Medien(selbst)kontrolle in Israel

14. März 2012 • Pressefreiheit, Qualität & Ethik • von

Dossier

Israel ist ein Land voller Gegensätze und Extreme – eine Demokratie, eine Besatzungsmacht, ein Land im ständigen Kriegszustand, eine Industrienation, ein Land zwischen West und Ost.

Obwohl in Israel Medienpluralismus herrscht, nimmt Israel im Pressefreiheitsranking von Reporter ohne Grenzen nie einen der vorderen Plätze ein – einer der Gründe ist die dort herrschende Militärzensur.

Zudem stimmten Ende 2011 die Abgeordneten der Knesset mit 42 zu 31 Stimmen in erster Lesung für einen Gesetzesentwurf, demzufolge Journalisten wegen übler Nachrede mit einem Bußgeld von umgerechnet bis zu 60.000 Euro bestraft werden könnten. Das Problematische dabei ist, dass die Kläger keinen Schaden nachweisen müssen. Das seien “Giftspritzen für die Demokratie”, sagte Noga Eitan, freischaffende Dokumentarfilmerin, die vor allem für den staatlichen Fernsehsender arbeitet, kürzlich im Gespräch mit der taz.

Wie wirken sich all diese Gegensätze auf das Mediensystem aus? Und wie gelingt es Medien zwischen Militär und nationaler Sicherheit, zwischen Zivilgesellschaft und Pluralismus, ihre journalistische Verantwortung zu wahren?

Diese Fragen hat ein Forschungsprojekt mit Studierenden im Master Journalistik an der TU Dortmund untersucht – und hierzu etablierte und auch innovative Formen von Medienselbstregulierung in Israel analysiert: Wie einflussreich ist der israelische Presserat? Wenden israelische Medienunternehmen die von ihm empfohlenen journalistischen Standards und den Ethikkodex an?

Welche Rolle spielen innovative Formen der Medienkontrolle wie beispielsweise Watchblogs in Israel? Und wie mächtig ist die Militärzensur?

Die folgenden Texte geben einen Einblick in verschiedene Instrumente der Medien(selbst)kontrolle.

Presserat

Ethikkodex

Editors’ Committee

Medienjournalismus

Medienblogs

Medienkritik aus dem Ausland

Militärzensur

Der Presserat

Von Janis Brinkmann, Mariella Trilling und Hanna Zimmermann

Er empfiehlt ethische Standards für den Journalismus, entscheidet über Beschwerden von Rezipienten und soll deren Rechte wahren. Er soll aber auch die Freiheit von Presse und Journalisten sichern – in einem Land, das von Feinden umringt und in permanenter militärischer Alarmbereitschaft ist. Wie effektiv ist der israelische Presserat als Instrument der Medienselbstkontrolle wirklich?

Es ist einer der prominentesten Skandale in der Geschichte des israelischen Presserats: Sara Netanjahu wird von einer Hausangestellten verklagt – die Angestellte sei von der als jähzornig geltenden Premierminister-Gattin gezwungen worden, am Sabbat zu arbeiten, außerdem sei sie Wutausbrüchen und Beschimpfungen ausgesetzt gewesen. Die Zeitung Yedioth Ahronot  schlachtet die Vorwürfe auf einer bildstarken Doppelseite aus. Sara Netanjahu weist die Anschuldigungen von sich, reicht Beschwerde beim Presserat ein – und bekommt Recht. Denn die Zeitung hat eine Ethik-Richtlinie des Presserats verletzt: Netanjahu war keine Gelegenheit gegeben worden, Stellung zu den Anschuldigungen zu beziehen.

