All die klugen Analysen zur SRG sind für die Katz. Über deren Zukunft wird nach Gefühl entschieden.
Als Mäni Weber im September 2006 starb, war es dreißig Jahre her, dass er zum letzten Mal am Schweizer Fernsehen aufgetreten war. Für den Blick war der Fall dennoch klar: „Mäni Weber ist tot“, war die übergroße Schlagzeile auf der Eins.
Am nächsten Tag startete das Blatt eine sechsteilige Serie zum Leben des TV-Moderators. Sie endete mit der kapitalen Frage: „Was geschieht mit Mänis Asche?“
Hermann „Mäni“ Weber, der Präsentator der Quizshows „Dopplet oder nüt“ und „Wär gwünnt?“, war der größte TV-Star, den die Schweiz je hervorbrachte. Als er 1968 heiratete, übertrug das Fernsehen live.
Unter Fünfzigjährige kennen Mäni Weber kaum mehr. Sie kennen auch „Tagesschau“-Sprecher Paul Spahn, Moderatorin Heidi Abel, Entertainer Vico Torriani, Talkmaster Alphons Matt und Ansagerin Dorothea Furrer kaum mehr.
Und damit wären wir beim größten, aktuellen Problem des Schweizer Fernsehens. Es fehlen ihm die Gefühle.
Unter Fünfzigjährige kennen die emotionale Bindung nicht mehr, die lange Zeit das Schweizer Fernsehen mit seinen Zuschauern vereinte. Der Landessender und seine Protagonisten waren dem Publikum, so kitschig dies tönen mag, eine Herzensangelegenheit.
Heute wird das Schweizer Fernsehen nicht mehr geliebt, sondern allenfalls geschätzt. Der Grund für den Gefühlswandel ist paradox. Es liegt daran, dass die heutigen TV-Journalisten viel professioneller als ihre Vorgänger von damals sind.
Weber, Spahn, Abel, Torriani, Matt und Furrer hatten ihre Macken, sie hatten Aussetzer, verhaspelten sich, verloren die Übersicht, waren nervös und schwitzten. Sie waren so, wie auch eine TV-Serie hieß: „Leute wie du und ich“. Das Publikum liebte sie darum und auch das Fernsehen, das sie vertraten.
Heutige Moderatoren hingegen sind cool, glatt, routiniert, sie haben Selbstkontrolle und sind emotionsfrei. Das Publikum anerkennt sie, aber es liebt sie nicht – und auch nicht mehr das Fernsehen, das sie vertreten.
Womöglich ist dieser Liebesentzug fatal. Denn die „No Billag“-Abstimmung, die im März die SRG umstülpen kann, wird nicht nach rationalen Kriterien entschieden werden. Sachliche Argumente sind nur bei abstrakten Themen von Belang, etwa bei der Vorlage zur Finanzordnung 2021, die gleichzeitig an die Urne kommt.
Bei hautnahen und affektiven Themen hingegen entscheidet das Gefühl, das Gefühl des persönlichen Erlebens. Das war so bei der Initiative zur Masseneinwanderung, es wird bei der SRG-Initiative genauso sein.
Darum sind all die klugen Papiere zur SRG für die Katz. Täglich bekommen wir ja derzeit eine Analyse zum öffentlichen Funk um die Ohren geschlagen. Mal geht es um Programmfragen, dann um Finanzfragen, dann um Systemfragen. Wir kennen inzwischen alles von der SRG, alle Zahlen, alle Daten, alle Strukturen.
Es wird keinen Einfluss haben. Der Entscheid zur SRG erfolgt rein über das Gefühl.
Umso seltsamer ist darum die tiefschwarze Kampagne, welche die SRG-Anhänger derzeit führen. Es ist eine Kampagne, die ausschließlich auf negative, depressive Gefühle fokussiert. Bei einem Ja wird die Schweiz zerrissen, die Demokratie geht bachab, Ausländer überrennen uns, Volksverblödung setzt ein.
Ich habe mal Psychologie studiert. Es ist lange her. Aber so viel habe ich behalten: Eine Kombination von negativen Emotionen und mangelnder Liebe kann in eine Katharsis münden. Katharsis heißt, dass man Dampf ablassen muss.
Wenn man gegenüber der SRG Dampf ablassen muss, dann kann man sich leicht vorstellen, wie man bei „No Billag“ stimmt.
Erstveröffentlichung: Die Weltwoche vom 11. Januar 2018
Bildquelle: Wikimedia Commons
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Schlagwörter:No Billag, öffentlich-rechtlicher Rundfunk, Rundfunkgebühren, Schweiz, SRG/SSR