Keine “Facebook-Revolution” in Nordafrika

21. März 2011 • Ressorts • von

Wissen und Macht haben sich voneinander entkoppelt. Die Revolutionen und Rebellionen in Nordafrika stehen als Beispiel dafür.

Der erhöhte Bildungsgrad der Bevölkerung war ihr Auslöser – und nicht Social Media wie Twitter und Facebook. Diese These vertrat Nico Stehr, Karl-Mannheim-Professor für Kulturwissenschaften an der Zeppelin-Universität Friedrichshafen und Autor des Buches „The Knowledge Society“, im Rahmen der „Hedy Lamarr-Lectures“ in Wien.

Weite Felder wissenschaftlicher Expertise sind der Mehrheit der Menschen nicht oder nur oberflächlich zugänglich. Auch die neuen Kommunikationsmöglichkeiten und deren Funktionen wie Wikis oder Open Governance haben daran bisher wenig geändert. Und dazu sinken auch noch die Nutzerzahlen in unseren Bibliotheken, sagte Nico Stehr im Rahmen der „Hedy Lamarr-Lectures“, organisiert von der Akademie der Wissenschaften, Medienhaus Wien und Telekom Austria in Wien. Doch teilt er die Skepsis manch anderer Beobachter nicht.

Nico Stehr

Nico Stehr begründete seinen Optimismus: Wissen und Macht haben sich seiner Auffassung nach voneinander entkoppelt. Auch die Revolutionen und Rebellionen in Nordafrika stünden als Beispiel dafür: Sie seien weniger von Social Media wie Twitter und Facebook, angestoßen worden, als vielmehr vom erhöhten Bildungsgrad der Bevölkerung in Ländern wie Tunesien und Ägypten. „Es kommt immer noch stark auf Face-to-face-Kommunikation an“, sagte Stehr. „Wir überschätzen das Internet und seine Funktionen – es ist nur ein Vehikel.“ In Ägypten etwa sei die Kommunikation via Web ja auch kurz nach Beginn der Proteste unterbunden worden. Zudem sei der Online-Zugang zu Information und Wissen mit hohen „Transaktionskosten“ (Sach-und Anwendungskenntnisse) verbunden. Ein Internetzugang alleine reiche da nicht aus, um sich gleich an Bewegungen beteiligen zu können.

Freilich aber mögen die neuen Kommunikationskanäle zum Akt des Aufbegehrens beitragen, auch jetzt in Nordafrika: Stehr zufolge begünstigen sie nämlich einen Machtverlust von Institutionen; deren Bedeutung schwinde. Politische, religiöse und andere etablierte Einrichtungen könnten nicht mehr so einfach ihren Willen durchsetzen. Das führe zu mehr direkter Demokratie, so Stehr. Doch: Ist das sinnvoll? „In Deutschland verweist man bei dieser Gelegenheit häufig auf die Schweiz: Dort kommen immer wieder mal unsinnige Ergebnisse bei Volksbefragungen heraus“, scherzte Stehr.

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