Je kritischer, desto besser

3. November 2016 • Internationales, Qualität & Ethik • von

Syriens Präsident Assad ist der größte Medienprofi der Weltpolitik – neu mit Schweizer Beteiligung.

assad_prIm Jahr 2015 bekam die britische BBC ein Interview mit Syriens Präsident Baschar al-Assad. Die BBC schickte den Journalisten Jeremy Bowen zum Gespräch, einen ihrer harten Jungs.

Bowen wollte es besonders gut machen. Als erste Frage ging er gleich anklagend aufs Ganze: “Has Syria become a failed state?”

Assad verzog keine Miene und antwortete wie ein geduldiger Lehrer, der einen frechen Schüler unterweist. Er liebte die kritische Frage.

Kürzlich war das Schweizer Fernsehen dran. Diesmal wurde “Rundschau”-Journalist Sandro Brotz von Assad zum Interview zugelassen. Auch Brotz wollte es besonders gut machen. Er hielt Assad das Bild eines verletzten Kindes anklagend unter die Nase.

Assad verzog keine Miene und antwortete wie ein geduldiger Lehrer, der einen frechen Schüler unterweist. Er liebte die kritische Frage.

Nach dem Interview feierte sich “Rundschau”-Mann Brotz als großen Kampfjournalisten. So aggressive Fragen, wie er gestellt habe, sei Assad “wohl nicht gewohnt”.

Das war eine reichlich naive Einschätzung des Medienprofis. Assad ist aggressive Fragen mehr als gewohnt. Er will nichts anderes. Er liebt nichts mehr als sogenannt kritische Journalisten. Je frontaler sie ihn angehen, umso besser.

Assad hat eine ultramoderne Medienstrategie entwickelt, die für westliche Journalisten ebenso ungewohnt wie faszinierend ist. Er erwartet von den Medien nicht Propaganda, er erwartet Konfrontation. Damit unterscheidet er sich diametral von Staatschefs wie Wladimir Putin oder François Hollande, die sich bei Interviews lieber harmlose Steigbügelhalter wünschen.

Assad, beraten von PR-Spezialisten aus dem Westen, hat den wichtigsten Mechanismus des Medienbusiness begriffen wie kaum ein anderer. Er weiß, dass seine Glaubwürdigkeit umso höher steigt, je härter und skeptischer die Journalisten ihn befragen.

Sein bester Trick dabei ist sein Verzicht auf Kontrolle. Wenn sich seine Interviewpartner jeweils erkundigen, ob sie ihre Fragen vorher schriftlich einreichen sollten, winkt er nonchalant ab. Nein, solche Vorzensur sei nicht nötig, sagt Assad jeweils.

Für heutige Journalisten ist diese lockere Haltung völlig ungewohnt. Sie müssen sonst jedem Manager, jedem Amtsvorsteher und jedem Politiker die Interviewfragen schon Tage im Voraus schicken, damit die sich mit ihren Kommunikationsberatern auf jeden Nebensatz minutiös vorbereiten können.

Bei Assad hingegen darf jeder fragen, was ihm gerade einfällt. Mit diesem offenen Stil ist er zum Superstar der Journalisten aufgerückt. Stapel von Interviewanfragen liegen auf seinem Tisch. Assad mag ein Kriegsverbrecher sein, aber journalistisch ist er ein Leckerbissen.

Assad gibt denn auch Interviews en masse. Auf Seiten der gedruckten Medien etwa war er im Paris Match, im Expressen, in der Prawda und im Foreign Affairs.

Am meisten aber schätzt Assad eine ganz spezielle Mediengattung. Neben dem SRF-Fernsehen redete er zuletzt mit Sendern wie ARD, BBC, SBS, NPO, CT24, RAI und PBS. Das sind alles öffentlich-rechtliche Sender, neben jenem aus der Schweiz solche aus Deutschland, Großbritannien, Australien, den Niederlanden, Tschechien, Italien und den USA. Sogar in den USA gab Assad dem Service-public-Kanal PBS ein Interview. Der hat zwar fast keine Zuschauer, aber eine hohe Glaubwürdigkeit.

Assads Kommunikationsstrategie hat damit eine gewisse Ironie. Seine erfolgreichste PR-Plattform sind die kritischen Journalisten des Service public. Der Mann hat das Wertesystem der Medien perfekt begriffen.

Erstveröffentlichung: Weltwoche vom 27. Oktober 2016

Bildquelle: CC BY-SA HonestReporting.com, flickr/laverrue, flickr/FreedomHouse; Lizenzbedingungen: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/

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