Wie Crossborder-Journalismus das Vertrauen in Medien fördern kann

9. November 2022 • Aktuelle Beiträge, Ausbildung, Internationales, Qualität & Ethik, Top • von

Bei einer Summer School des Erasmus+-Projektes „Newsreel2 – New Teaching Fields for the Next Generation of Journalists“ machten Studierende erste Erfahrungen mit Crossborder-Journalismus. In internationalen Teams arbeiteten sie an journalistischen Projekten. Welche Möglichkeiten diese Art der Zusammenarbeit bietet, erklärt hier eine der Teilnehmerinnen. Ein Kommentar.

50 Prozent, nur eine Hälfte der deutschen Bevölkerung, vertraut im Allgemeinen den Nachrichten. Das geht aus dem Reuters Digital News Report 2022 hervor. Im Jahr 2015 lag der Wert noch zehn Prozentpunkte höher. Doch was können Medienunternehmen und Journalist:innen dem sinkenden Vertrauen entgegen setzen? Eine mögliche Antwort: Crossborder-Journalismus.

Das Konzept des Crossborder-Journalismus beschreibt die Kooperation zwischen Journalist:innen aus verschiedenen Ländern. Diese kann unterschiedliche Formen annehmen. Die Journalist:innen teilen zum Beispiel Material und Quellen miteinander oder führen gemeinsam Recherchen durch. Im Anschluss veröffentlichen sie die Ergebnisse in der Regel in ihren jeweiligen Ländern. Was mit Crossborder-Journalismus nicht gemeint ist: Lokale Journalist:innen, die als sogenannte „Fixer“ Auslandskorrespondent:innen assistieren, ohne bei der Veröffentlichung später selbst erwähnt zu werden.

Eines der bekanntesten Beispiele für Crossborder-Journalismus sind die Veröffentlichungen der „Panama Papers“. Erst die kollaborative und koordinierte Zusammenarbeit von Journalist:innen aus mehr als 20 Ländern hat eine Auswertung der enormen Datenmenge über Steuervergehen damals möglich gemacht. Beteiligt waren neben deutschen Medien unter anderem Medien aus Argentinien, Israel, Dänemark, Japan, Kanada und Russland.

Crossborder-Journalismus kann das Vertrauen in Medien verbessern, indem er die Qualität der Berichterstattung steigert. Das ist auch ein Ergebnis zweier Studien von Dr. Annett Heft (FU Berlin) vom Weizenbaum-Institut, einem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Verbundprojekt. In einer Mitteilung dazu heißt es: „Grenzüberschreitende Kollaborationen verbessern die Qualität des Journalismus.“ In den Studien wurden unter anderem die Beweggründe von Journalist:innen dafür untersucht, sich an länderübergreifenden Recherchen zu beteiligen. Für 80 Prozent der Befragten war ein wichtiger Grund, die Qualität ihrer journalistischen Arbeit zu verbessern.

Zwei wesentliche Faktoren, die dazu beitragen, dass Crossborder-Journalismus das Vertrauen in Medien stärken kann, sind Kontext und Transparenz.

Nachrichten brauchen globalen Kontext

Wenn Journalist:innen aus verschiedenen Ländern zusammenarbeiten, produzieren sie automatisch multiperspektivische Ergebnisse. Weil sich ihre kulturellen und sozialen Hintergründe und Lebensrealitäten voneinander unterscheiden, betrachten sie Themen aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Selbst Auslandskorrespondent:innen, die viele Jahre lang in ihrem Berichterstattungsgebiet leben, können immer nur einen kleinen Teil der Wahrheit abbilden und oftmals haben sie darüber hinaus eine ganz andere Perspektive, als lokale Journalist:innen.

Die Kollaboration macht die Berichte nicht nur ausgewogener, sondern verleiht ihnen durch die verschiedenen Perspektiven auch mehr Kontext. Rezipient:innen kann es dadurch leichter fallen, Nachrichten einzuordnen und sich eine eigene Meinung zu bilden. Das Hintergrundwissen und die Fähigkeiten, die sie im Austausch mit ihren Kolleg:innen erwerben, können die Journalist:innen wiederum für künftige Berichterstattung nutzen.

