektiver werden. KI kann wie bereits beschrieben Halluzinationen oder Konfabulationen zeigen und Stereotype oder Vorurteile wiedergeben. Sie ist somit keineswegs neutral oder objektiv, sondern muss jeweils in ihren Zusammenhängen betrachtet und richtig interpretiert werden. Redaktionen sollten deshalb beim Einsatz von Künstlicher Intelligenz die Zuverlässigkeit der Ergebnisse regelmäßig prüfen. Grundsätzlich sollte die Arbeit von KI auch im laufenden Routinebetrieb ständig überwacht werden.

Ein wichtiger Gesichtspunkt bei der Frage, in welchem Ausmaß und in welchen Bereichen sich der Einsatz von Künstlicher Intelligenz durchsetzen wird, ist deren Akzeptanz durch die Nutzer. Es ist allerdings zu erwarten, dass die meisten Menschen die Texte von automatischen und menschlichen Produzenten gar nicht unterscheiden können. Im Gegenteil: Studien belegen, dass viele Nutzer mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz erstellte Texte sogar glaubwürdiger und informativer finden als die von Journalisten. (2) Redaktionen sollten Ihre Nutzer dennoch über KI-Texte, ‑Bilder und ‑Videos mit einer klaren Kennzeichnung informieren. Das Vertrauen in die Medien, insbesondere in den KI-unterstützten Journalismus, kann nur durch Transparenz bewahrt werden.

Die Nachrichtenrecherche, ‑erstellung und ‑verbreitung mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz stellen die Redaktionen also vor neue ethische Anforderungen (3). Dabei müssen Nachrichtenredaktionen nicht nur journalistische, sondern auch andere Gesichtspunkte berücksichtigen:

  • Überprüfen Sie soweit möglich, ob das Ihren KI-Texten, ‑Bildern und ‑Videos zugrunde liegenden Trainingsmaterial zuverlässig ist!
  • Vergewissern Sie sich, dass Sie die Rechte an der Nutzung des Trainingsmaterials haben!
  • Legen Sie das Trainingsmaterial offen, auf dessen Grundlage die KI-Texte, ‑Bilder und ‑Videos erstellt wurden!
  • Setzen Sie nur Künstliche Intelligenz ein, die (eu‑)zertifizierte Sicherheits- und Qualitätsstandards gewährleistet!
  • Bereiten Sie die Redaktion durch gründliche KI-Schulungen auf den Einsatz von Künstlicher Intelligenz vor!
  • Legen Sie redaktionelle Richtlinien für den ethischen Einsatz von Künstlicher Intelligenz fest!
  • Informieren Sie Ihre Nutzer darüber, welche Texte, Bilder und Videos mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz erstellt wurden!
  • Erklären Sie Ihren Nutzern, weshalb Sie Texte, Bilder und Videos mit Hilfe eines Künstliche Intelligenz erstellen lassen!
  • Informieren Sie Ihre Hörer und Zuschauer auch darüber, wenn Sie künstliche oder geklonte Stimmen bzw. Avatare einsetzen!
  • Erklären Sie Ihren Hörern und Zuschauern, weshalb Sie künstliche oder geklonte Stimmen bzw. Avatare einsetzen!
  • Überwachen Sie fortlaufend, ob Ihre Künstliche Intelligenz zuverlässig arbeitet!
  • Verwenden Sie Künstliche Intelligenz, um sich von Routineaufgaben zu entlasten und Zeit für anspruchsvolle Aufgaben zu gewinnen!
  • Nutzen Sie Künstliche Intelligenz nicht vorrangig, um Personalkosten zu senken, sondern um die Produktqualität zu sichern!

Bei letzterem sollte beachtet werden, dass Künstliche Intelligenz die Arbeit von Nachrichtenjournalisten erleichtern und beschleunigen kann, aber vermutlich (wie frühere Entwicklungen von Digitalisierung und Internet auch) zu Arbeitsverdichtung und Personalabbau führen. Dieser Prozess sollte von Redaktionen nicht nur erlitten, sondern aktiv gestaltet werden. Journalisten sollten nicht versuchen, KI zu besiegen, sondern lernen, mit ihnen zu arbeiten.

 

Dieser Artikel ist eine gekürzte Fassung eines Aufsatzes, der auf der Website des Autors veröffentlicht wurde.

 

Fußnoten

(1) Vgl. Jonas Schützeneder / Graßl, Michael, / Meier, Klaus: Grenzen überwinden, Chancen gestalten. KI im journalistischen Newsroom – Bestandsaufnahme, Perspektiven und Empfehlungen für Journalismus und Politik, Friedrich-Ebert-Stiftung, FES impuls, Bonn, Januar 2024 (online: https://library.fes.de/pdf-files/a-p-b/20987.pdf)

(2) Vgl. ARD-Forschungsdienst / Gleich, Uli: Künstliche Intelligenz im Journalismus, in: Media Perspektiven, 55. Jg., Ausgabe 6/2024, Frankfurt/Main, März 2024 (online: https://www.ard-media.de/fileadmin/user_upload/media-perspektiven/pdf/2024/MP_6_2024_ARD-Forschungsdienst.pdf)

(3) Vgl. Konstantin Nicholas Dörr: Algorithmische Werkzeuge – Chancen und Herausforderungen für den Journalismus. in: Klaus Meier / Neuberger, Christoph (Hg.): Journalismusforschung. Stand und Perspektiven. 3. Auflage, Baden-Baden 2023, S. 213 ff. (online: https://www.researchgate.net/publication/367029305_Algorithmische_Werkzeuge_-_Chancen_und_Herausforderungen_fur_den_Journalismus); Jessica Heesen / Bieber, Christoph u.a.: Künstliche Intelligenz im Journalismus. Potenziale und Herausforderungen für Medienschaffende, Whitepaper aus der Plattform Lernende Systeme, München, Januar 2023, S. 26 ff. (online: https://www.plattform-lernende-systeme.de/files/Downloads/Publikationen/AG3_WP_KI_und_Journalismus.pdf)

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