Ohnmächtige Helden der vierten Gewalt

1. Juli 2015 • PR & Marketing, Redaktion & Ökonomie • von

Soziale Netzwerke erlauben PR-Experten, den Journalismus zu umgehen. Doch Journalisten verschließen vor dieser Tatsache oft die Augen.

Soziale Netzwerke erlauben PR-Experten, den Journalismus zu umgehen. Doch Journalisten verschließen vor dieser Entwicklung oft die Augen.

Soziale Netzwerke werden zu mächtigen Werkzeugen der Kommunikation. Sie erlauben es Interessenvertretern, um Journalisten einen Bogen zu machen.

Fäkalsprache wird in jüngster Zeit selbst im puritanischen Amerika salonfähig, obschon dort vor gar nicht allzu langer Zeit im öffentlichen Sprachraum „Fuck“ noch als „four letter word“ umschrieben wurde. Der Chefredakteur der New York Times, Dean Baquet, hat jüngst einen Journalismus- Professor, der ihn wegen der Berichterstattung seiner Redaktion über Charlie Hebdo kritisiert hat, ein entsprechend vulgäres Wort nachgeworfen. Auch Jacob Harris, einer der Software-Architekten der New York Times, hat aus seinem Herzen keine Mördergrube gemacht. In einem Beitrag für das Nieman Journalism Lab der Harvard Universität beschreibt er ebenso vulgär wie zutreffend, wie sich das Machtverhältnis zwischen Public Relations und Journalismus verschiebt: „Die Bullshit-Daten-Woge nimmt überhand, und jetzt ist es an uns, herauszufinden, wie wir von ihr nicht fortgeschwemmt werden.“

Womit wir mitten im Thema wären, mit dem allerdings das Reuters Institute for the Study of Journalism in Oxford ein wenig zurückhaltender umgeht als Harris. Öffentlichkeitsarbeit, zu Neudeutsch: Public Relations (PR), „wird vom Journalismus unabhängiger, während der Journalismus immer mehr in die Abhängigkeit der PR gerät“, fassen John Lloyd, Senior Research Fellow am Reuters Institute, und Laura Toogood, die bei einer PR-Firma in London arbeitet, die Ergebnisse ihrer Studie zusammen. Zwar brauche die PR den Journalismus weiterhin, um ihren Botschaften „von dritter Seite“ Glaubwürdigkeit zu verleihen. Sie hat inzwischen aber auch andere, oftmals „mächtigere Bundesgenossen“ im Kampf um die Kommunikationshoheit im öffentlichen Raum. Gemäß neuerer Statistiken des Amerikanischen Arbeitsministeriums sind PR-Leute in den USA gegenüber Journalisten inzwischen in einer vier- bis fünfachen Übermacht.

Einfluss über Social Media

Beispiele dafür, wie PR-Leute heutzutage den Journalismus umgehen und in den sozialen Netzwerken selbst Geschichten verbreiten, liefert wiederum Harris. Zwei besonders eindrückliche und schlüpfrige: Die Demokraten würden „mehr Pornografie konsumieren als die Republikaner“, vermeldete etwa die Porno-Website Pornhub. Zu lesen war auch das: „Die Mexikaner und die Nigerianer sind im Sex am besten.“ Die Behauptung basiert auf einem Ranking, das der Kondomhersteller Durex in Umlauf brachte.

Solcher „Datenjournalismus“, gezielt von der PR-Branche platziert, um ihren Kunden zu öffentlicher Aufmerksamkeit zu verhelfen, werde dann, sagt Harris, gerade von Online-Medien gierig aufgegriffen: „Wenn du ein Reporter bei einem Nachrichten-Startup bist, der ununterbrochen für Nachschub beim Posten suchen muss, warum solltest du auf solche Stories verzichten? Alle sind glücklich, auch wenn die Daten nicht stimmen.“

Um auszuloten, wie sich in diesem digitalen Zeitalter der Beliebigkeit das Verhältnis von Journalismus und PR verändert hat, haben Lloyd und Toogood mit rund 40 Kommunikationsprofis und Journalisten vor allem im angelsächsischen Raum Expertengespräche geführt. Herausgekommen ist dabei etwas, was kaum in wissenschaftliche Fachzeitschriften gelangen würde und doch nützlicher ist als das meiste, was solche Journals an „empirisch gesättigten“ Studien publizieren. Statt blindlings Daten zu sammeln und sie in oftmals vorhersehbaren Balkendiagrammen zu präsentieren, verdichten die beiden Autoren ihre Gesprächsergebnisse zu einem spannenden Überblick, wie PR-Strategen Einfluss nehmen. Vor allem Suchmaschinen und soziale Netzwerke seien zu mächtigen neuen Kommunikationsinstrumenten geworden. Sie erlaubten es Unternehmen, Regierungsapparaten und Non-Profit-Organisationen, um Journalisten einen Bogen zu machen und direkt mit ihren Zielgruppen in Kontakt zu kommen.