Theoretisch mächtig, praktisch oft hilflos

Die Macht des Presserats ist jedoch begrenzt: Auch wenn er beschließt, dass seine Entscheidung zugunsten des Beschwerdeführers publiziert werden soll, geschieht das nicht immer. Viele der Medien, die dem Presserat angehören, halten sich nicht an diese Vorgabe. Und längst nicht alle sind Mitglied. Nicht nur effektive Durchsetzungsinstrumente und die umfassende Repräsentation der israelischen Medienlandschaft werden von Kritikern immer wieder gefordert, auch die Tatsache, dass nur wenige Ressourcen zur Verfügung stehen, wird moniert. 1963 wurde der Presserat  in Israel etabliert: Er setzt sich zusammen aus Vertretern von Journalisten, Herausgebern und der Öffentlichkeit. Seilschaften innerhalb dieser Gruppen sind ein weiteres großes Problem, das den Presserat mehr und mehr vor die Herausforderung stellt, sich als Autorität im Mediensektor zu positionieren.

Das Private wird in Israel schnell politisch

Probleme, die der israelische Presserat mit Presseräten in den meisten anderen Ländern teilt: In Deutschland gilt er vielen als „zahnloser Tiger“,  in Estland kämpfen zwei Räte um Akzeptanz und in Frankreich verzichtet man komplett auf einen Presserat. Dabei hat der Presserat als traditionelles, stark institutionalisiertes und tief im Journalismus verwurzeltes Instrument grundsätzlich einen hohen Wert für Medienselbstkontrolle.

Der französische Medienforscher Claude-Jean Bertrand  beschreibt Presseräte als potentiell „most useful media accountability system and the greatest weapon in the fight for quality news media.“ Doch was macht einen funktionierenden Presserat aus? Nach Bertrand sollte der ideale Presserat ein „Monitoring“ für die Presse liefern und dabei Missstände und „blinde Flecken“ in der Berichterstattung thematisieren sowie wissenschaftliche Forschung über die Funktionsweise der Medien unterstützen und Abhängigkeiten aufdecken. Vor allem sollte der Presserat Druck auf die Regierung ausüben, so dass die Pressefreiheit einerseits nicht beschnitten wird, die Medien andererseits aber auch nicht unkontrolliert bleiben.

In einem Land wie Israel, das sich in ständiger militärischer Alarmbereitschaft befindet und in dessen Selbstverständnis die Presse auch andere Aufgaben zu erfüllen hat, als Öffentlichkeit herzustellen und Missstände aufzudecken, ist dieses Idealbild oft nur schwierig umzusetzen. Die mediale Berichterstattung droht selbst im scheinbar Privaten schnell politisch zu werden, wie der Fall Netanjahu zeigt – keine einfachen Voraussetzungen, für eine effektive Selbstkontrolle der Medien im Allgemeinen und des israelischen Presserats im Besonderen.

Der Ethikkodex

Von Benjamin Esche und Stephan Mündges

Er ist unter verschiedenen Namen bekannt und hat in seiner Geschichte zahlreiche Änderungen über sich ergehen lassen müssen: Der Ethikkodex, der den Rundfunkjournalisten der Israeli Broadcasting Authority (IBA) als Leitfaden und professionelle Anleitung dienen soll.

Erstmals veröffentlicht unter dem Titel „News Employees and Reporters’ Guide“ – und heutzutage „Guidelines for Coverage of News and Current Affair“ genannt –, wird der Ethikkodex der IBA auch wahlweise als „Nakdi Guide“ bezeichnet. Dieser Spitzname bezieht sich auf den ursprünglichen Autor des Kodex, Nakdimon Rogel, der als einer der ersten CEOs vom öffentlich-rechtlichen Channel One (damals noch unter dem Namen ITV) maßgeblich am Aufbau des israelischen Fernsehens beteiligt war. Später leitete er verschiedene Projekte innheralb der IBA. Ein Zitat von  ihm über die Entstehung des Ethikkodex illustriert sehr deutlich, unter welchem Druck und in welchem Spannungsverhältnis der Code stand – und steht: „The Government is not yet accustomed to an independent broadcasting authority. The Executive Committee sought to appoint a ‚commissar‘ in charge of news alongside the Director-General. The Director-General objected and proposed compiling a behavioral code as an alternative. I was charged with that mission.”

