Ein starkes, widerstandsfähiges und menschenzentriertes Internet birgt das Potenzial, die Grundlage für effiziente Meinungsfreiheit zu bilden. Ein Forschungsprojekt hat die Medien- und Internetlandschaft in Bulgarien mithilfe der UNESCO-Indikatoren zur Universalität des Internets untersucht.
Meinungsfreiheit ist ein zentrales Recht in demokratischen Gesellschaften. Das Internet erweitert die Kommunikationsmöglichkeiten für Menschen im Arbeitsbereich, aber auch im restlichen Leben. Sie ermöglicht einen intensiveren Austausch von Meinungen und Ideen. Sind die Gesellschaften auf den digitalen Wandel vorbereitet und können sie das Potenzial ihrer Internetumgebung bestmöglich nutzen?
UNESCO-Indikatoren unterstützen Forschung
Um das festzustellen, kann der Einsatz des UNESCO-Rahmenwerks zur Universalität des Internets hilfreich sein. Dieses kann als Forschungsinstrument für verschiedene Interessengruppen dienen und so substanzielle und weitreichende Erkenntnisse über die Qualität der Online-Umgebung liefern. Das zivilgesellschaftliche Konsortium „Recht, Internet, Medien, Kommunikation und Kultur“ führte im Rahmen des UNESCO-ROAMX-Forschungsprojekts eine Untersuchung anhand von 109 Hauptindikatoren und 21 Kontextindikatoren durch, um einen analytischen Bericht über die Dynamik der nationalen Internetentwicklung in Bulgarien zu erstellen. Das vom bulgarischen Ministerium für E-Governance unterstützte Projekt „Durchführung einer nationalen Bewertung der Internetentwicklung in Bulgarien im Rahmen der UNESCO-Indikatoren zur Universalität des Internets“ (2022–2023) steht in engem Zusammenhang mit den Grundsätzen der globalen Initiative „Partnerschaft für offene Regierungen“: Transparenz, Bürgerbeteiligung, Rechenschaftspflicht und technologische Innovation. Ziel war es, ein tieferes Verständnis des aktuellen Stands der Technik in diesem neuen Umfeld zu vermitteln. Außerdem prüfte das Projekt, inwieweit dieses Umfeld den Konzepten der Menschenrechte entspricht, Barrierefreiheit gewährleistet und verschiedene Interessengruppen einbezieht. Darauf basierend sollten politische Empfehlungen und praktische Maßnahmen festgelegt werden, die Lücken schließen und Mängel beheben können. Im Mittelpunkt der Studie steht ein interdisziplinärer Ansatz: Das Projekt bezog Experten aus verschiedenen Bereichen, darunter Recht, Politikwissenschaft und Soziologie, mit ein, um verschiedene Faktoren zusammenhängend zu untersuchen.
Fortschritte in Bulgarien vor allem im Wirtschaftssektor
Die Untersuchung der kontextbezogenen Indikatoren in Bezug auf wirtschaftliche, demografische, Gleichstellungs-, Governance- und IKT-Bedingungen ergab, dass Bulgarien im Zeitraum von 2012 bis 2023 erhebliche Fortschritte im wirtschaftlichen Bereich erzielt hat. Das Pro-Kopf-Bruttonationaleinkommens des Landes ist gewachsen und der Anteil von Dienstleistungen am BIP ist stabil. Andererseits steht das Land vor Problemen im Zusammenhang mit der vollständigen Umsetzung der unternehmerischen Freiheit.
In normativer Hinsicht gewährleistet der Rechtsrahmen Bulgariens einen ausreichenden Schutz der Grundrechte und -freiheiten seiner Bürger. Zwar gibt es kein spezielles Gesetz über Aktivitäten im Internet, doch gelten Offline-Bestimmungen auch online. Das bedeutet, allgemeine Gesetze schützen die Persönlichkeit und die Rechte der Menschen im Internet. Die globale Datenbank von Access Now enthält keine Informationen über Internetabschaltungen in Bulgarien für den Zeitraum zwischen 2018 und 2022. Access Now ist eine internationale Nichtregierungsorganisation, die die digitalen Rechte gefährdeter Menschen und Gemeinschaften verteidigt und erweitert. Insbesondere wurden keine Beschränkungen des Zugangs zu Inhalten, gesperrte Domainnamen oder andere Arten staatlicher Eingriffe in den Zugang zu Online-Inhalten gemeldet.