Bizarre Glaubensgemeinden

Wie das über die beiden genannten Beispiele hinaus passiert und wie Google und Facebook, Twitter und Instagram damit Geld verdienen, wird sehr detailliert von Toogood im vierten Kapitel des Buchs beschrieben. Das ist zwar kein „How to-Guide“ für jene PR-Praktiker, die sich in der digitalen Welt noch zu rechtfinden müssen. Aber es reicht voll und ganz, um all jene das Gruseln zu lehren, die sich um die Zukunft unserer demokratischen Gesellschaften sorgen: Wenn die Mächtigen dieser Welt ihre Erfüllungsgehilfen, darunter auch ihre Trolls, strategisch einsetzen, aber Journalisten immer seltener halbwegs verlässlich den Wahrheitsgehalt von Botschaften, die im Netz zirkulieren, prüfen, dann entstehen Parallelwelten und bizarre Facebook-Glaubensgemeinschaften.

Der rationale, auf Fakten bauende Diskurs hat dann kaum noch eine Chance wie auch jüngste Forschungsergebnisse aus Italien bestätigen. Medienforscher haben dort analysiert, wie sich Nonsens und Verschwörungstheorien im Vergleich zu halbwegs verlässlicher oder gar nicht wissenschaftlich geprüfter Information in sozialen Netzwerken wie Facebook ausbreiten. Ein Forscherteam aus um Walter Quattrochiocchi am Institute for Advanced Studies in Lucca hat zudiesem Zweck einen Korpus von über 270 000Postings auf 73 Facebook-Seiten untersucht. Das ernüchternde Fazit: Offenbar haben gegen gezielte oder geschrotete Desinformation jene Forscher und Journalisten, die altmodisch als Aufklärer unterwegs sind, kaum eine Chance. Unfug wird schlichtweg schneller und intensiver mit einem „Like“ versehen und weiterverbreitet als seriöse Information.

Widersprüchliche Selbstbilder

Doch wie sehen Journalisten und PR-Experten sich selbst und einander? Sind sie sich der digitalisierungsbedingten Machtverschiebungen zwischen den beiden Professionen bewusst? Thomas Koch, Magdalena Obermaier und Claudia Riesmeyer von der Universität München haben dazu kürzlich auf der Jahrestagung der europäischen Kommunikationsforscher in Lissabon eine Studie vorgelegt, die im deutschen Sprachraum beide Berufsgruppen untersucht. Ihre Befunde sind nicht atemberaubend – dennoch überrascht, wie krass sich die wechselseitige Wahrnehmung unterscheidet.

So empfinden nur rund ein Viertel der Journalisten die Beziehung zu den PR-Profis als „eng“ und knapp 40 Prozent von ihnen als „vertrauenswürdig“, während jeweils fast doppelt so viele PR-Praktiker diese Prädikate vergeben. Knapp 50 Prozent der PR-Experten glauben wohl realistischerweise, dass sie einen großen Einfluss auf journalistische Arbeit haben, aber nur knapp 20 Prozent der Journalisten wollen das wahrhaben. Nicht einmal ein Drittel der Journalisten konzedierte, dass ihre Arbeit „viel schwieriger“ wäre ohne PR-Zulieferungen, während diese Wahrnehmung von den PR-Leuten mit einer Zwei-Drittelmehrheit bestätigt wird. Am größten ist die Kluft bei der Frage, auf welchem Weg Beeinflussung stattfindet. „Mit Argumenten“, meinen 90 Prozent der PR-Leute, aber nur knapp 20 Prozent der Journalisten; „indem sie Anzeigen schalten“, mutmaßt ein Drittel der Journalisten, dagegen weniger als 20 Prozent der PR-Leute.