Der Kodex als politischer Selbstschutz

Mit dem “Broadcasting Authority Law” von 1965 verwandelte sich der ehemals staatliche israelische Rundfunk in ein möglichst unabhängiges, öffentlich-rechtliches Programm. Es ist die Geburtsstunde der IBA. Im Gesetz ist die Aufgabe der IBA genau festgeschrieben: „…reflect the appropriate expression of different outlooks and opinions prevailing among the public and transmit reliable information.” Das Gesetz verpflichtet zu Ausgewogenheit und journalistischer Sorgfalt. Dass die politische Führung Israels anfangs mit der Umsetzung dieser gesetzlichen Vorschrift nicht zufrieden war, zeigt das Zitat von Nakdimon Rogel. Der Ethikkodex war scheinbar ein Kompromiss und ein Instrument, um die Spannung zwischen staatlich-politischem Lenkungswunsch und journalistischer Unabhängigkeit zu lösen – eine Prämisse, die dem Kodex im Laufe seiner Geschichte immer wieder Kritik und Missachtung eingebracht hat.

Fünf Versionen eines Kodex

Die erste Version des Kodex wurde 1972 veröffentlicht, damals noch mit 42 sogenannten ‘sections‘. Sich ändernde Rahmenbedingungen in der israelischen Medienlandschaft sowie politische Machtverschiebungen führten zu bislang vier Überarbeitungen. Die ersten Änderungen traten 1979 in Kraft. Zwei Jahre zuvor hatte es einen Regierungswechsel gegeben: Damals löste die eher rechts einzuordnende Likud-Partei die linke Labour-Regierung ab, die seit 1948 regiert hatte. Die neue Regierung ernannte einen neuen Director-General, der wiederum eine Revision des Kodex veranlasste. Der Kodex wurde erweitert und sollte dem – aus Regierungssicht – ‚linken Rundfunk’ Zügel anlegen.

Eine zweite Änderung gab es 1985, wieder nach einem Regierungswechsel. Damals wurde u.a. festgeschrieben, dass man nicht von der „West-Bank“, sondern nur von den Gebieten „Judaea“ und „Samaria“ sprechen sollte

1995 übernahm die Arbeiterpartei wieder die Regierung und ernannte einen neuen Director-General, der wiederum seinerseits eine Überarbeitung des Kodex anordnete. Im Zuge dessen wurde der Kodex auf 161 ‚sections‘ erweitert. Die wichtigsten Änderungen in dieser Version des Kodex betrafen den Umgang mit der Berichterstattung über die Palästinenser. 1995 wurde das Oslo II-Abkommen unterzeichnet, das u.a. die Einrichtung einer palästinensischen Autonomieregierung vorsah. Es war einer der Höhepunkte des zu dieser Zeit weit fortgeschrittenen Friedensprozesses, der sich auch in einer Lockerung der Vorschriften über die Nahostkonflikt-Berichterstattung im Ethikkodex niederschlug.

1998 gab es die vorerst letzte Änderung, nachdem 1996 wieder eine rechtsgerichtete Regierung die Macht übernommen und einen neuen Director-General eingesetzt hatte. Seitdem hat der Kodex 169 ‚sections‘. Jeder dieser Überarbeitungen war – trotz der offensichtlich durch die zwei politischen Lager geprägten Änderungen – gemein, dass durch sie die IBA zentralistischer organisiert wurde, d.h. redaktionelle (Sub-)Einheiten mussten immer mehr Entscheidungsgewalt an in der Hierarchie höher gestellte Stellen abgeben.

