Ein tiefer Graben durchzieht unser Land. Das Publikum hat sich emanzipiert und misstraut den sogenannte Mainstreammedien. Fake News, Hetze und Desinformation zersetzen die klassische Kommunikationskultur. Das ist gesellschaftlicher Sprengstoff. In dieser Situation fällt gerade den klassischen Sendern und Verlagen eine große Verantwortung zu. Ein Plädoyer für mehr digitale Empathie.
Viel ist in diesem Wahljahr diskutiert worden über Fake News, über Filterblasen und Echokammern, die angeblich daran schuld sind, dass das Publikum sich nur noch einseitig informiert. So heißt es, dass Tech-Konzerne wie Facebook und Google mit ihren unzähligen Algorithmen den Usern nur noch das zeigen, wofür diese sich ohnehin interessieren – und damit Argumente, die von der jeweiligen eigenen Meinung abweichen, von vornherein ausblenden.
Mir missfällt dieses simple Erklärungsmuster, macht man es sich als etabliertes Medienunternehmen damit doch verdammt einfach: Das Silicon Valley ist böse, das Publikum ist dumm und allein wir, die Qualitätsmedien, haben die Weisheit mit Löffeln gefressen. Ein Gedankenexperiment: Was wäre, wenn es nicht das Publikum ist, das sich in einer Filterblase befindet? Wenn es nicht das Internet und seine neuen Gatekeeper sind, die das Volk auf dumme Gedanken bringen – sondern vor allem wir selbst, die Medienmacher und -manager?
Auch Medienschaffende leben in einer Wahrnehmungsblase
Könnte es nicht sein, dass auch wir voreingenommen sind? Und zwar in einem Maße, dass wir die Blase, die wir in all den Jahren um uns herum geschaffen haben, selbst gar nicht mehr wahrnehmen? Die Tatsache, dass Redakteure sich vor allem an anderen Redakteuren orientieren? Dass es unausgesprochene Absprachen gibt, die sich über Jahrzehnte hinweg in Verlagen und Sendern wie selbstverständlich entwickelt haben und die gar nicht mehr hinterfragt werden?
Als öffentlich-rechtlicher Fernsehjournalist, der seit über 15 Jahren eine tägliche Nachrichtensendung moderiert, muss ich mich oft wundern: Gestern noch gilt Assad als Hoffnungsträger und demokratisch gewählter Präsident, kurze Zeit später sprechen wir vom syrischen Machthaber und seinem Regime. Noch im Januar 2011 ist Mubarak Ägyptens Präsident und Staatschef. Keine vier Wochen später wird er in renommierten Publikationen zum Despoten erklärt. Wie sich Medien regelrecht in einen Rausch schreiben können, haben wir 2011/12 im Fall Wulff erlebt; die Berichterstattung kam – man kann es nicht anders bezeichnen – einer öffentlichen Hinrichtung des damaligen Bundespräsidenten gleich.
Es geht mir nicht um eine politische Bewertung. Verlage und Sender sind Tendenzbetriebe und verfolgen als solche eben nicht nur finanzielle, sondern auch gesellschaftliche, erzieherische Ziele. Putin mag gefährlich sein und Trump ein Trampel. Es geht darum, unser Bewusstsein dafür zu schärfen, dass es unter Medienschaffenden sehr wohl eine kollektive Grundüberzeugung gibt, die wir selbst als neutral und objektiv empfinden, die das aber keinesfalls ist und niemals sein kann, weil es die eine, die ultimative Wahrheit nun einmal nicht gibt.
Keine geheimen Anweisungen nötig
Natürlich gibt es keine geheimen Anweisungen aus dem Kanzleramt, wie wir zu berichten haben. Das ist Quatsch. Was es sehr wohl gibt: Einflussnahme durch Einladungen zu Empfängen oder Hinterzimmergesprächen, intransparente Formen der Verbrüderung zwischen der Macht- und der Medienelite. Polit- und Verbandslobbyismus, der auch vor Journalisten nicht halt macht. Jeder politische Korrespondent, der regelmäßig aus Berlin-Mitte oder den Staatskanzleien berichtet, weiß, wovon hier die Rede ist.
Ich kenne keinen Journalisten, der lügt oder sein Publikum bewusst hinters Licht führt – und wer das tut, ist für mich kein Journalist. Was ich sehr wohl kenne, sind Redaktionsleiter, Chefredakteure oder Intendanten mit Parteibuch. Studien, die unerwähnt bleiben, wenn sie nicht in die eigene Weltsicht passen. Programm- oder Blattmacher, die bevorzugt Experten zu Wort kommen lassen, die die eigene Position am besten verkaufen. So etwas „Lügenpresse“ zu nennen, wäre töricht. Genauso töricht wäre es zu behaupten, Medien hätten keine Agenda.
