In Bulgarien hat es der öffentlich-rechtliche Rundfunk so schwer wie nie. Das Bulgarische Nationale Radio stand unter politischem Druck, das Bulgarische Nationale Fernsehen wird nicht ausreichend vom Staat subventioniert. Hinzu kommt eine starke Medienkonzentration der privaten Medien. Da überrascht es nicht, dass Bulgarien nur Platz 111 (von insgesamt 180) in der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen belegt, womit das Land Schlusslicht der EU ist.
Im Oktober hat der Rat für elektronische Medien (СЕМ) den Generaldirektor des öffentlich-rechtlichen Rundfunks entlassen. Grund dafür war ein fünfstündiger Sendestopp des BNR-Hauptsenders „Horizont“ am 13. September – Grund war eine „technische Wartung“, wie der Sender sagte. Man vermutet, dass das Programm gestoppt wurde, um mögliche Reaktionen auf die Suspendierung der Journalistin Silvia Velikova einen Tag zuvor einzubinden.
Am 12. September hatte BNR die langjährige Moderatorin und Gerichtsreporterin von „Horizont“ suspendiert. Führende Journalisten und Redaktionsleiter hatten ihre gerechtfertigten Befürchtungen publik gemacht, dass politisch-oligarchische Kreise starken Druck auf den Generaldirektor ausübten und forderten, Velikova abzuberufen, weil sie den Vorgang der bevorstehenden Wahl des neuen Generalstaatsanwalts offen kritisiert hatte. Für den Posten stand nur ein Kandidat zur Wahl – und zwar der stellvertretende Generalstaatsanwalt Ivan Geschev, der als regierungsnah gilt. Er wurde Mitte November dann auch mit großer Mehrheit gewählt.
Die Journalistin wurde rasch wieder eingestellt, nachdem sich starker Widerstand von BNR-Journalisten formierte und sich auch der Ministerpräsident Boyko Borissov einschaltete.
Im europäischen Vergleich schneidet BNR eher schlecht ab
Das öffentlich-rechtliche Radio BNR hat dennoch einen besseren Ruf in der Gesellschaft als das öffentlich-rechtliche Fernsehen BNT. BNR bietet weiterhin objektive Nachrichten, ausführliche Berichterstattung sowie politische Magazinsendungen und Talkshows. 2016 rangierte „Horizont“ auf Platz zwei mit einem Marktanteil von 13,1 Prozent hinter „Vesselina“ (14,8 Prozent) – ein Pop-Folk-Anbieter, und vor dem Musiksender N-Joy (10,1 Prozent) (Quelle: Ipsos Media Pulse / Piero 97).
Doch im Vergleich zu durchschnittlichen europäischen Verhältnissen schneidet BNR eher schlecht ab. Einer vergleichenden Analyse zu öffentlich-rechtlichen Medien in zehn europäischen Ländern zufolge, die das EJO unter Leitung der rumänischen Medienwissenschaftlerin Raluca Radu 2017-2018 durchgeführt hat, sind in den meisten untersuchten Ländern die öffentlich-rechtlichen Radiosender marktführend. „In England, Deutschland und der Schweiz nehmen sie mit mehr als 50 Prozent Marktanteil eine sehr dominante Position ein“, heißt es in der Analyse. Grund dafür sei ein besserer Zugang zu finanziellen Ressourcen.
In Bulgarien leidet das öffentliche Radio wie das öffentliche Fernsehen an einer permanenten staatlichen Unterfinanzierung. Die Staatssubvention in 2019 beträgt 68 Millionen Leva (ca. 34 Mio. EUR) für BNT, 44 Mio. Leva für BNR und 5 Mio. Leva für die staatliche Presseagentur BTA. Die Summen, die im Vergleich zu westeuropäischen Verhältnissen lächerlich scheinen, sind abhängig von der finanziellen Lage des Staates und nicht zuletzt vom Gehorsam derjenigen, die sie leiten. Zwar sieht das Mediengesetz die Einführung von Rundfunkgebühren vor, doch diese ist nie in die Tat umgesetzt worden – die Regierenden egal welcher Partei wollten die Bevölkerung nicht noch zusätzlich finanziell belasten.
Im Sommer 2019 entließ der Rat für elektronische Medien den Generaldirektor von BNT Konstantin Kamenarov, weil er wegen Alkohol am Steuer verurteilt wurde. Sein Nachfolger Emil Koshlukov gab dann bekannt, dass bis Еnde 2019 das Budgetdefizit des BNT 44 Millionen Leva erreichen würde. Das BNT sei „praktisch bankrott“, sagte Koshlukov. „Wir bitten daher das Finanzministerium um seine Unterstützung. Wir müssen das Fernsehen retten.“ Ein großer Teil der Schulden entstand durch Einkäufe teurer Sportrechte, Filme und Produktionen.
BNT steht im Schatten der privaten Fernsehsender
Die Lage um das BNT beginnt den Verhältnissen in Rumänien zu ähneln. Vor einigen Jahren wurde das öffentlich-rechtliche Fernsehen im Nachbarland vor dem Bankrott gerettet, indem die Regierung die Rundfunkgebühr abschaffte und eine massive Erhöhung der staatlichen Subventionen ankündigte. 2016 erreichte das öffentliche Fernsehen ein „historisches Tief von 3,5 Prozent Marktanteil“, das sich durch „starke Konkurrenz und eine strikte Sparpolitik“ begründet, wie Raluca Radu in der EJO-Analyse feststellte.