Der Fall “Zichroni vs. IBA”

Eine entscheidende Rolle spielte der Ethikkodex in der Auseinandersetzung zwischen Amnon Zichroni und der IBA. Zichroni, ein prominenter israelischer Menschenrechtsanwalt, verschrieb sich zeit seines Lebens dem Einsatz für Pressefreiheit und der Freiheit der Menschen in der Westbank und in Gaza. Zudem war er aktives Mitglied in der Knesset. 1982 entschied die IBA, dass Interviews israelischer Journalisten mit Unterstützern der palästinensischen Befreiungsorganisation PLO im Westjordanland und in Gaza nicht mehr gesendet werden dürften. Der Jurist Zichroni scheute sich nicht, daraufhin gegen die IBA zu klagen. Als Verfechter der freien Meinungsäußerung berief er sich auf entsprechende Passagen des Ethikkodex.

Der zuständige Supreme Court of Justice gab Zichroni Recht. Die Begründung: Freie Meinungsäußerung stehe über dem generellen Interesse, die Verbreitung von Ansichten der PLO-Sympathisanten über IBA-Kanäle zu unterbinden, auch wenn diese Ansichten feindlich gegenüber dem Staat Israel seien. Aus Gründen der Gleichberechtigung müssten Meinungen anderer politischer Parteien gesendet werden. Somit hob das Gericht die Entscheidung der IBA wieder auf. Zichroni hatte der freien Meinungsäußerung mit Hilfe des Ethikkodex Gehör verschafft.

BBC Producers’ Guidelines als Vorlage

Vergleicht man den Ethikkodex mit anderen Instrumenten der Medienselbstkontrolle in Europa, so lässt sich zuallererst feststellen, dass er ursprünglich an die Producers’ Guidelines der BBC angelehnt ist. Diese ethischen Richtlinien für Programm-Macher zur Umsetzung des öffentlichen Auftrages nehmen eine wichtige Stellung bei der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt in Großbritannien ein. Sie regeln in erster Linie Fragen hinsichtlich Unparteilichkeit, Genauigkeit und redaktioneller Unabhängigkeit der Journalisten, geben aber u.a. auch Vorgaben zum Jugendschutz und zur Berichterstattung in Wahlkämpfen.

Mittels dieser Richtlinien versucht die BBC eine ausgewogene und unabhängige Berichterstattung zu garantieren und Transparenz in der Umsetzung zu schaffen. Diese Ziele liegen auch dem Ethikkodex zu Grunde. Sowohl die BBC als auch die IBA haben zur Überwachung der Einhaltung der selbst auferlegten Verpflichtungen entsprechende interne Stellen geschaffen. Bei der BBC wird diese unter der Division “Policy and Legal” geführt, der u.a. die Beschwerdestelle untergeordnet ist. Bei der IBA wird die Arbeit durch die “Internal disciplinary tribunals” überprüft. In Sachen Transparenz ist die BBC der IBA allerdings voraus: Im “Statement of promises to viewers and listeners” beschreibt der Sender seine Dienste, Standards und Ziele, um dem Gebührenzahler deutlich zu machen, wofür sein Geld konkret eingesetzt wird. Die Einhaltung dieser Versprechen kann im Jahresbericht der BBC (“Annual report”) evaluiert und nachvollzogen werden.

Daran – und an den zahlreichen, politisch motivierten Änderungen – lässt sich erkennen, dass der Kodex ein zumindest sehr strittiges Instrument der Medienselbstkontrolle ist. Setzt man westliche Maßstäbe an, so gibt es noch reichlich Nachholbedarf.

Das Editors’ Committee

Von Livia Rüger, Miriam Sahli und Carola Westermeier

1956. Die Situation zwischen Israel und Ägypten spitzt sich zu. Im Hafen der israelischen Stadt Haifa laufen Frachtschiffe ein. Ihre brisante Ladung: Waffen. Journalisten beobachten diese geheimen Vorgänge. Doch am nächsten Morgen publizieren sie nichts von alledem in der Zeitung, sie lassen ihre Schreibmaschinen ruhen. Hintergrund für dieses unerwartete Verhalten ist die Mitgliedschaft der Journalisten im Editors’ Committee. Dieses weltweit einzigartige Gremium ließ Israels Medienschaffende für Jahrzehnte auf einem schmalen Grat zwischen Fremdkontrolle und Selbstzensur wandeln und beeinflusste ihre Arbeit maßgeblich. Im Einklang mit dem Staat hat sich auch Israels Mediensystem entwickelt, und der Einfluss des Editors’ Committee ist gesunken.

