Selffulfilling Prophecy

11. Dezember 2008 • Ressorts • von

Erstveröffentlichung: Werbewoche

Steht der Untergang des Abendlandes, gar das Ende der Welt unmittelbar bevor?

Man könnte durchaus meinen, der jüngste Tag sei angebrochen, wenn man sich berieseln und berauschen lässt von all dem, was im Blätterwald und in den Talkshows derzeit mit aller (Medien-)Macht über uns hereinprasselt. Und das jüngste Gericht wird gleich noch effektvoll mit hinzu inszeniert – angesichts der Selbstgerechtigkeit, mit der viele Medienleute nicht nur schwadronieren, sondern auch moralisieren.

Dabei hat der Journalismus, von manchem Forscher vorschnell zum Frühwarnsystem der Gesellschaft ausgerufen, jahrelang aus nächster Nähe zugeguckt. Gewiss, es gab Kassandrarufe – aber sie sind untergegangen im Schwall der PR-Botschaften, die heute in vielen Redaktionen mit einem Mouseclick in „Journalismus“ verwandelt werden. Viel zu lange und immer wieder wurde verkündet, all die Investmentbanker und Finanzjongleure hätten ihre Traumrenditen und Boni durch Leistung und Produktivitätssteigerungen verdient statt durch hochriskante Wetten. Ja, schlimmer noch: „Kritischer Wirtschaftsjournalismus“ bestand darin, mit Sprücheklopfen die UBS und andere Finanzinstitute regelrecht dazu anzustacheln, noch grössere Risiken einzugehen –so jedenfalls hat, mit Zitaten belegt, der Medienberater Kurt W. Zimmermann, vormals Mitglied der Geschäftsleitung von Tamedia, kürzlich in der Weltwoche den Schweizer Wirtschaftsjournalisten den Spiegel vorgehalten.

Aber haben Journalisten und Medienmanager inzwischen irgendetwas gelernt? Zu befürchten ist, dass sie im Begriff sind, mit ihrer Lust an „bad news“, die kaum minder masslos ist wie die Gier vieler Börsianer und Banker nach schnellen Gewinnen, die wirklich grosse Krise und damit auch ihren eigenen Untergang herbei zu schreiben. Denn Medien berichten nicht nur über das Wirtschaftsklima, dummerweise erzeugen sie es auch.

In einer gründlichen Rückschau auf die vorletzte Krise, als die New Economy-Bubble geplatzt war, hatte die Fachzeitschrift American Journalism Review (AJR) schon 2003 der US-Wirtschaftspresse bescheinigt, sie habe eher prozyklisch gewirkt, statt ihrer Rolle als Wachhund gerecht zu werden. Anderseits arbeitete das Fachblatt aber auch heraus, es habe durchaus kritische Einzelstimmen gegeben. Sie seien jedoch im kollektiven Rausch(en) untergegangen. Am Beispiel von Wall Street Journal und Business Week, aber auch der Washington Post zeigte AJR, dass es in den Boomjahren immer wieder „Weckrufe“ gab. Lange vor den Enron- und Tyco-Skandalen sei vor Betrug und unsauberen Buchhaltungstricks gewarnt worden – nur sei eben „niemand aufgewacht“. In den Redaktionen seien solche Warnungen in einer Kakophonie naiver Berichterstattung darüber untergegangen, wie ‚gesund‘ das System sei, dass man Finanzanalytikern und Wirtschaftsprüfern im Prinzip vertrauen könne und dass der Boom auf immer und ewig dauern werde.

Zu vermuten ist, dass Medienforscher zu ganz ähnlichen Erkenntnissen gelangen werden, wenn sie die derzeitige Wirtschafts- und Finanzberichterstattung analysieren. Es ist verblüffend, wie „gedächtnislos“ der Journalismus arbeitet – und wie wenig offenbar selbst hoch angesehene Wirtschaftstitel trotz ausgeklügelter elektronischer Archive ihre eigenen Recherche-Erkenntnisse nutzen.

Spannend andererseits, wer in den Redaktionen die Krise schürt: Bei Deutschlands Intelligenzblatt Nr. 1, der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, ist es nicht etwa der für Wirtschaft und Finanzen zuständige Herausgeber, sondern der Feuilleton-Chef Frank Schirrmacher, der uns prophetisch die Weltläufte „erklärt“ – gleichsam als Experte für Banken und Monetäres und offenbar letzter Universalgelehrter. Dieselbe Erfahrung, die jetzt der Wirtschafts- und Finanzjournalismus machen muss, haben früher schon die Kollegen vom Wissenschaftsressort gesammelt: Wenn ein Thema – sei es BSE, SARS oder jetzt eben die Subprime- und Bankenkrise – wirklich hochkocht, verlieren die Fachredakteure ihre Deutungsmacht an die Hierarchen in Politik- und Kulturredaktion.

Es kann indes noch schlimmer kommen, wie sich bei Deutschlands feinster Adresse für Qualitätsjournalismus, dem Nobel-Verlag Gruner + Jahr sehen lässt: Da werden die Wirtschafts- und Finanzjournalisten gleich ganz wegrationalisiert, indem man künftig vier Wirtschaftstitel von einer Redaktion machen lässt. Verkehrte Welt! Das lässt genau den Zuwachs an journalistischer Sachkompetenz erwarten, den wir zur Krisenbewältigung dringend brauchen…

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