SRG: Zu klein für die Welt und zu groß für die Schweiz?

23. April 2014 • Medienpolitik • von

Großorganisationen, öffentlich finanzierte zumal, entfalten ein Eigenleben und eine Eigendynamik – auch dann, wenn man sie „eigentlich“ nicht mehr braucht. Als erster hat dies Cyril Northcote Parkinson am Beispiel der britischen Marine auf den Punkt gebracht: Nach dem ersten Weltkrieg schrumpfte die Flotte des Vereinigten Königreichs, gleichzeitig wuchs die Truppe der Hafenarbeiter, welche die Schiffe versorgten, und der Wasserkopf der Admiralität – letzterer sogar überproportional.

Auch andere Bürokratien sind von Parkinsons „Gesetz“ und obendrein von Zielverschiebung bedroht – vor allem dann, wenn sie sich, wie die öffentlichen Rundfunkanstalten in Europa, im Wesentlichen selbst kontrollieren. Die Kontrollgremien sind oftmals mit Parlamentariern bestückt, die ihrerseits davon abhängig sind, dass das Fernsehen positiv über sie berichtet.

Sie betrachten den Rundfunk als ihr liebstes Spielzeug und nicht so sehr als einen wuchernden Apparat, den es in Schranken zu weisen gälte. In Deutschland hat immerhin soeben das Bundesverfassungsgericht ein kleines Zeichen gesetzt und dafür gesorgt, dass im Rundfunkrat des ZDF ein paar Politiker weniger sitzen.

Zeitgleich haben wir in Lugano anlässlich des 10. Geburtstags des European Journalism Observatory einen Seminarzyklus veranstaltet, um im Gespräch mit internationalen Experten die Zukunftschancen des öffentlich-rechtlichen Fernsehens und Radios auszuloten. Mit beteiligt waren der Tessiner Journalistenverband und CORSI, die Kooperative, die den öffentlichen Rundfunk in der italienischen Schweiz trägt.

Abschluss und Höhepunkt der Veranstaltungs-Serie war ein Streitgespräch zwischen dem Generaldirektor der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft (SRG), Roger de Weck, und dem Finanzier Tito Tettamanti, der seit Jahren auch im Zeitungsgeschäft mitmischt. Tettamanti verblüffte seine Zuhörer zunächst mit einem ganz simplen Trick: Er zog das Schweizer Fernsehprogramm des Vortags aus der Sacco-Tasche, verlas es – und stellte anschließend die nicht ganz unberechtigte Frage, was denn daran nun wirklich „service public“ sei…De Weck konterte, indem er vor allem auf die vielfältigen Kulturleistungen verwies, die ohne SRG nicht erbracht würden.

Ansonsten haben sich im Verlauf des Zyklus drei Einsichten herauskristallisiert, die ich für mitteilenswert halte: Erstens sind alle triftigen Gründe, die dereinst  in Europa zu der Entscheidung geführt haben, den Rundfunk öffentlich und nicht privatwirtschaftlich zu organisieren, durch die Digitalisierung und das Internet obsolet geworden. Man muss von Grund auf neu nachdenken, welche Rolle ein öffentlicher Rundfunk, der zwangsläufig mehr und mehr zu einem öffentlichen Internet-Anbieter wird, spielen soll.

Zweitens gilt es, genau hinzuschauen – und hier konnte Roger de Weck Punkte sammeln: Dort, wo es im Sender eine entsprechende Kultur des Service public, des „öffentlichen Dienstes“ im Wortsinn des Dienens gibt, bleibt er ein wichtiger Kulturträger, ein Instrument der nationalen Integration und auch des Minderheitenschutzes. In der Schweiz und wohl auch weiterhin in Großbritannien (trotz mancherlei Krisen, durch die die BBC getorkelt ist), gibt es solch eine Kultur. In anderen Ländern, zum Beispiel in Italien, ist die Tendenz der Politiker und Programmacher, die RAI als Selbstbedienungsladen zu betrachten, sehr viel ausgeprägter. Dass selbst in Deutschland und Großbritannien Rundfunkintendanten mehr verdienen als der britische Premierminister oder die deutsche Bundeskanzlerin, dürfte ein weiteres Indiz dafür sein, wie es um die Mentalität des Dienens bestellt ist – der Fisch stinkt bekanntlich vom Kopf her.

Drittens ist in der Schweiz die SRG ein Gigant, im weltweiten Wettbewerb dagegen eine kleine Sprotte im Haifischbecken. Möglicherweise sind die öffentlichen Rundfunkanstalten – selbst Kolosse wie die BBC, die ARD und das ZDF – viel zu klein, um sich den eigentlichen Herausforderungen des digitalen Zeitalters zu stellen: Es gälte zu verhindern, dass Giganten wie Google und Facebook auf ihren Märkten immer mehr zu Monopolisten werden, unser aller Privatleben ausforschen und obendrein zunehmend als Schleusenwärter agieren, die mit ihren Algorithmen fernsteuern, was jeder einzelne von uns über die Welt erfährt.

Andererseits sind BBC, ARD und ZDF, aber auch die SRG mit all ihren Gebührenmilliarden zu groß, als dass sich kleinere Wettbewerber aus der Verlagsbranche, die sich privat finanzieren müssen, im Internet mit eigenen multimedialen Angeboten gegen sie behaupten könnten. Für die Schweiz heißt das, dass außer der SRG wohl nur die Tamedia und vielleicht noch Ringier eine Chance haben, im beinharten Online-Wettbewerb zu überleben. Für die NZZ sehe ich eine Chance, wenn es ihr gelingt, eng mit ausländischen Titeln wie der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und der Presse in Wien zu kooperieren.

Die Medienvielfalt ist gefährdet wie nie zuvor. Die Schaffhauser Nachrichten, La Regione und Le Temps haben gegen die Großen der Branche, auch gegen die SRG und ihre Ableger in der Romandie und im Tessin, vermutlich keine Chance.

Erstveröffentlichung: Werbewoche vom 17. April 2014

Bildquelle: Gianfranco Goria / Flickr CC

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