Von außen betrachtet, wirken die Arbeitsabläufe im Editors’ Committee ungewöhnlich: Journalisten der großen hebräischsprachigen Zeitungen erhalten exklusive Informationen von Israels Regierung und Militär. Doch anstatt die brisanten Neuigkeiten zu publizieren, halten die Redakteure sie zurück, verzichten auf eine Berichterstattung. Wie bei den geheimen Waffenlieferungen im Jahr 1956: „Die Reporter hatten damals alles gehört und gesehen – und bewahrten trotzdem absolutes Stillschweigen.“ So beschreiben die Kommunikationswissenschaftler Dan Caspy und Yehiel Limor die Ereignisse im Vorfeld der Suezkrise, die beispielhaft für das Handeln der Mitglieder im Editors‘ Committee stehen.

Ein kurzer Anruf oder eine Notiz – so wurden die informellen Treffen von der israelischen Führungselite angekündigt. Ort und Zeit kannten dabei nur wenige Eingeweihte. Kameras, Aufnahmegeräte und Schreibblöcke mussten in den Redaktionen bleiben. Unter diesen Voraussetzungen erhielten die Journalisten tiefe Einblicke in politische und militärische Vorgänge im Land, gaben aber zugleich ihr Recht auf freie, unabhängige Berichterstattung auf. Bei einigen Briefings wurden die Mitglieder des Gremiums besonders stark mit den Eigenheiten der Institution konfrontiert: Selbst wenn die Medienvertreter gewisse Informationen, die bei den Treffen preisgegeben wurden, schon aufgrund eigener Recherchen kannten, durften sie sie anschließend nicht mehr veröffentlichen.

So konnte die israelische Führung eine für sie unangenehme Berichterstattung auch noch in letzter Minute verhindern. Trotzdem unterwarfen sich die israelischen Journalisten seit der Staatsgründung 1948 im Editors‘ Committee jener selbstauferlegten Verpflichtung zu Schweigen. Diese weitreichende Entscheidung hatte aus Sicht der Journalisten zwei positive Konsequenzen: Erstens drohte ihnen dank der Abmachung mit der Führungselite nicht die Gefahr, für die Veröffentlichung brisanter Informationen sanktioniert zu werden. Zweitens glaubten die Journalisten, dass sie mit ihrem Schweigen das Risiko einer Destabilisierung des Landes mindern könnten, denn Israels sicherheitspolitische Lage ist bis heute von einer ständigen existentiellen Bedrohung gekennzeichnet.

Doch nicht immer pflegten Regierende und Journalisten einen derartig engen Austausch. In den sechs Jahrzehnten seines Bestehens unterlag die Aktivität des Editors‘ Committee und damit seine Wichtigkeit starken Schwankungen. Auch die zunehmende Verbreitung elektronischer Medien hatte Einfluss auf die Stellung des Gremiums. „Die Medienlandschaft hat sich verändert“, sagt die israelische Medienjournalistin Anat Balint. Vor allem durch das Internet hat das Editors‘ Committee an Bedeutung eingebüßt. „Heute ist es Teil der israelischen Vergangenheit. Denn auch die Werte haben sich geändert. Das Editors‘ Committee hat da keinen Platz mehr.“

Medienjournalismus

Von Johanna Bril, Franziska Fiedler und Jan Ungruhe

Beim Medienjournalismus thematisieren sich die Medien selbst, wiederkehrende Themenfelder sind Medienpolitik, Medienwirtschaft, Hintergründe und Entwicklungen in den einzelnen Medienunternehmen sowie die Kritik der Medienprodukte. Wie sieht es in Israel aus? Wird dort in den Medien über Medien berichtet? Der Versuch einer Bestandsaufnahme.

