Information muss frei sein – und teuer

20. Oktober 2010 • Digitales, Qualität & Ethik • von

Meinung

Qualitätsmedien sind in Gefahr. Ohne ihre Leistung kann eine Gesellschaft sich nicht verständigen.

Der Journalismus muss aber aufhören, sich über wegbrechende Geschäftsmodelle zu beklagen, und selbstbewusst verdeutlichen, was er kann. Es gibt Menschen, die einen Anker für uns auswerfen in den unübersichtlichen Wogen, mit denen das tägliche Geschehen in der globalisierten Welt auf uns einbrandet.
Vielleicht heißen die Moderatoren der wichtigsten Fernsehnachrichtensendungen auch deshalb “Anchor”: Weil sie nicht nur den Zuschauer an die Angel bekommen sollen, sondern uns verankern in einer Welt, die immer weniger verlässliche Haltepunkte aufweist.

In den USA ist Walter Cronkite zur Ikone der TV-Nachrichten geworden. Sein journalistisches Ethos, seine Professionalität und seine Ausstrahlung machten ihn zum “most trusted man in America”. Dazu passt es, dass Cronkite jede seiner Evening News mit dem Satz beendete: “And that’s the way it is.” Das ist ein paradigmatischer Satz. Als er mir kürzlich wieder in die Hände fiel, habe ich mich gefragt: Wer würde es heute wagen, sich mit einem solchen Satz aus der Tageszusammenfassung des Weltgeschehens zu verabschieden. Vermutlich niemand.

Das hat verschiedene Gründe. Zum einen ist es heute schwierig geworden, den Überblick zu behalten, weil wir über die permanente Verfügbarkeit von Informationen mehr von der komplexen Welt wahrnehmen. Der zweite Grund ist, dass es keinen Redaktionsschluss mehr gibt: Die Abstände der Aktualisierung von Informationen sind immer kürzer geworden. Drittens gibt es heute immer mehr professionelle Kommunikatoren jenseits des Journalismus, die Kommunikationsplattformen des Internets für ihre interessengeleiteten Botschaften nutzen. Viertens: Journalistinnen und Journalisten haben keine Zeit mehr, über Jahre an einem eigenen Claim zu arbeiten. Und dann gibt es einen letzten Aspekt, der vielleicht der wichtigste und schwierigste ist.

Der Satz “That’s the way it is” ist nicht nur ein paradigmatischer Satz. Es ist auch ein umfassender, ein allgemeingültiger und ein selbstbewusster Satz. Er spiegelt die Idee eines Journalismus, die heute zunehmend verwischt oder infrage gestellt wird: die Idee, Journalismus könne die Qualität liefern, die notwendig ist, um die zeitliche, sachliche und soziale Synchronisation einer Gesellschaft möglich zu machen. Die Internetunternehmerin Ariana Huffington hat im vergangenen Jahr bei einer US-Senatsanhörung gesagt, die Zukunft liege nicht im Qualitätsjournalismus, getragen durch ein Mediensystem. Sie liege in einer Kombination aus Bürgerjournalismus und stiftungsfinanzierten Recherche- und Investigativfonds. Huffington formulierte: “If you can’t find your way to that, then you can’t find your way.” Das wäre ein Schlusssatz in Zeiten des Internets: “Bewegt euch ins Netz, oder bleibt eben am Wegesrand liegen.”

Dass sich in diesen Zeiten jeder bewegen muss, als Verleger, als Fernsehmacher, als Journalist, als PR-Profi, als Werber, das ist uns allen klar. Aber wie gelingt es in Zukunft noch, Qualitätsinhalte und insbesondere Qualitätsjournalismus zu retten? Dabei stelle ich inzwischen fest, dass es sehr unterschiedliche Auffassungen darüber gibt, wie sich “Qualität” generell definieren lässt. Bei digitaler Qualität geht es in erster Linie darum, wie Algorithmen die Welt berechnen. Hunderte von schlecht bezahlten Menschen produzieren in Kalifornien und an anderen Orten der Welt wie am Fließband Inhalte, die durch eine algorithmisch analysierte achfrage gesteuert werden. Oberstes Gebot: Der Inhalt muss bei Google gefunden werden können, dann lassen sich mit ihm Anzeigen verkaufen.

