Eine der fünf grossen US-Zeitungen, die Los Angeles Times, wird gehörig durchgeschüttelt. Vergangene Woche gab sie den Abbau von 250 Stellen bekannt. Ein Ende der Krise ist nicht absehbar.
“Es ist eine traurige Geschichte”, sagt Larry Pryor erkennbar wehmütig. Er ist heute Journalistikprofessor an der University of Southern California (USC). Zuvor war er über viele Jahre hinweg als leitender Redaktor einer der Online-Pioniere der Los Angeles Times. Für ihn sind die Visionen von Otis Chandler lebendig geblieben, der als Eigentümer-Verleger in den sechziger und siebziger Jahren eine mediokre Regionalzeitung in ein Weltblatt verwandelt hatte. Sein Kollege Philip Seib, der erst vor einem Jahr nach Südkalifornien umgezogen ist und bis dato in Milwaukee Zeitung gelesen hat, ist dagegen positiv überrascht: “Ich bin angetan”, sagt er, «das Blatt ist viel besser, als ich erwartet hatte.»
Tabellenführer in der B-Liga
Wer nach einer fairen Bewertung sucht, wird beiden Beobachtern recht geben müssen. Zur Spitzenklasse zählt die LA Times nur noch bedingt, aber in der B-Liga ist sie klar Tabellenführer. Nach Jahren wiederkehrender Sparmassnahmen und zermürbender Auseinandersetzungen zwischen Verlag und Redaktion trudelt die LA Times in jener Abwärtsspirale, in der landesweit auch andere Grossstadtzeitungen um ihren Fortbestand kämpfen.
n den letzten zehn Jahren büsste die LA Times rund 30 Prozent ihrer Auflage ein. Im März 2008 wurden werktags 774 000 Exemplare verkauft, 1998 waren es 1,095 Millionen. Fast über das ganze vorige Jahrhundert hinweg galt sie als die Zeitung mit dem höchsten Anzeigenaufkommen in den USA. Heute hüllt sich das Unternehmen an diesem neuralgischen Punkt in vielsagendes Schweigen. Die Redaktion schrumpfte im selben Zeitraum nahezu parallel zur Auflage – von 1109 auf derzeit 840 Mitarbeiter. Fünf Chefredaktoren nahmen in kürzester Abfolge ihren Hut.
Einer von ihnen ist Michael Parks. Unter seiner Ägide – von 1997 bis 2000 – gewann die Zeitung vier Pulitzer-Preise. Parks hat seither – als Direktor der Journalism School an der USC – aus nächster Nähe weiterverfolgt, wie sich das Blatt entwickelt hat. “Prinzipiell”, sagt er zunächst, “äussere ich mich nicht zur LA Times.” Seine Nachfolger hätten es schwer genug. Kürzlich habe er allerdings eine Ausnahme gemacht, als das LA Magazine alle sechs früheren Chefredaktoren interviewt habe. Und dann sprudelt es auch diesmal aus ihm heraus.
Ein Problem vieler Familienfirmen
Parks hält sich erst gar nicht bei den landläufigen Ursachen des Niedergangs auf. «It’s an ownership issue» – die Sache habe mit den Eigentümerwechseln zu tun, sagt er und verweist auf ein Problem vieler Familienunternehmen. Der Chandler-Clan sei von Generation zu Generation grösser geworden, zuletzt hätten rund 150 Familienangehörige von der Zeitung gelebt. Als die Eigentümer das Mutterhaus Times Mirror vor ein paar Jahren mit der Tribune Company verschmolzen, hätten sie daran die Hoffnung geknüpft, mehr Rendite erzielen zu können. Tribune schien fürs digitale Zeitalter besser gerüstet «als irgendwer sonst». Vor allem habe man auf Synergieeffekte gehofft.
Dann, so Parks, sei es jedoch zu einem “Clash of cultures” gekommen. Das Management in Chicago habe sich als inkompetent erwiesen – vollkommen überfordert, ein Unternehmen zu führen, das doppelt so gross war wie das eigene. Doch das war nur die erste Runde des Niedergangs. Im Dezember 2007 übernahm der Investor Sam Zell die Tribune Co. Er brachte das Kunststück fertig, das von ihm selbst in den Deal eingebrachte Eigenkapital auf 315 Millionen Dollar zu begrenzen und den Konzern gleichwohl unter seine Kontrolle zu bringen.
