Kreative Zerstöung

12. Juni 2008 • Digitales • von

Erstveröffentlichung: Schweizer Journalist 04 + 05 / 08

Wo geht die Reise hin? Für den Journalismus und die Medien ist die Entwicklung derzeit ähnlich unübersichtlich und turbulent wie an den Börsen.

Zu den Orientierungshilfen gehört inzwischen fraglos der jährliche Bericht des Project on Excellence in Journalism zum Zustand der US-Medien, der soeben für 2008 vorgelegt wurde.

Als beunruhigend empfinden die Wissenschaftler, die kontinuierlich die Berichterstattung von 48 bedeutenden Nachrichten-Anbietern auswerten, wie sich die Agenda verengt habe: Im vergangenen Jahr hätten zwei Themen die Berichterstattung dominiert – der Irak-Krieg und die Präsidentschafts-Vorwahlen, wobei sich im Verlauf des Jahres die Gewichtung dramatisch verschoben habe. Diese thematische Verengung sei so stark, dass Anlass bestehe, darüber nachzudenken, über wie viele wichtige Themen „in Zeiten wirtschaftlicher Rezession, des Personalabbaus und reduzierter journalistischer Ambitionen“ nicht mehr berichtet werde. Insbesondere erführen die Amerikaner kaum noch, was auf der Welt vorgehe – noch nicht einmal dann, wenn Interessen der USA tangiert seien: Ausser dem Irak hätten die Medien nur zwei Ländern erwähnenswerte Beachtung geschenkt, die ebenfalls ins Kriegsgeschehen involviert sind, Iran und Pakistan. „Unter den nachrichtenwürdigen Orten, die nur kärglich Aufmerksamkeit erzielten, befinden sich Afghanistan, Nord-Korea, Darfur, Russland, China und Libanon.“ Von Europa ist noch nicht einmal hier, in der wissenschaftlichen Medienkritik, die Rede.

Im Blick auf die Umwälzungen, die sich derzeit im Journalismus vollziehen, ist eine Formel, die vor Jahrzehnten der österreichische Ökonom Joseph Schumpeter geprägt hat, aktueller denn je: Ein Prozess „schöpferischer Zerstörung“ hat die Medienwelt erfasst und macht vor nichts und niemandem Halt. Thomas Patterson von der Harvard University beschreibt diesen Prozess in einer Studie, die am Beispiel von 160 Websites in den USA über ein Jahr hinweg genauer untersucht, wie sich die Nachrichtenangebote im Internet verändern. Auch seine Ergebnisse sind eher niederschmetternd: Auf der „Gewinnerseite“ im Netz seien vor allem die Trittbrettfahrer – also jene Anbieter, die sich wie Google, Yahoo, AOL und MSN ohne nennenswerte journalistisch-redaktionelle Eigenanstrengungen bei den klassischen Medien bedienten. Zuwächse hätten – neben Blogs und einseitig-parteilichen Anbietern wie drugdereport.com auch die grossen Brands wie nytimes.com und cnn.com. Eher düster sieht es dagegen für die zahlreichen, durchschnittlichen Websites der Gross- und Kleinstadt-Zeitungen und -Sender aus, die meist stagnierten. Aus scheinbarer Vielfalt droht also auch im Netz immer mehr Medien-Einfalt zu erwachsen.

Quellen: Project for Excellence in Journalism (2008): The State of the News Media. An Annual Report on American Journalism http://www.stateofthenewsmedia.org/2008/narrative_yearinnews_intro.php?cat=0&media=2

Patterson, Thomas (2007): Creative Destruction: An Exploratory Look at News on the Internet, Joan Shorenstein Center on the Press, Harvard University

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