„Wahnvorstellung“

Daran knüpft nahtlos ein Büchlein an, das der frühere Kommunikationschef von Porsche, Anton Hunger, geschrieben hat. Er ist der wortgewaltigste Medienexperte, der sich – als Kolumnist des deutschen Branchenblatts Medium-Magazins – bereits seit Jahren mit der PR-Branche und ihrem Einfluss auf den Journalismus auseinandersetzt. Die „Crux am PR-Job“ sei es, und das deckt sich mit den Münchner Befunden, dass „diejenigen, die berufsmässig Pressesprecher kontaktieren“, Beeinflussungsversuche ganz und gar nicht mögen. „Sie sind ja die Helden der vierten Gewalt, unterliegen der Wahnvorstellung einer vorurteilslosen Aufklärung und ignorieren dabei geflissentlich ihre eigene Selbstüberhöhung in diesem Geschäft“, so Hunger. Umgekehrt hätten die Pressesprecher „zwar auch einen öffentlichen Auftrag“, sie „müssen schlechte Zahlen genauso kommunizieren wie gute, Entlassungen genauso wie Neueinstellungen, Niederlagen genauso wie Erfolge“. Ihr „stattliches Salär“ erhielten sie aber dafür, „dass sie ihrem Auftraggeber Glanz auf seinen Pelz zaubern“ und „die Medienmeute instrumentalisieren“.

Vergnüglicher und schnoddriger geht es kaum, auch dann, wenn Hunger in geradezu verblüffender Offenheit die Grenzen von Krisen-PR markiert: Wer erst einmal von den Medien skandalisiert werde, dem sei kaum mehr „aus der medialen Patsche“ zu helfen: „Der Verdächtigte ist nackt, das Guckloch in der Peepshow offen und der den Verdächtigen schützende Spin-Doctor ein zahnloser Tiger“. Geri Müller und der Schweizer Ex-Nationalbankpräsident Philipp Hildebrand lassen grüßen – ebenso der deutsche Bundespräsident Christian Wulff, der TV-„Wetterfrosch“ Jörg Kachelmann und der FC Bayern Präsident Uli Hoeness.

Die Moralfrage

Ein paar Mal vergaloppiert sich Hunger– wenn er etwa pauschal PR-Leute zu „Spin Doctors“ umdefiniert, um dann zu verkünden, dass man sie „nach der Moral ihres Tuns“ nicht fragen dürfe – was aber offenbar halb so schlimm ist, denn „moralisch ist auch das Verhalten der Ratingagenturen und Banken nicht“. Oder wenn er die Offenlegung, wer teure Einladungen zu Journalistenreisen finanziert, für überflüssig erklärt, weil „korrumpierbare“ Journalisten so oder so bestechlich seien, „ob mit oder ohne Transparenzregeln“.

Hungers Geheimnis bleibt auch, wie er sich seit Jahren mit dem Thema auseinandersetzt, ohne je wissenschaftliche Befunde zur Kenntnis zu nehmen. Schade eigentlich. Den PR- und Journalismusforschern täte gelegentlich ein gepfefferter Kommentar zu ihren Erkenntnissen gut – von einem mit allen Wassern gewaschenen PR-Profi, der nicht zuletzt deshalb den Gipfel des Ruhms in seiner Zunft erklimmen konnte, weil er dank seines Netzwerks und journalistischer Berufserfahrung auch die „andere“ Seite des Geschäfts gut kennt. Umgekehrt schadete es Leuten wie Hunger nichts, würden sie gelegentlich einen Ausflug ins wissenschaftliche Parallel-Universum riskieren. Da müssten sie sich zwar mit schlechtem Deutsch herumschlagen, aber ein paar zusätzliche Einsichten und Erkenntnisse zur schwierigen, antagonistischen Beziehung der beiden Berufsgruppen in der Aufmerksamkeitsökonomie stünden weiterhin „privatissime et gratis“ abholbereit zur Verfügung.

 

Erstveröffentlichung: Eine leicht veränderte Version erschien in der Neuen Züricher Zeitung (NZZ) am 30. Juni 2015, Seite 50

 

Bildquelle: Rosaura Ochoa/flickr.com

 

Literatur:

Jacob Harris (2014): A wave of PR Data, in: Nieman Journalism Lab vom 17.12.2014

Anton Hunger, Die Wahrheit liegt auf dem Platz. Journalisten und PR-Leute inszenieren gemeinsam die mediale Welt – auch wenn sie ihre gegenseitige Abneigung lustvoll pflegen, Salzburg: Edition Oberauer, 2014

Thomas Koch, Magdalena Obermaier & Claudia Riesmeyer: Friend or Foe or In-between? A Quantitative Survey on the Relationship between Journalists and Public Relations Practitioners in Germany, Presentation, Lisbon: ECREA Conference, Nov. 2014

John Lloyd & Laura Toogood (2014): Journalism and PR. News Media in the Digital Age, London: I.B. Tauris & Co, 138 Seiten

 

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