Wenn Medien über Medien berichten, dann sollte das Ziel ein aufklärerisches sein: Welche Besitzverhältnisse spielen in der Medienbranche eine Rolle? Wie versuchen Unternehmen durch gezielte PR Einfluss auf Medieninhalte zu nehmen? Und an welcher Stelle haben Beiträge oder Artikel nicht den journalistischen Sorgfaltspflichten entsprochen? Medien können auf diese Weise Transparenz zeigen und infolgedessen die Glaubwürdigkeit des Journalismus stärken.

Die Realität sieht jedoch oft anders aus. Zwar ist rein quantitativ in vielen Ländern der Anteil an Medienberichterstattung gestiegen – inhaltlich zeigen sich aber eklatante Schwächen. So ist die Medienseite in Zeitungen oft nur mit Kritiken der aktuellen Fernsehshows gefüllt. Selbstkritik ist selten: Über das eigene Medienhaus, den eigenen Sender oder die eigene Zeitung wird nur vereinzelt kritisch geschrieben. Oft werden beim Medienjournalismus andere journalistischen Standards angesetzt. So gibt es denn auch drei heikle Varianten der Berichterstattung von Medien über Medien: Die Selbstdarstellung, also Artikel oder Beiträge, die sich mit der eigenen Redaktion oder dem eigenen Medienbetrieb befassen; synergetische Berichterstattung, die sich mit Produkten oder Unternehmen des eigenen Konzerns beschäftigt; und schließlich Konkurrenzberichterstattung. Wie wird in Israel über Medien berichtet? Ein Fallbeispiel.

Medienjournalismus in Israel: Der Fall Channel 10

Channel 10 zählt zu den zwei privaten und damit unabhängigen TV-Sendern in Israel. Der Sender wurde vor zehn Jahren gegründet und gehört heute dem israelischen Magnat Yossi Meiman, dem israelischen Hollywood-Filmproduzenten Arnon Milchan und dem US-Milliardär Ron Lauder – alle ehemals gute Bekannte des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu.

Aufgrund der Unabhängigkeit und der privaten Ausrichtung des Senders ist Channel 10 vor allem für seine aggressive und investigative Berichterstattung bekannt und wird damit in Israel als regierungskritisch eingeschätzt. Doch jetzt steht Channel 10 aufgrund massiver finanzieller Probleme vor dem Aus. In der Knesset wurde ein Antrag auf Aufschub für die Rückzahlung der Schulden abgelehnt. Aus rein finanziellen Gründen, heißt es. Nicht nur in Israel, sondern auch hierzulande wurden nach dem Beschluss allerdings Gerüchte laut, Netanjahus Regierung sei nur deshalb so unnachgiebig, weil Reporter des Senders über den Verdacht berichtet hatten, der Ministerpräsident habe Dienstreisen nicht korrekt abgerechnet.

„Der Kampf um Channel 10 ist sicherlich zum Teil ein Racheakt – Netanjahu möchte sie für das bezahlen lassen, was sie ihm angetan haben“, vermutet Nachman Shai, ein Mitglied der Oppositionspartei Kadima, gegenüber der New York Times. Für Nahum Barnea, Kolumnist der Zeitung Yediot Aharonot, ist die Entwicklung ein Schritt hin zu weniger Pressefreiheit in Israel: „Die Mitglieder der Koalition denken, es ist Zeit für sie, die Regeln zu ändern – in Bezug auf die Palästinenser, den Arabischen Sektor in Israel, […] und in Bezug auf die Medien. Die Channel 10-Geschichte ist ein Teil davon. Und wenn wir mit nur einem kommerziellen Sender zurückbleiben, werden wir eine schwächere Demokratie sein.“

Das Channel 10-Beispiel ist in den israelischen Medien sehr präsent. Die englischsprachigen Internetauftritte der drei größten israelischen Zeitungen Haaretz, Ynet News und Jerusalem Post bieten dem Thema Raum, wenn auch in unterschiedlicher Ausprägung. Ynet News betreibt eine eigene Medienseite, bei den anderen Internetauftritten fallen diesbezügliche Artikel in Ressorts wie Politik oder einfach „News.“ Bei der gezielten Suche nach Artikeln fällt zudem auf, dass anlässlich der Geschehnisse bei Channel 10 eine Debatte über eine eingeschränkte Pressefreiheit in Israel entbrannt ist: Von einer Anti-Medien-Kampagne ist die Rede und dem Vorwurf, die Regierung versuche, eine Quelle der Kritik auszuschalten.