Das BNT liefert weiterhin langweilige Nachrichten, die sich auf die Agenda von Institutionen konzentrieren und nicht auf die Bedürfnisse der Bürger und der Verbraucher. Seine Nachrichtensendungen sind zahnlos, das Unterhaltungs-Segment ist ebenfalls nicht sehr attraktiv.
Seit 2000, als der private Sender bTV die erste landesweite Übertragungslizenz bekam, verringerte sich der Zuschauermarktanteil von BNT1, dem Hauptsender des öffentlichen Fernsehens, um das zehnfache. Er betrug unter fünf Prozent im Februar und 3,6 Prozent im Juli 2019 (Quelle: Nielsen Admosphere Bulgaria). Die privaten Sender bTV und NOVA sind viel erfolgreicher: Sie haben einen Marktanteil von über 25 bzw. etwa 20 Prozent. Zum Vergleich: In Deutschland, Großbritannien, Italien und der Schweiz kontrollieren die öffentlichen Fernsehsender ein bis zwei Drittel des Marktes. Die Dominanz der beiden privaten Riesen in Bulgarien ist noch deutlicher bei den Werbeeinnahmen. Hier betrug der Marktanteil der bTV Media Group in der ersten Hälfte 2019 47 Prozent, der von Nova Broadcasting Group 37 Prozent und von BNT nur ca. ein Prozent (Quelle: Nielsen Admosphere Bulgaria / Media Club). Der Umfang des gesamten Werbemarktes (Netto-Investitionen) betrug 2018 415 Millionen Leva (Quelle: Bulgarische Vereinigung der Kommunikationsagenturen, in: Wochenzeitung Kapital).
Die öffentlich-rechtlichen Medien in Bulgarien werden allmählich „liquidiert“, so der Medienwissenschaftler Orlin Spassov in Kapital. Dabei werden sie nicht nur als Akteure aus dem Markt entfernt, wovon die privaten Sender profitieren, sondern auch als Stimmen, die per Definition kritisch und unabhängig sein sollten, marginalisiert.
Sowohl der politische als auch der ökonomische Druck beeinflussen die Arbeit und den Marktanteil der öffentlich-rechtlichen Medien. Auch die Art der Ernennung der Generaldirektoren von BNT und BNR durch den Rat für elektronische Medien gilt als weitere Hürde, die der Autonomie der öffentlichen Medien im Weg steht. Drei der insgesamt fünf Mitglieder der Regulierungsbehörde werden vom Parlament, d.h. von der jeweiligen regierenden Mehrheit gewählt, und die anderen zwei vom Staatspräsidenten ernannt.
Private TV-Sender bleiben Objekt der Begierde
Die miserable Lage insbesondere des BNT ist aber nicht zuletzt Folge einer ziemlich liberalen Mediengesetzgebung, die die Medienkonzentration als fundamentales Problem übersieht. Darüber hinaus sieht die Gesetzgebung keine vorbeugenden Maßnahmen gegen Cross-Media-Ownership vor, was der bTV-Mediengruppe ermöglicht hat, ihr Radiogeschäft auszubauen und der Mediengruppe von NOVA, am Online-Medienmarkt aktiv teilzunehmen. Dies führt zu einer Medienkonzentration, die auch eine Bedrohung für den Meinungspluralismus ist.
Trotz der offensichtlich stark sinkenden Gewinne im Fernsehgeschäft bleibt das private Fernsehen weiterhin ein Objekt der Begierde. Vor Kurzem wurde bekannt, dass der reichste Tscheche – der Milliardär Petr Kellner, dem inzwischen der zweitgrößte Telekomanbieter in Bulgarien gehört, den bulgarischen Fernsehsender bTV kaufen wird. Kellner schließt einen Deal für den Einkauf der ganzen im Mittel- und Südosteuropa agierende Mediengruppe CME, der bTV gehört. Ein großes Fragezeichen bleibt, ob in der Zukunft der erfolgreichste Fernsehsender Bulgariens seinen objektiven Journalismus und die gemäßigt regierungskritische Linie fortsetzen oder der neue tschechische Chef die für den Balkan typische Rolle eines Medienbarons mit politischen Engagements übernehmen wird.
Kellner wollte Anfang des Jahres auch die NOVA-Mediengruppe von der skandinavischen Modern Times Group erwerben, was aber von der Wettbewerbskommission untersagt wurde. Die NOVA-Mediengruppe ging dann an die bulgarischen Gebrüder Domuschievi, die im Pharma- und Schiffgeschäft tätig sind und zudem den zurzeit erfolgreichsten Fußballclub Bulgariens, Ludogorez Rasgrad, besitzen.
Einer der Brüder, Kiril Domuschiev, ist zudem dafür bekannt, dem Ministerpräsidenten Borissov nahezustehen. Kurz nach der Übernahme von NOVA wurden die Verträge zweier prominenter investigativer Reporterinnen gekündigt; zuvor wurde ihnen das Angebot gemacht, freiberuflich für den Sender zu arbeiten. Beide haben es abgelehnt. Eine von ihnen, Miroluba Benatova, entschied sich dann dazu, lieber als Taxifahrerin ihr Geld zu verdienen.
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