Vor drei Monaten haben Sandra Zistl, Tabea Grzeszyk und Tamara Anthony das Netzwerk Hostwriter ins Leben gerufen. Die internationale Plattform will die Journalisten der Welt zusammenbringen und länderübergreifende Reportagen anschieben.
Tabea Grzeszyk, Sie sind eine der drei Gründerinnen von Hostwriter. Was genau steckt hinter dem Netzwerk?
Wenn man es extrem verkürzt, dann kann man das Schlagwort „Couchsurfing für Reporter“ benutzen. Einerseits ist der Begriff klasse, weil man damit direkt ein Bild vor Augen hat: Reporter gehen ins Ausland, übernachten beieinander. Andererseits geht es uns aber um viel mehr. Das Netzwerk bietet drei Möglichkeiten, die wir in unseren Claim „Find a story, find a colleague, find a couch“ zusammengefasst haben. Ich kann mit Tipps weiterhelfen, wenn zum Beispiel ein spanischer Kollege nach Spaniern sucht, die gerade in Berlin arbeiten. Dann kann der Kollege fragen, ob er bei mir auf der Couch übernachten kann. Aber das Herzstück von Hostwriter, und das finde ich mit am spannendsten, ist das kooperative Arbeiten.
Können Sie diesen Gedanken noch etwas ausführen?
Bleiben wir bei dem Beispiel: Ich kenne sehr viele ausländische Leute, die in Berlin arbeiten. Wenn ein Kollege aus Südspanien den ersten Teil der Geschichte erzählt, wie der Protagonist in Spanien gelebt und sich auf seine Reise vorbereitet hat, und ich übernehme und von seinem neuen Leben in Deutschland berichte, dann wird das eine runde Geschichte. Generell: Europa und die Welt wachsen immer mehr zusammen. Das gilt wirtschaftlich, aber es sind auch Themen wie Flucht und Migration. Da ist es doch total naheliegend, länderübergreifend zu arbeiten. Zusammen hat man die bessere Geschichte.
Aber der Journalismus wird oft mit einer Ellenbogen-Mentalität verbunden.
Ja, im Journalismus wird viel gestrichen und es ist schon ein wahnsinniges Ellenbogen-Geschäft. Man kämpft um Sendeplätze, um Aufträge. Und genau das wollen wir nicht. Ich habe den Eindruck, dass sich gerade manche freie Journalisten einigeln und keine Kontakte herausgeben, aus Angst, ihre eigenen Geschichten nicht mehr zu verkaufen. Es herrscht ein Abschottungs- und Konkurrenzkampf. Wir sind aber der Meinung, dass wir die Ellenbogen eben nicht ausfahren müssen, sondern voneinander profitieren können. Gerade wenn man länderübergreifend kooperiert, gibt es keinen Grund für Konkurrenz. Man sollte nicht in Panik verfallen und verkrampfen. In der Zeit einer Krise ist vielleicht gerade die umgekehrte Strategie die richtige. Das ist auch unsere Erfahrung, die wir im Verein journalists network gesammelt haben, der Recherchereisen ins Ausland organisiert.
Durch Ihre Vorstandsarbeit bei journalists network haben Sie Tamara Anthony und Sandra Zistl kennengelernt und sozusagen die Basis für Hostwriter geschaffen. Wann sind Sie das erste Mal auf die Idee gekommen, ein solches Netzwerk zu gründen?
Ich war 2008 mit Couchsurfing in der Türkei, Libanon und Syrien unterwegs. Dabei habe ich bei einem jungen Paar in einem Vorort von Damaskus gewohnt, in einer Gegend, in der überwiegend irakische Flüchtlinge gelebt haben. So einen Einblick hätte ich niemals bekommen, wenn ich im Hotel geschlafen hätte. Da kam die Idee auf, dass man solche Begegnungen auch beruflich nutzen müsste. Mit Sandra und Tamara habe ich die Idee dann immer weiterentwickelt, bis wir zu dem jetzigen Projekt, einem globalen Kooperationsnetzwerk für Journalisten, Blogger und Dokumentarfilmer, gekommen sind.
Ist die Gründung von Hostwriter auch als Kritik an der Auslandsberichterstattung zu sehen?
Irgendwo nein, und in Klammern irgendwo ein bisschen. Deutschland ist eins der Länder mit den besten Korrespondentennetzwerken weltweit. Da kann man nur froh sein. Aber ein Korrespondent ist für mehrere Länder zuständig. Aus den Ländern, in denen kein Auslandsstudio ist, bekommen wir wenig mit. Nur wenn es dort knallt, fliegt er hin. Aber ich glaube, dass es so viele gute Geschichten zu erzählen gibt. Und auch die Journalisten, die Augen und Ohren, sind weltweit ja da.