Drückende Schuldenlast nach dem Kauf
Der hohe Preis des Manövers: eine drückende Schuldenlast von 12,8 Milliarden Dollar. Um die Kredite zu bedienen, trennt man sich inzwischen vom Tafelsilber: Newsday, bisher das Tageszeitungsstandbein des Konzerns an der Ostküste, wurde soeben für 650 Millionen Dollar verkauft; die Chicago Cubs, ein Baseball-Team, und das zugehörige Stadion werden ebenfalls feilgeboten. Zudem wurde avisiert, dass demnächst wohl auch zwei Wahrzeichen amerikanischer Stadtarchitektur zu haben sind: der Tribune Tower in Chicago und das Verlagshaus der LA Times. – Als Statthalter und Widerpart der Konzernzentrale wurde vor zwei Jahren David Hiller ins Rennen geschickt. Am Freitagnachmittag um halb fünf wirkt der Verleger der LA Times jugendlich-frisch, als sei er soeben von einem Segeltörn zurückgekehrt. Dabei ist für ihn eine Woche zu Ende gegangen, die zu den schlimmsten seiner Amtszeit gehört haben dürfte.
Sein Chef, Sam Zell, hat Hillers Kollegen Scott C. Smith, den Verleger der Chicago Tribune, entlassen, der 30 Jahre lang im Management der Tribune Co. tätig gewesen war. Es kamen ausserdem neue Vorgaben aus Chicago, wonach in Zukunft konzernweit auf ein «ausgewogenes» 50:50-Verhältnis von Anzeigen und redaktionellem Teil geachtet werden soll. Das würde, so zitierte die «New York Times» mit einem Schuss Häme einen der Spitzenmanager der Tribune Co., Randy Michaels, einen wöchentlich um 82 Seiten reduzierten redaktionellen Teil der LA Times bedeuten.
Der Output der Journalisten im Blick
Ausserdem soll der Artikel-Output pro Reporter erfasst werden und als Leistungsmassstab dienen. Laut Michaels produziert jeder LA-Times-Journalist, statistisch besehen, 51 Zeitungsseiten jährlich, während die Kollegen bei der «Baltimore Sun» und beim «Hartford Courant» mit 300 Seiten um ein Vielfaches produktiver seien. Für eine Qualitätszeitung, die sich bisher den Luxus leisten konnte, so manchen Reporter in seiner Spezialistennische wochen- und monatelang an Einzelstücken recherchieren zu lassen, ist das eine schwer erträgliche Milchmädchenrechnung.
Noch schlimmer dürfte für Hiller die erste Machtprobe mit seinem Chefredaktor Russ Stanton gewesen sein, den er erst kurz zuvor ernannt hatte. Klar war, dass das Monatsmagazin der LA Times kränkelte und jedenfalls wirtschaftlich nicht zu führen war. Hiller hatte daraufhin ein für die Werbewirtschaft attraktiveres Parallelprojekt entwickelt, das vor allem Anzeigen anlocken sollte. Dummerweise wussten Stanton und die Redaktion nichts von dieser Initiative. Beide vereinbarten inzwischen, sich zur Schliessung des Magazins nicht mehr öffentlich zu äussern. Die Frage, ob er sich nach den Berichten zum Vorfall skandalisiert und missverstanden fühle, beantwortet Hiller immerhin mit einem klaren “Ja”.
«Dafür werde ich bezahlt»
Wie will er angesichts der neuen Vorgaben aus Chicago und der ohnehin miesen Stimmung in der Redaktion das Blatt zu neuen Ufern führen? “Das ist mein Job, dafür werde ich bezahlt”, sagt er – und weicht in der Sache mit einem gewinnenden Lachen aus. Hiller zweifelt, ob eine Zeitung so viel Lesestoff wie die LA Times bieten müsse, um ihren Lesern ein Höchstmass an Nutzen zu offerieren – und fragt geschickt beim Besucher aus Europa nach, wie viele Redaktoren und welchen Umfang denn dort erstklassige Zeitungen hätten. Er glaubt fest daran, dass es in der Redaktion Leistungsreserven gibt. Das erinnert an Rupert Murdoch, der kürzlich die Redaktoren seines «Wall Street Journal» mit der Bemerkung verschreckt hatte, nicht jeder Beitrag müsse achtmal gegengelesen werden, bevor er gedruckt werde. “Murdoch is a smart man”, signalisiert Hiller sein Einverständnis.
