Drei Szenarien für den öffentlichen Rundfunk

2. Januar 2014 • Medienpolitik • von

Im Rückblick mag der Mehrwert halbwegs offensichtlich sein, den öffentliche Sender für die Gesellschaft produziert haben und auf den sie zum Nachweis ihrer Existenzberechtigung pochen.

Doch damit ist angesichts der derzeitigen Umwälzungen im Mediensystem keineswegs gesagt, dass ein starker gebührenfinanzierter Rundfunk auch in Zukunft weiterhin notwendig ist – im Gegenteil, er könnte, statt Marktversagen zu korrigieren, die Entwicklung eines funktionsfähigen „Marktplatzes der Ideen“ blockieren und die Meinungsvielfalt gefährden.

Der öffentliche Rundfunk hat fraglos nur eine Zukunft, wenn er online präsent ist. Wenn jedoch „der öffentlich-rechtliche Rundfunk mit seinem Gebührenaufkommen im Internet alles darf, klemmt das die Entwicklungschancen für privatwirtschaftliche Medienunternehmen ab, die ihre Aktivitäten am Markt refinanzieren müssen“, so die St. Galler Medienforscherin Miriam Meckel.

Kreative Zerstörung

Die künftige Medienwelt wird vom Internet und von Medienkonvergenz geprägt sein, von sozialen Netzwerken, Suchmaschinen und ihren Algorithmen. Diese bündeln Informations- und Unterhaltungsangebote neu, machen sie also anders verfügbar, als wir es gewohnt sind. Und sie bringen auch einen Prozess kreativer Zerstörung in Gang, der traditionelle Medienstrukturen umkrempelt und auflöst.

Bisher gab es ein halbwegs friedliches Nebeneinander von Presse und Rundfunk. Im dualen Rundfunksystem ergänzten öffentliche Fernseh- und Radioanbieter das Medienangebot dort, wo entweder der private Markt versagte oder aus historischen Gründen ein Marktsegment, nämlich das hochwertige, bereits öffentlich-rechtlich besetzt war. Daraus droht jetzt ein Kampf aller gegen alle zu werden: Derjenige, der über mehr Ressourcen verfügt, frisst die anderen.

Trends der Digitalisierung

Der Umgestaltungsprozess hat erst vor wenigen Jahren, aber mit großer Wucht begonnen. Einige Trends sind inzwischen erkennbar: Die ursprüngliche Rechtfertigung ihres Daseins ist für öffentliche Rundfunkanstalten bereits lange vor dem Siegeszug des Internets entfallen. Statt knapper Frequenzen gibt es inzwischen Plattformen im Überfluss, um ein vielstimmiges Angebot zu sichern. Die Produktionskosten für Medienangebote, auch für Video und Audio, sind drastisch gesunken. Es bedarf keiner Apparate mit hohen Fixkosten mehr, die eine Vielzahl von Menschen von vornherein von der Produktion ausschließen. Die Vorstellung vom Netz als „demokratischem“ Medium, in dem jeder gleiche Artikulationschancen hat, wie sie von Internet-Gurus wie Clay Shirky und Jeff Jarvis propagiert wird, ist allerdings naiv. Eine spezifische Gefahr der Netzwirtschaft besteht darin, dass sie oligopolistische Strukturen fördert: Netzwerkeffekte begünstigen jeweils die größten Anbieter, alle anderen haben kaum eine Chance, Geld zu verdienen.

Chris Anderson, bis vor kurzem Chefredaktor des US-Magazins Wired, spricht in diesem Kontext vom „Long tail“. Andere Suchmaschinen kommen gegen Google nicht mehr an. Unter den sozialen Netzwerken verdrängt Facebook die Mitbewerber. Und bei den journalistischen Angeboten ist auf dem angelsächsischen Medienmarkt ebenfalls bereits absehbar, dass wenige Giganten (etwa CNN, Fox und BBC, Huffington Post, New York Times, Guardian) eine Vielzahl bisheriger Anbieter vom Markt verdrängen. Auf die Schweiz bezogen heißt das, dass im Internet Platz ist für die SRG, für Tamedia und Ringier und womöglich für eine Handvoll Anbieter, die nicht mehr national, sondern sprachraumübergreifend agieren. Für alle anderen könnte es im Netz ziemlich eng werden. Journalistische Leistungen privater Medienanbieter lassen sich künftig nicht mehr oder nur zu einem geringen Teil durch Werbung finanzieren. Der deutsche Verleger Hubert Burda hat recht, die Online-Werbeerlöse für Verlage sind „lousy pennies“. Der Löwenanteil wandert stattdessen zu Suchmaschinen und sozialen Netzwerken.