Die Qualität dieser Inhaltsangebote liegt im hohen Werbevermarktungspotenzial. Nachfrageorientierte Qualität hat Helmut Thoma schon sehr früh propagiert: “Der Köder muss dem Fisch schmecken und nicht dem Angler” – noch so ein geflügelter Satz, hinter dem sich ganze medienphilosophische und-praktische Strömungen versammelt haben. Nicht der Inhalt ist König, wie wir es so schön aus dem selbstreferentiellen Mantra der Medienbranche kennen – “content is king” -, sondern der Kunde, der über Kaufen oder Einschalten Auflage oder Quote produziert. Doch es gibt auch Qualität als Profession. Bei vielen Journalisten, die ihren Beruf als Berufung verstehen, geht der Anspruch tatsächlich über das tägliche Abliefern wichtiger Informationen hinaus.

In der Diskussion finden wir immer wieder Kriterien wie “Aktualität”, “Relevanz”, “Originalität”, “Vielfalt”, “Rechtmäßigkeit”, “Originalität” usf. Das Problem ist nur: Diese Kriterien haben sich mit dem Wandel des gesellschaftlichen Kontextes von Kommunikation ebenfalls verändert. In diese Qualitätskategorie gehören auch die weitreichenden Fragen: Was ist denn heute überhaupt noch Journalismus? Oder auch: Was ist eben kein Journalismus? Am Beispiel der aktuellen Debatte um Wikileaks kann man das sehr schnell erkennen. Ist Wikileaks eine journalistische Plattform oder eine Datenquelle? Gehört das, was Wikileaks tut, zur Kernaufgabe des Journalismus, zur investigativen Recherche, oder ist es vielmehr ein mehr oder minder krimineller Akt des Geheimnisverrats, der auch individuelle Opfer in Kauf nimmt wie die Inhaftierung des US-Soldaten Bradley Manning, der das Video des US-Helikopter-Angriffs auf Bagdad 2007 durchgestochen haben soll?

Qualität ist auch ein soziales Gut: Wir brauchen Menschen, die von ihrem Schreibtisch aufstehen und sich von ihrem Computer lösen, um zu beobachten, was in der Welt geschieht. Die unter Recherche mehr verstehen als die Eingabe eines Begriffs in eine Suchmaschine. Die mit anderen Menschen sprechen, um zu verstehen, was sie bewegt und ihr Leben bestimmt. Was wir in Deutschland gerade wieder am Beispiel der Integrationsdebatte beobachten können, zeigt, dass die großen Themen unserer Zeit oft in kleinteiligen Wellen verhandelt werden, mal auf-, mal abschwellend, angetrieben durch die Phrasendreschmaschine der Politik und die Mehrfachverwertung in den Medien. Da reicht ein provokantes Buch, das sich in unerträgliche Thesen der Eugenik versteigt, um eine Aufregungswelle sondergleichen loszutreten. Das Buch nimmt sich in falscher Art und Weise eines richtigen und gesellschaftlich wichtigen Themas an.

Das Thema selbst wird zwischen den Mühlrädern der Aufregungskultur zermahlen. Nicht alle Unterrichtung kann jeder von uns selbst besorgen. Dafür leben wir in einer zu globalen, zu komplexen, zu schnellen Welt. Deshalb brauchen wir die Medien, brauchen wir einen professionellen und an professioneller und sozialer Qualität orientierten Journalismus. Sich dabei allein auf den Goodwill von Stiftungen oder anderen freiwilligen Geldgebern zu verlassen reicht nicht. Es ist an der Zeit, eine ernsthafte Debatte darüber zu führen, dass Qualitätsjournalismus zu den Institutionen einer freien und demokratischen Gesellschaft gehört – so wie freie Wahlen, freie Gerichtsbarkeit und die Trennung der Staatsfunktionen. Wir brauchen ihn – ob gedruckt, gesendet oder im Internet.