Auch ihre Pionierrolle im Internet hat die LA Times nicht halten können. Den Vorsprung, den sie verspielte, versucht sie jetzt wieder aufzuholen. Ein Lichtblick ist immerhin, dass die Zahl der Website-Nutzer innerhalb eines Jahres von 9,9 auf 16 Millionen pro Monat nach oben schnellte – ein Zuwachs von über 60 Prozent.
Die Huffington Post schläft nicht
Aber die Konkurrenz schläft nicht. Aus einem Blog, der zunächst als Gegengewicht zu konservativen Websites wie dem Drudge-Report gedacht war, ist inzwischen eine der erfolgreichsten Online-Zeitungen der USA geworden: die Huffington Post, die ebenfalls in Los Angeles beheimatet ist. Was sie von einer herkömmlichen Zeitungsredaktion grundsätzlich unterscheidet: Die Redaktion ist schlank, und die meisten Beiträge werden nicht von ihr selbst, sondern anderswo verfasst. Die Redaktoren verlinken nur, was ihnen interessant und bemerkenswert erscheint – man bedient sich als Trittbrettfahrer und aggregiert die Inhalte Dritter zu einem eigenen, mit unzähligen meinungsstarken Blogs angereicherten Informationsprodukt.
Hillers Vision der Zukunft: In zehn Jahren sieht er die LA Times inmitten einer Familie von Medienprodukten, die über alle möglichen Kanäle verbreitet und von einem möglichst grossen Spektrum von Zielgruppen nachgefragt werden – als “beste und glaubwürdigste Quelle von Nachrichten in Los Angeles und Südkalifornien”. Der Fokus auf die Region ist ihm wichtig – die Träume, auf nationaler Ebene mit der New York Times zu konkurrieren, sind vergessen.
Dass es nicht gelungen sei, Synergien zu realisieren, lässt Hiller nur teilweise gelten. Immerhin hätten die andern Blätter des Konzerns ihre Korrespondentenbüros schliessen können. Sowohl die internationale Berichterstattung als auch die Nachrichten aus Washington D. C. würden inzwischen im Konzern weitgehend von der LA Times zugeliefert. Noch verfügt das Blatt über 23 Auslandkorrespondenten, davon 2 im Irak.
Mehr positive Nachrichten erwünscht
Den Optimismus, den er ausstrahlt, möchte Hiller wohl gerne aufs Blatt übertragen. “Mehr gute, mehr positive Nachrichten” forderte er kürzlich von seiner Redaktion ein – offenbar ohne zu wissen, in wessen Fussstapfen er sich damit begab. Als Al Neuharth vor mehr als 25 Jahren das gehobene Boulevardblatt USA Today gründete, basierte sein Marketingkonzept auf solch einem “Journalismus der Hoffnung”. Er wurde damals von der ganzen Branche verlacht, aber der Erfolg gab ihm schliesslich recht. Heute ist sein Blatt Amerikas grösste Tageszeitung.
Hiller stellt klar, dass er sich nicht auf diesen Weg begeben will. Sein Boss, Sam Zell, blickt dagegen gewiss mit Neid auf das Konkurrenzblatt, dessen Auflage seit Jahren gegen den Trend wächst. Er verordnete soeben all seinen Zeitungen einen Relaunch. Die Marktforschung zeige, dass die Leser “Karten, Grafiken, Listen, Rankings und Statistiken möchten”, schrieb Zell seinen Redaktoren, “und unser Geschäft ist es, Kunden zufriedenzustellen und auf das zu reagieren, was sie wollen”. Die Zitterpartie an der Westküste ist wohl noch nicht zu Ende. Ein weiteres internes Memo von Hiller, das tags darauf bereits im Internet zirkulierte, avisiert der Redaktion: “Die Wegstrecke vor uns wird rauer denn je.”
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