Die SRG kann dagegen von einem gesicherten Sockel an Gebühreneinnahmen aus operieren. So entsteht eine drastische Wettbewerbsverzerrung. Sie wird dadurch verschärft, dass den privaten Medienanbietern auch die Abonnements- und Einzelverkaufserlöse abhandenkommen. Jeder Konsument hat ein Medienbudget, das er nur einmal ausgeben kann. In der Schweiz ist der Kostenanteil, der dabei für den öffentlichen Rundfunk zwangsweise „reserviert“ ist, besonders hoch und steht damit für selbstbestimmten Medienkonsum nicht mehr zur Verfügung.

Drei Szenarien

Aus diesem Erkenntnisstand lassen sich drei Szenarien entwickeln. Das erste ist das wahrscheinliche und wohl auch das wünschenswerte: Trotz fortschreitender Medienkonzentration gelingt es in der Schweiz weiterhin besser als anderswo, die Koexistenz von öffentlich finanzierten und privatwirtschaftlich betriebenen Medien und damit auch einen gewissen Pluralismus zu sichern. Die Verleger und die Rundfunkverantwortlichen erweisen sich eher als in den Nachbarländern fähig, Formen der Zusammenarbeit zu entwickeln – der „Coopetition“, wie das im Silicon Valley heißen würde. Dabei geht es um begrenzte Kooperation bei gleichzeitigem Wettbewerb: Man arbeitet zusammen, wenn man sich wechselseitig ergänzt. Und man konkurriert trotzdem gegeneinander, um Meinungsvielfalt zu gewährleisten und den Marktplatz der Ideen funktionsfähig zu erhalten. Die beiden weiteren Szenarien sind eher beängstigend.

Gemäß dem zweiten kommt es zu keiner Kooperation. Den privaten Anbietern gelingt es nicht, ihre journalistischen Online-Angebote zu refinanzieren – auch weil ein Großteil des Medienbudgets der Haushalte von den Gebühren aufgefressen wird. Unter den Bedingungen fortschreitender Medienkonvergenz, wo Livestreams, Videos und Podcasts textlastige Angebote ergänzen, verdrängt die SRG im Internet die anderen Schweizer Anbieter – mit Ausnahme von Tamedia und Ringier – vom Markt. Denn sie verfügt – von uns allen finanziert – über die Bewegtbilder (Videos) und die Radio-Beiträge (Podcasts), für welche Zeitungsverlage bei ihren Online-Offerten künftig mehr Geld ausgeben müssten, als sie absehbar haben werden.

Es ist also durchaus zu fragen, ob nicht Medienvielfalt den eigentlichen Wert eines Medienangebots in freiheitlich-demokratischen Systemen ausmacht. Der Public Value von öffentlichem Rundfunk wäre dann auch danach zu beurteilen, inwieweit er diese Vielfalt gefährdet oder fördert. Das dritte Szenario: Der Rechtspopulismus in der Schweiz gewinnt an Boden, und es gelingt ihm, den öffentlichen Rundfunk weiter zu bedrängen, drastisch zu verkleinern, womöglich zu zerschlagen.

Zu befürchten ist, dass diejenigen, die auf Szenario zwei oder drei hinarbeiten, in eine Falle tappen, die der amerikanische Soziologe Robert K. Merton mit der Formel von den „unanticipated consequences of social action“ umschrieben hätte. Auf Deutsch: Sie wissen nicht, was sie tun, und überschauen nicht, welche gesellschaftlichen, politischen und ökonomischen Folgen ihr Handeln für das demokratische Gemeinwesen Schweiz zeitigen würde.

