Nach den Protesten des Arabischen Frühlings, die 2011 zum Sturz der tunesischen Diktatur führten, eilten zahlreiche Vertreter europäischer Regierungen und internationaler Organisationen nach Tunesien mit dem Ziel, die Medien des Landes zu reformieren. Sechs Jahre sind seitdem vergangen. Nun stellt eine Studie die Motivation und Relevanz dieser Medienentwicklungshilfe in Frage.
Olivier Koch von der Galatasaray-Universität Istanbul legt in einem kürzlich erschienenen Aufsatz dar, dass die Intervention von internationalen Medienentwicklungsorganisationen wie Canal France International, BBC Media Action und Deutsche Welle Akademie in Tunesien zumindest teilweise politisch motiviert gewesen sei. Europäischen Ländern sei es bei ihren Bemühungen nicht nur darum gegangen, den Journalismus im Land zu stärken, sondern auch weiche Macht auszuüben.
Die ausländischen Medieninitiativen waren mit großzügigen Budgets ausgestattet. Nach 2011 wurden noch nie dagewesene Summen freigesetzt, um Tunesien dabei zu helfen, seinen Mediensektor zu reformieren. Alexandre Delvaux, der mit dafür zuständig war, die ausländische Medienhilfe zu koordinieren, schätzt, dass Tunesien pro Jahr 13 bis 15 Millionen Euro zugutekamen – für alle anderen Länder des Nahen Ostens und Nordafrika zusammen (MENA-Region) wurden pro Jahr nur vier bis fünf Millionen Euro ausgegeben. Die Europäische Union hat ihre Ausgaben gar verdoppelt: im Jahr 2015 hat sie zehn Millionen Euro in das tunesische Medienförderprogramm gesteckt, das 2004 für die Aus- und Fortbildung von Journalisten gegründet wurde.
Bedürfnisse der tunesischen Medien hatten keine Priorität
Nach 2011 eröffneten viele internationale Organisationen, die es sich zum Ziel gesetzt hatten, rechtliche, professionelle und ethische Normen und Standards im tunesischen Journalismus durchzusetzen, Vertretungen in Tunis. Neben UNESCO und dem Europarat waren darunter auch internationale NGOs wie Article 19 (Großbritannien) und Reporter ohne Grenzen (Frankreich), die sich auf Pressefreiheit und den Schutz von Journalisten spezialisiert haben. Dazu kamen Organisationen, die sich auf Medienentwicklung und Fortbildung für Journalisten fokussiert haben, darunter IMS (Dänemark), Free Press Unlimited (Niederlande), Hirondelle (Schweiz), BBC Media Action und CFI (Frankreich).
Doch welches Interesse hatten europäische Organisationen und NGOs daran, Tunesien mit so großen Summen zu unterstützen? Die Bedürfnisse der finanzschwachen tunesischen Medien zu stillen, war laut Koch nicht immer Priorität. Hauptziel sei gewesen, die tunesischen Medienstandards und –Praktiken denen demokratischer Staaten anzugleichen – vergleichbar mit der Medienhilfe, die westliche Mächte nach dem Ende des Kommunismus 1989 in Osteuropa geleistet hatten.
Europäische Hilfe hatte auch negative Auswirkungen
Die unerwünschten Effekte der internationalen Medienentwicklungsprogramme in Tunesien sind inzwischen sichtbar. Erstens wurde im kleinen tunesischen Medienmarkt, in dem nur wenige Medienunternehmen ansässig sind und in dem weniger als 1500 Journalisten arbeiten, schnell eine gewisse Sättigung erreicht. Zudem empfanden viele tunesische Medienmanager, vor allem im privaten Sektor, die angebotenen Trainingsprogramme für Journalisten als invasiv. Aus diesem Grund erschwerten viele ihrer Belegschaft eine Teilnahme.
Es deutet auch einiges darauf hin, dass das Journalistentraining größtenteils ineffektiv war. Olivier Koch hat für seine Studie tunesische Journalisten, die 2014 und 2015 an ausländischen Journalistentrainings teilgenommen haben, sowie Journalistentrainer, die im selben Zeitraum in Tunesien tätig waren, befragt. Wie er festgestellt hat, waren mehr als die Hälfte der Teilnehmer (54 Prozent) der Ansicht, dass in den Programmen nicht die Realitäten des Journalismus in Tunesien abgebildet wurden. Dieses Gefühl wurde auch von der Mehrzahl der ausländischen Trainer geteilt (82 Prozent), die zugaben, dass sie nichts oder nur wenig über die Lage vor Ort wussten.
Ohne staatliche Unterstützung bleibt Tunesien vom Ausland abhängig
Tunesien ist vor allem deshalb von ausländischer Medienhilfe abhängig, weil eine staatliche Medienregulierung fehlt. Das im März 2011 gegründete nationale Forum für Information und Kommunikation (INRIC) löste sich im Juli 2012 auf. Abgesehen von der Regulierungsbehörde für audiovisuelle Medien (HAICA) gibt es keine Regierungsorganisation, die den Mediensektor überwacht. Dies führt soweit, dass sogar Gesetzestexte für den tunesischen Mediensektor von internationalen Organisationen ausgearbeitet werden.
Es sollte aber darauf hingewiesen werden, dass nicht alle Bemühungen der ausländischen Medienförderprogramme erfolglos waren. So ergriff zum Beispiel Article 19 die Initiative für einen Gesetzentwurf, der den Pressekodex von 2011 ersetzen sollte. BBC Media Action und der Europarat unterstützten die HAICA dabei, einen Gesetzentwurf für audiovisuelle Medien auszuarbeiten.
Da in Tunesien die Medienreformen und Trainingsprogramme für Journalisten nicht staatlich gefördert werden, ist die Zusammenarbeit mit dem Ausland die einzige Option. Ohne staatliche Unterstützung wird das Land noch lange Zeit von europäischer Medienhilfe abhängig sein, die von vielen Begünstigten als irrelevant betrachtet wird.
Übersetzt aus dem Englischen
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Schlagwörter:Article 19, BBC Media Action, HAICA, Medienhilfe, Tunesien