Viele Nachrichten, die wir heute konsumieren, machen ohne den globalen Kontext wenig Sinn. Die Klimakrise beschränkt sich nicht auf ein Land, ebenso wenig wie die Corona-Pandemie, Terrorismus und Inflation, Artensterben und soziale Ungleichheit. Die Probleme der Welt betreffen uns immer stärker gemeinsam. Umso wichtiger also, dass auch die Medien globaler denken und arbeiten.

Crossborder-Journalismus basiert auf Transparenz

Transparenz ist eine häufig genannte Antwort auf schwindendes Vertrauen in Medien. Wenn die Rezipient:innen wissen, wie Journalist:innen arbeiten, können sie deren Aussagen besser nachvollziehen und schenken ihnen mehr Vertrauen. Crossborder-journalistisches Arbeiten basiert auf Transparenz. Nur wenn alle Akteur:innen offen miteinander kommunizieren und ihre Arbeitsweisen und Quellen offenlegen, funktioniert die Arbeit im Team. Bei einer internationalen Kooperation über Grenzen hinweg und mit unterschiedlichen kulturellen Einflüssen ist das besonders wichtig. Denn die Bedingungen, unter denen Journalist:innen in verschiedenen Ländern arbeiten und publizieren können, unterscheiden sich stark voneinander.

Die Presse- und Medienfreiheit wird in vielen Ländern aktiv eingeschränkt. Laut Reporter ohne Grenzen war die Anzahl der willkürlich inhaftierten Journalist:innen noch nie so hoch wie heute, seit die Jahresbilanz 1995 zum ersten Mal veröffentlicht wurde. In mehreren Staaten habe die Regierung die Pressefreiheit im vergangenen Jahr weiter eingeschränkt und Medien noch stärker unterdrückt, so Reporter ohne Grenzen, etwa in Belarus, Myanmar, China und Saudi-Arabien.

Journalistisch investigativ tätig zu sein ist oftmals mit einem Sicherheitsrisiko verbunden. Damit die Journalist:innen sich nicht in die Gefahr von Verhaftung oder Verfolgung begeben, müssen sie sich im internationalen Team hinsichtlich bestehender Sicherheitsrisiken offline wie online genau absprechen. Dazu zählt unter anderem, welche Art von Recherchen an welchem Ort möglich sind, wer welche Aufgaben übernehmen kann und wie eine sichere Kommunikation untereinander gewährleistet wird. Innerhalb eines Crossborder-Teams muss Vertrauen bestehen. Dafür gilt grundsätzlich, dass sich das Team während der Zusammenarbeit mindestens einmal persönlich treffen sollte, falls möglich.

Kollaboration schafft Vertrauen

Transparenz ist also Grundvoraussetzung für die kollaborative Zusammenarbeit – und damit auch ein Ergebnis dieser. Denn wenn schon während des Rechercheprozesses alle Abläufe miteinander ausgehandelt und offengelegt werden, wird die Arbeit der Journalist:innen auch für die Rezipient:innen später leichter nachvollziehbar.

Die Zusammenarbeit von Journalist:innen über Ländergrenzen hinweg verlangt sicherlich Anstrengungen und Kompromissbereitschaft von allen Beteiligten. Gleichzeitig bietet sie auch eine Chance, Ressourcen zu bündeln und voneinander zu lernen. Die Globalisierung unserer Kommunikation durch das Internet erleichtert internationale Kollaborationen und macht es möglich, über weite Distanzen hinweg zu zusammenzuarbeiten. Diese Chance sollten wir nutzen, um unsere Berichterstattung vertrauenswürdiger zu machen.

 

Das Erasmus+-Projekt „Newsreel2 – New Teaching Fields for the Next Generation of Journalists“ ist ein Kooperationsprojekt zwischen dem Erich-Brost-Institut (EBI), der Nichtregierungsorganisation Hostwriter als Praxispartner und vier weiteren Universitäten: Universität Pécs (Ungarn), Universität Bukarest (Rumänien), Masaryk-Universität Brno (Tschechien) und ISCTE-University Institute of Lisbon (Portugal). Es beschäftigt sich seit 2021 mit Innovationen in der Journalist:innenausbildung, für die E-Learning Module entwickelt werden.

 

Bildquelle: pixabay

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