Was ist Service public?

Wer die Szenarien zwei oder drei verhindern will, sollte sich aufmerksam der Frage widmen, welche Leistungen tatsächlich Service public sind und welche es möglicherweise infrage zu stellen gilt. Hierauf lassen sich keine wissenschaftlichen Antworten finden, sondern nur politische. Medienforscher sollten allerdings diese medienpolitischen Antworten so genau wie möglich auf ihre Folgewirkungen hin untersuchen.

Ob mehr oder eher weniger öffentliche Finanzierung sinnvoll ist, hängt nicht zuletzt davon ab, in welchem Umfang ein Gemeinwesen bereits investiert ist: In den USA, wo es keine gebührenfinanzierten Medienangebote gibt, dürfte man zu anderen Antworten kommen als im deutschsprachigen Raum, wo mit ARD und ZDF, mit ORF und SRG vier der wirkungsmächtigsten und finanzstärksten Medienorganisationen bereits öffentlich-rechtlich organisiert sind.

Wollten die zuständigen Parlamente im wohlverstandenen „öffentlichen Interesse“ ihre Hausaufgaben erledigen, müssten sie in den USA wohl über staatliche Rettungspakete für den Journalismus nachdenken. Im deutschen Sprachraum wäre dagegen eher zu fragen, ob all die öffentlich-rechtlichen Programme, die es gibt, wirklich im öffentlichen Interesse sind – und ob nicht ein Teil der Gebührengelder zweckentfremdet versickert. Leider gibt es eine große Diskrepanz zwischen dem, was öffentlicher Rundfunk vorgibt zu sein, wenn er seine Existenzberechtigung nachweisen soll, und dem, was er tatsächlich ist.

Drei Kriterien

Die drei wichtigsten Stichworte für eine Bewertung öffentlichen Rundfunks sind Qualität, Unabhängigkeit und Transparenz. Hier wäre zu ermitteln, was nötig ist und was nicht.

Qualität: Im Kern geht es darum, ob der öffentliche Rundfunk sich qualitativ vom privaten Programmangebot unterscheidet oder ob „das öffentlich-rechtliche Fernsehen dem privaten Fernsehen in seiner ‚Quotengeilheit‘ immer ähnlicher wird“ – so lautete schon vor 13 Jahren der Generalverdacht des deutschen Publizisten Robert Leicht.

Mit Gebührengeldern wird weitgehend dupliziert, was der Markt ohnehin bereitstellt: Es werden Fußball und Formel 1, Spielfilme, Seifenopern, Gottschalk, Musikantenstadl und Talkshows angeboten. Um dies tun zu können, konkurrieren obendrein auf Seite der Zulieferer die öffentlichen mit den privaten Anbietern um Senderechte, Showtalente und andere Ressourcen – und treiben dabei die Preise hoch. Der Löwenanteil der Gebühren kommt jedenfalls nicht der Grundversorgung einer Demokratie mit Information zugute, sondern eher einer Überversorgung mit Unterhaltung und Zirkusspielen, die von der Politik und vom „herrschaftsfreien Diskurs“ öffentlicher Angelegenheiten ablenken dürften.

Sendungen, die nur kleinen Gruppen erkennbaren Zusatznutzen stiften, sind in die Programme am späten Abend oder in die Ghettos von 3sat oder Arte verbannt, wo sie dann über ein bis zwei Prozent Einschaltquote nicht hinauskommen. Aber selbst bei solchen oftmals qualitätsvollen Angeboten, die ganz klar nicht für die Allgemeinheit, sondern eher für elitäre, gebildete Zielgruppen konzipiert sind, kann man streiten, ob auf diese Weise Public Value entsteht. Wären diese kleinen Zielgruppen nicht zahlungskräftig genug, um sich solche Inhalte auch auf einem freien Kommunikationsmarkt kaufen zu können?

