Plagiatsaffäre Schavan: Unbelehrbare Journalisten?

30. Januar 2013 • Ressorts • von

Wieder nichts gelernt! Die Entscheidung des Fakultätsrats der Universität Düsseldorf, ein Verfahren wegen des Entzugs des Doktortitels gegen die deutsche Bildungsministerin Annette Schavan einzuleiten, löste in vielen Medien einen Prangerjournalismus aus, der empört. Marlis Prinzing, Journalistin und Medienwissenschaftlerin, kommentiert:

Bleibt bei der Sache, Leute, fallt nicht wieder aus eurer Rolle! Man kann der Meinung sein, dass Annette Schavan zurücktreten sollte. Dafür lassen sich nicht nur bei lange amtierenden Ministern Gründe finden.

Aber: Das noch gar nicht bekannte Ergebnis eines selbstverständlich ergebnisoffenen Verfahrens (wieso sollte man es sonst überhaupt durchführen!) kann sicher nicht der Grund sein. Logisch. Es ist ja noch nicht bekannt. Jedenfalls nicht im wirklichen Leben. In weiten Teilen der Medienwirklichkeit hingegen schon…

„Wie lange ist Bildungsministerin Annette Schavan noch haltbar?“, fragt das Politmagazin Cicero diese Woche. Chefredaktor Christoph Schwennicke behauptet, die deutsche Kanzlerin habe bereits einen möglichen Nachfolger zur Stelle. Und wer nicht mitschießt, wird angeschossen: Das „heute-Journal“ im ZDF betreibe „Schavan-Schleichwerbung“, erklärt das Onlineportal „Meedia“, es beschütze die CDU-Ministerin und serviere eine „News-Version, die so weichgespült wirkte, als wäre sie von Schavans Presseteam produziert worden“.

Viele Medien haben längst entschieden, lange bevor der Fakultätsrat zu seinem Urteil gelangt. Das geht nicht. Das verletzt die Unschuldsvermutung und damit einen wichtigen, im Pressekodex niedergelegten Grundsatz, an dem sich der Wert und die Wertschätzung sowie die Glaubwürdigkeit von Medien messen lassen. Wieder einmal maßen sich manche Journalisten an, sie hätten zu entscheiden, und setzen sich einen Hut auf, der ihnen nicht gehört.

Die Spruchpraxis des Deutschen und des Schweizer Presserats zeigt, dass dies – und nicht nur bei Prominenten – immer wieder vorkommt.  Das war teils in der Berichterstattung über den Prozess gegen den Clubbesitzer Carl Hirschmann so, ebenso im Prozess des Vergewaltigungsverdachts gegen den ehemaligen Wettermoderator Jörg Kachelmann.

Zurück zu Schavan. Sachlage ist: Es gibt einen Verdacht, er ist – beispielsweise im Internet – gut dokumentiert und er ist reichlich kommentiert. Es gibt ein Verfahren, dieses Verfahren ist nun in der nächsten Phase. Das heißt: Der Verdacht wurde nicht entkräftet, der Fakultätsrat hat das Entziehungsverfahren eröffnet. Bis dieses abgeschlossen ist, besteht lediglich ein Verdacht, und damit gilt die Unschuldsvermutung. Es entscheiden die Mitglieder des Fakultätsrats, nicht Journalisten.

Deren Aufgabe ist, öffentlich zu machen, worüber diskutiert wird, und dies in einen Zusammenhang zu stellen, etwa: Worin genau bestehen die Unterschiede der jüngsten Plagiatsfälle und der Verdachtsfälle – und welche Wissenschaftskultur benötigen wir? Sie sollen hinterfragen: Warum beispielsweise lässt sich die Universität Düsseldorf bereits neun Monate Zeit und hat nicht gerade auch mit Blick auf die Bundestagswahl rascher agiert? Und sie sollen dafür sorgen, dass nicht unter den Teppich gekehrt wird, was öffentlich diskutiert werden muss.

Im Oktober 2012 wurde dem Spiegel ein Gutachten zugespielt, in dem Schavan eine „leitende Täuschungsabsicht“ vorgeworfen wurde. Das ist eine Indiskretion, gewiss, doch rechercheethisch ist dies dadurch gerechtfertigt, dass das Gutachten in diesem Fall sowohl von öffentlichem Interesse ist, als auch zu befürchten war, es würde unter Verschluss oder unter der Decke gehalten werden.

Im Übrigen: Bis auf ein kleines Fragezeichen wie in diesem Beispiel aus der Neuen Presse (15.10.2012) „Die seriöse Betrügerin?“ haben etliche Journalisten bereits im Oktober ihr Urteil gefällt. Unbelehrbar?!

Erstveröffentlichung: Klein Report vom 29.1.2013

Bildquelle: Rainer Sturm  / pixelio.de

 

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