Hostwriter ist eine gute Ergänzung zur bisherigen Auslandsberichterstattung. Korrespondenten machen meistens Nachrichten, ich sehe unsere Stärke in länderübergreifenden Hintergrundgeschichten und Reportagen.
Wie genau funktioniert das Netzwerk?
Es ist ein etwas größenwahnsinniges Projekt, aber wir richten uns an alle Journalisten auf der Welt. Der einfachste Weg, Mitglied bei Hostwriter zu werden, ist, wenn man Mitglied in einer unserer Partnerorganisationen ist. Darunter fallen Journalistenverbände wie der DJV oder Reporter ohne Grenzen, und es sind ein paar Unis dabei. Diese Journalisten bekommen einen Einladungs-Code von uns, mit dem ihr Profil sofort freigeschaltet wird. Alle anderen müssen sich akkreditieren. Das klingt vielleicht elitär, aber es muss ein Kriterium geben. Bei uns ist es, dass man etwas publiziert haben muss. Man schickt also einen Link zu einem Text, wir prüfen das und schalten den Journalisten frei – zur Zeit schaffen wir das innerhalb von 24 Stunden. Und dann kann man loslegen.
Auf wie viele Mitglieder können Sie, drei Monate nach dem Launch von Hostwriter, blicken?
Im Moment sind es über 660 Mitglieder aus fast 50 Ländern. Die Hälfte davon ist Deutsch, und wir möchten das Netzwerk besonders im Ausland noch bekannter machen. Aber momentan sind wir über die Mitgliederzahl wahnsinnig glücklich. Wir sind vor drei Monaten online gegangen und haben keinen Cent für Werbung ausgegeben. Das lief alles über Mundpropaganda. Außerdem sind wir mit der Grundfunktion, unserer Beta-Version, gestartet. Im nächsten Schritt möchten wir noch mehr Funktionen anbieten.
Wie finanziert sich Hostwriter?
Wir haben es gemeinnützig gegründet und arbeiten ehrenamtlich. Auch die Mitgliedschaft ist daher kostenlos. Momentan unterstützen uns verschiedene Stiftungen, darunter die Augstein-Stiftung, die Bosch-Stiftung, vocer und das Social Impact Lab.
Das heißt, Sie stemmen die Organisation rund um Hostwriter neben Ihren Hauptjobs?
Genau. Das ist Fluch und Segen. Tamara ist Hauptstadtkorrespondentin, Sandra und ich arbeiten frei. Wir machen das in unserer Freizeit und nehmen für Hostwriter Urlaub. Bei uns Freien geht die Arbeit bei Hostwriter eins zu eins von der Zeit ab, in der wir Geld verdienen könnten.Langfristig ist das kein Finanzierungsmodell. Im Moment geht es uns darum, eine kritische Masse zu erreichen. Später können wir vielleicht darüber nachdenken, Zusatzfunktionen im Abo zu verkaufen oder Werbung zu schalten. Den Verkauf von persönlichen Daten haben wir hingegen ausgeschlossen.
Ist durch Ihr Netzwerk bereits eine internationale Zusammenarbeit entstanden?
Ja, eine Journalistin war zum Beispiel mit einer Pressereise in Russland und wollte noch St. Petersburg dran hängen. Sie hat von Hostwriter gehört, nach Journalisten gesucht und Pauline Tillmann gefunden. Sie haben sich in St. Petersburg getroffen, Infos ausgetauscht und am Ende war die Journalistin sogar Teil eines Dokumentarfilms, an dem Pauline Tillmann gerade mitgearbeitet hatte. Oder als zweites Beispiel: Eine deutsche Kollegin war in Kenia und ist am Ende ihrer Reise auf das Thema Aufarbeitung von Flüchtlingstraumata gestoßen. Sie hat das Thema anrecherchiert, es aber nicht fertig bekommen. Über Tamara hat sie den Kontakt zu einer kenianischen Journalistin gefunden, die die Geschichte schließlich fertig geschrieben hat. Das Honorar wollen sie sich teilen.
Und in Ihrer eigenen Arbeit, nutzen Sie die Plattform selbst?
Deswegen habe ich es mitgegründet, weil ich es nutzen will. Im Moment ist es viel Arbeit und wir müssen viel anschieben, aber ich plane schon den nächsten Roadtrip.
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