Anhaltende Kritik an Pressefreiheit in Bulgarien
Obwohl alle Standards in Kraft sind und keine offensichtlichen Missbräuche vorliegen, wird die Medienfreiheit in Bulgarien in den Jahresberichten der Europäischen Kommission zur Rechtsstaatlichkeit, von Freedom House oder Reporter ohne Grenzen (RwB) systematisch kritisiert. Im Pressefreiheits-Ranking der Organisation Reporter ohne Grenzen belegt Bulgarien 2024 den 59. Platz, mit der Begründung: „die Pressefreiheit ist in einem der ärmsten und korruptesten Länder der Europäischen Union fragil und instabil. Die wenigen unabhängigen Medien in Bulgarien stehen unter Druck.“ Es gibt mehrere anhaltende negative Trends im Land. Dazu zählen Verleumdungsklagen und sogenannte SLAPP-Klagen gegen Journalisten, aber auch Online-Belästigung, zum Beispiel im Zusammenhang mit Berichten über den Krieg Russlands gegen die Ukraine oder die Impfung gegen COVID-19. Außerdem werden Journalisten in ihrer körperlichen Unversehrtheit bedroht und es gibt allgemeine Versuche, politisch in die Medien einzugreifen.
UNESCO-Bericht zeigt vielfältige Ergebnisse
Der UNESCO-Bericht bestätigt ebenfalls die chronischen Probleme der Medienregulierung in Bulgarien, wie zum Beispiel Ungleichgewichte bei der Regulierung öffentlicher Medien. Diese werden im Vergleich zur Regulierung der kommerziellen Medien sehr streng behandelt. Ernsthafte Zweifel an der Unabhängigkeit der Regulierungsbehörde für audiovisuelle Medien untergraben deren Autorität und öffentliches Ansehen. Dazu kommt, dass die Mandate der Mitglieder abgelaufen sind, diese jedoch bis zur Wahl neuer Mitglieder im Amt bleiben. Die gesetzlich festgelegte Amtszeit verlängert sich so in der Praxis. Der Bericht des Media Pluralism Monitor aus drei aufeinanderfolgenden Jahren – 2021, 2022 und 2023 – stellt ebenfalls fest, dass „die Konzentration der Nachrichtenmedien ein sehr hohes Risiko (96 %) aufweist und keine Verbesserungen zu verzeichnen sind“.
Angesichts all dieser Umstände sind insbesondere im Mediensektor ernsthafte Reformen erforderlich. Impulse kommen dafür vor allem von der EU, die bereits das Gesetz über digitale Dienste und digitale Märkte sowie das Europäische Gesetz zur Medienfreiheit verabschiedet hat. Das nationalen Entwicklungsprogramm „Bulgarien 2030“ soll außerdem die wirtschaftliche Konvergenz innerhalb der EU beschleunigen. Dafür soll die Spezialisierung auf Produkte und Branchen mit höherer Technologie- und Forschungsintensität gezielt staatlich unterstützt werden, was zu besseren und prestigeträchtigeren Positionen in globalen Wertschöpfungsketten führen wird. Mit Blick auf den Medienbereich müssen nationale Rechtsvorschriften geändert oder durch neue ersetzt werden. Diese müssen die Unabhängigkeit der Medien in ihrem neuen Umfeld besser schützen. Darüber hinaus sollten neue Rechtsnormen es erleichtern, Vereinigungsfreiheit und die Teilnahme an öffentlichen Angelegenheiten auszuüben. Dies schafft bessere Bedingungen für eine sinnvolle und transparente Beteiligung der Bürger an der Staatsführung. Im Hinblick auf die Entwicklung von Künstlicher Intelligenz „soll der neue Rechtsrahmen verhältnismäßig bleiben und nicht zu einer Überregulierung führen. Zu diesem Zweck werden neue Vorschriften eingeführt, die vor allem für risikoreiche Systeme mit KI gelten.“
Der UNESCO-Bericht zur Bewertung der Universalität des Internets ist ein umfangreiches Dokument. Es ist das erste seiner Art in Bulgarien und das zweite in Europa nach Deutschland. Der Bericht spiegelt das komplexe Bild der Internetausbreitung im Land mit all seinen Höhen und Tiefen wider und zeigt, dass der Weg zur digitalen Transformation lang und schwierig ist.
Die vollständige englische Fassung des UNESCO-Berichts zur Bewertung der Universalität des Internets in Bulgarien ist unter https://egov.government.bg/wps/portal/ministry-meu/strategies-policies/digital.transformation/itis-project verfügbar.