Unabhängigkeit: Ob öffentlicher Rundfunk politisch so autark ist, wie er vorgibt zu sein, ob und inwieweit er von den jeweils Regierenden als Sprachrohr instrumentalisiert werden kann, ist ein spannendes Untersuchungsfeld. Die Gesamtbilanz in Europa fällt hier wohl negativ aus: Sowohl in Südeuropa, insbesondere in Italien, als aber auch in Frankreich und Osteuropa ist der Durchgriff der Regierenden auf das öffentliche Fernsehen stark. In Deutschland haben der Fall des abservierten ZDF-Chefredaktors Nikolaus Brender und die Berufung des Regierungssprechers zum Intendanten des Bayerischen Rundfunks neuerlich gezeigt, wie die Öffentlich-Rechtlichen ihre Unschuld verloren haben. Ob Großbritannien, die Schweiz und die skandinavischen Länder tatsächlich eine öffentlich-rechtliche Rundfunkkultur entwickelt haben, die sich solchen Instrumentalisierungsversuchen erfolgreicher widersetzt, wäre eine der vornehmsten Untersuchungsaufgaben der vergleichenden Medienforschung.

Transparenz: Die Medien machen sich eher selten zum Gegenstand von Berichterstattung – das gilt sowohl für etablierte private wie öffentliche Anbieter. Tun sie es doch, so thematisieren sich sowohl Fernsehsender als auch Presseerzeugnisse am allerliebsten selbst, hat der deutsche Medienforscher Stefan Weinacht herausgefunden – und das natürlich mit positivem statt mit kritischem Unterton. Es bleiben Zweifel, ob öffentlich-rechtliche Anbieter für ein Mehr an Transparenz im Medienbetrieb sorgen – die wenigen empirischen Belege und die Verschachtelung der Anstalten mit privaten Zulieferern deuten eher in die entgegengesetzte Richtung.

Umverteilung nach oben?

Es lässt sich leichter negativ eingrenzen, was im Interesse des Gemeinwohls verteilungspolitisch kaum zu rechtfertigen ist: Ist es fair, vom Akkordarbeiter, der mit RTL und seinem Blick oder mit 20 Minuten eigentlich ganz glücklich ist, zu erwarten, dass er Angebote auf 3sat mitfinanziert, die vermutlich eher Universitätsprofessoren, Bankiersgattinnen und grüne Parlamentsabgeordnete konsumieren?

Positiv wird sich vermutlich ein Konsens erzielen lassen, dass der Japan- oder Afrika-Korrespondent, den sich private Verlage kaum noch leisten können, weiterhin öffentlich finanziert werden sollte. Worin aber besteht der Nutzen für das Gemeinwohl, wenn öffentliche Anbieter in der Konkurrenz mit den Privaten die Preise für Sportrechte ins Astronomische treiben?

Speziell auf die Schweiz bezogen, kommt als wohl stärkstes Argument hinzu, dass die SRG dafür sorgt, dass die italienisch- und französischsprachigen Minderheiten ein etwa gleich gutes Radio- und Fernsehprogramm haben wie die deutschsprachige Mehrheit.

Förderung von Qualität

Und noch ein Hinweis, ja Denkanstoß: Unter dem Stichwort „Libertarian Paternalism“ haben Verhaltensökonomen wie Richard H. Thaler und Cass R. Sunstein in Experimenten nachgewiesen, dass sich Menschen durchaus erfolgversprechend beeinflussen lassen, ohne sie mit Zwangsabgaben zu behelligen. Bis jetzt fehlt es jedoch, von wenigen Ausnahmen wie der linksalternativen Tageszeitung (taz) in Deutschland oder der New York Times in den USA abgesehen, in der Medienbranche an Phantasie und Kommunikationskonzepten – und wohl auch an einer Medienpolitik und damit an staatlicher Unterstützung für Ansätze zur Förderung journalistischer Qualität, welche die Wahlfreiheit mündiger Bürger nicht „über Gebühr“ beeinträchtigen.

Erstveröffentlichung: NZZ vom 31.12.2013

Bildquelle: Günter Z.  / pixelio.de

 

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