Die digitale Revolution verändert auch das Verhältnis zwischen Medien und Rezipienten
Die digitale Revolution ändert die Spielregeln. Ob wir wollen oder nicht, wir alle sind Teil gewaltiger Machtverschiebungen. Diese Veränderungen sind größer als der Brexit oder Donald Trump und stellen gewohnte Strukturen auf den Kopf. Dieser Prozess ist langwierig und vor allem für tradierte Medienhäuser schmerzvoll. Unser gesamter Gesellschaftsvertrag wird neu ausgehandelt. Ein Vertrag zwischen Staat und Bürgern, zwischen Anbietern und Nachfragern, zwischen Sendern und Rezipienten, oder besser, der fünften Gewalt.
Ich fürchte, wir als Medienmacher werden diesen neuen Herausforderungen nicht gerecht, wenn wir uns mit immer neuen Meinungsumfragen die eigene hohe Glaubwürdigkeit bescheinigen lassen und uns auf diesem Wege gleichsam in den Schlaf lullen.
Digitale Empathie muss in direktem Kontakt mit den Usern erlernt werden
Wenn es etwas gibt, das ich auf meinem Weg vom Print-Praktikanten über die TV-Chefredaktion in die digitale Medienrealität gelernt habe, dann ist es das: Auf dem Weg ins Neuland gibt es keine Abkürzung. Was uns fehlt: digitale Empathie. Um diese zu erlernen, müssen wir uns die Hände schmutzig machen, uns herab begeben in die digitale Sphäre der Foren und Kommentarspalten, das Gespräch suchen, auch wenn das oft weh tut.
Allein auf Twitter oder Facebook angemeldet zu sein, reicht nicht. Gemeint ist eine aktive und intensive Auseinandersetzung damit, wie diese 360-Grad-Echtzeit-Kommunikation funktioniert. Es geht darum zu verstehen, wie in einem dezentralen Netzwerk Erregungsmechanismen ablaufen, wie Viralität, wie Misstrauen, Hass und Häme entstehen. Als jemand, der seit bald zehn Jahren bloggt und diese Prozesse schon unzählige Male durchgemacht hat, kann ich Ihnen versichern: So ein Shitstorm kann eine unheimlich reinigende Erfahrung sein.
Damit kein Missverständnis aufkommt: Es geht nicht darum, der Masse oder irgendwelchen Spinnern nach dem Mund zu reden. Auch unser Publikum ist in der Pflicht sich anzupassen. Der mündige Facebook-User wird lernen müssen, für sein öffentliches Handeln im Netz Verantwortung zu übernehmen. Unser Anspruch als professionelle Medienmacher muss es sein, on top of the game zu sein, mit gutem Beispiel voranzugehen. Wir müssen die eigenen Positionen transparent machen, begründen, wie die von uns selbst so gern gepriesene „Haltung“ zustande kommt, und immer wieder Bedingungen und Zwänge erklären, unter denen wir arbeiten. Das ist anstrengend, klappt nicht immer, geht oft auch nach hinten los. Und doch müssen wir es tun!
Im Netz kommunizieren Medienschaffende auf Augenhöhe mit den Nutzern
Transparenz, Offenheit, die eigene Fehlbarkeit und ja, auch Voreingenommenheit in die Gleichung miteinzubeziehen – das sind die ersten Schritte aus der eigenen Wahrnehmungsblase. Wenn wir uns dessen bewusst werden, dass wir im Netz auf Augenhöhe mit unserem Publikum kommunizieren, dass jeder Gesprächsteilnehmer, ob Medienprofi oder Amateur, ein Individuum ist, mit einer persönlichen Geschichte, mit gewachsenen Positionen und Überzeugungen. Wenn wir anerkennen, dass die eigene medial vermittelte Wahrheit nicht per se immer richtiger sein muss als die subjektive Wahrnehmung des Publikums. Wenn wir das begreifen und uns öffnen für die Argumente – und ja – auch die Gefühle unserer User, dann, erst dann werden wir im Neuland angekommen sein.
Ich fürchte, bis es soweit ist, werden noch Jahre vergehen, vielleicht sogar Generationen.
Erstveröffentlichung: 3. Mai 2017 Content-Bericht der Medienanstalten, auch veröffentlicht auf www.gutjahr.biz
Bildquelle: pixabay.com
Schlagwörter:Desinformation, digitale Empathie, Echokammern, Facebook, Fake News, Filterblase, Google, Publikum