Deshalb muss er finanzierbar sein, als Hauptberuf, nicht als Nebentätigkeit. Mich wundert schon, wie unkreativ und ideenlos viele Medienmanager nach Jahren der Analyse des Internets und der Erfahrungen in diesem neuen medialen Umfeld noch immer agieren. Da wird einfach alles in Netz geschüttet, und wenn das auf Dauer kein Geld bringt, lässt man es eben wieder. “Wir werden einen nicht unerheblichen Teil unserer verlagsgetriebenen Online-Aktivitäten auf ein notwendiges Minimum herunterfahren”, so der Burda-Vorstand Philipp Welte kürzlich.

Es sind nicht die Medienunternehmen, die hier den Weg weisen, sondern die Technologiefirmen Facebook, Twitter, So erstaunt es auch nicht, dass Teile der Medienbranche im iPad das Erlösermoment für ihre Zwickmühle sehen. “Apps sind die neuen Verbündeten der Verlage. Smartphones und Tablets sind die Zeitungen der Zukunft.” So sieht es Springer-Vorstandschef Matthias Döpfner.

Ob so die Zukunft des Qualitätsjournalismus aussieht: Ich lese meine Nachrichten auf dem iPad mit einem Apple-App, das vorher durch Apple geprüft, ggfls. zensiert und dann zugelassen worden ist, ich bekomme die dazugehörige Werbung durch iAds, höre dazu meine bei iTunes geladene Musik und lese gelegentlich mal ein Buch aus dem iBook-Store? Und ob die Medienmacher tatsächlich glauben, so ließe sich der Qualitätsjournalismus retten? Ich neige nicht dazu, sie alle für naiv zu halten.

Eher denke ich, dass sich alle dem ökonomischen Zwang unterwerfen, aus Mangel an Alternativen, der auf einem Mangel an eigenen Ideen und Initiativen beruht. Wir alle haben aus dem Blick verloren, wie langweilig eine Medienlandschaft werden kann, wenn sie allein aus Geschäftsmodellen, Vermarktungsoptionen und Wertschöpfungsketten oder aus Algorithmen errechnet wird. Ich möchte in diesem Zusammenhang noch mal an den berühmten Satz von Stewart Brand erinnern, Herausgeber des “Whole Earth Catalogue”. Er hat auf der ersten Hackers’ Conference 1984 gesagt: “Information wants to be free, because the cost of getting it out is getting lower and lower all the time.” Das erfahren wir nun leidvoll seit Jahren. Der Satz von Brand hat aber noch einen zweiten Teil, der ganz selten mitzitiert wird und der lautet: “Information wants to be expensive, because it’s so valuable. The right information in the right place just changes your life.”

Es ist doch bemerkenswert, dass wir offenbar nicht mehr bereit sind, für etwas Lebensveränderndes zu bezahlen. Eine Gesellschaft, die ihre soziale Synchronisation durch Journalismus zur Liebhaberei erklärt, darf sich nicht wundern, wenn diese Liebhaberei auch nicht steuerlich abzugsfähig ist. Es reicht nicht, fortwährend über neue Geschäftsmodelle im Internet zu philosophieren und Werbeeinbrüche zu beklagen.

Der Journalismus muss sein Überleben selbst in die Hand nehmen und für sich argumentieren. Im Moment tut er das nach dem Motto: “Wir begehen Selbstmord aus Angst vor dem Tod.” Wir beklagen einfach kontinuierlich, wie sehr der Krake Internet uns schadet und dass unsere alten Geschäftsmodelle nicht mehr funktionieren. Stattdessen muss auch der Journalismus selbst die Kunden überzeugen, dass journalistische Qualität einen sozialen Wert hat, der wiederum eines materiellen Gegenwerts bedarf. Und dafür muss eine Gesellschaft bezahlen wollen. “And that’s the way it is” würde Walter Cronkite sagen. Und diesmal wäre es nicht als abschließendes Statement, sondern als Handlungsaufforderung für die Zukunft gemeint.

Erstveröffentlichung: Handelsblatt 8./9.10.2010

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