 

Medienblogs

Von Phillip Oldenburg, Daniel Otto und Florian Riesewieck

Im Gaza-Streifen entflammte 2008 gerade der Krieg, als die israelische Militärsprecherin Avital Leibovich folgenden Satz gegenüber Journalisten sagte: „Die Blogosphäre und die neuen Medien sind grundsätzlich eine Kriegszone im Kampf um die internationale öffentliche Meinung.“

Der wachsende Einfluss des Internets wurde schon vielfach diskutiert – in Israel scheint er noch größer als andernorts: Im Schnitt 38,3 Stunden pro Monat sind Israelis online – auf der ganzen Welt verbringen nur Kanadier noch mehr Zeit im Internet. Die Suchmaschine Google und die sozialen Netzwerke Facebook und Walla! Communications sind laut einer Studie der Marktforschungsfirma comScore von Mai 2010 die meistbesuchten Seiten. Aber was ist mit der „Kriegszone“ Blogosphäre? Und was mit Medienblogs, die zeigen sollen, wo in den Medien mit unlauteren Mitteln gekämpft wird?

Es  gibt sie, die Medienblogs. Und Dvorit Shargal hat in Israel eine ähnliche Bekanntheit erlangt wie Stefan Niggemeier in Deutschland. Auf der Plattform Velvet Underground  kommentiert sie seit Anfang 2006 auf Hebräisch die Entwicklungen in der Medienbranche und erregte besondere Aufmerksamkeit dadurch, dass sie im Mai 2006 die Gehälter in großen Medienunternehmen offenlegte. Ihre eigene Identität offenbarte sie erst nach einem halben Jahr: Hinter Velvet steckt die Filmkritikerin Shargal vom Wochenmagazin Rating.

Der Journalist Kalman Libeskind bloggt in der Regel einmal wöchentlich – zu den politischen Entwicklungen ebenso wie zur Berichterstattung der Medien. Er macht den Lesern zugleich seine journalistische Arbeit transparent, wenn er von Bestrebungen berichtet, seine Artikel zu verhindern. Hunderte Kommentare zählt jeder seiner Einträge. 2002 gewann er den ‚Media Criticism Award’ von ‚Israel Media Watch’ (IMW).

Die israelische Mediensatire Latma – auf Deutsch Ohrfeige – ähnelt  dem deutschen Switch. Das TV-Format, das einen eigenen Youtube-Channel hat, nimmt nicht nur israelische Politiker wie den Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu hoch. Selbstironisch und mit schwarzem Humor nennt es sich „die objektivste Nachrichtensendung im Fernsehen. Ohne Vorurteile. Das Programm, das unermüdlich ankämpft gegen Rassismus, Diskriminierung und die Ultraorthodoxen“. Latma bekam den IMW-Award 2011. Seine Videos erreichen im Internet bis zu fünf Millionen Zuschauer.

Von so hohen Zugriffszahlen, wie sie Stefan Niggemeier und der BildBlog in Deutschland haben, können aber sowohl Shargal, Latma und Libeskind als auch andere israelische Blogger nur träumen. Unter den 20 meistbesuchten Webseiten Israels befindet sich kein einziger Medienblog.

Medienkritik aus dem Ausland

Von Thilo Kötters, Dominik Mercks und Carina Zappe

Israelische Medien sind immer wieder Thema in ausländischen Medien. Dabei erfolgt die Berichterstattung nicht kontinuierlich, sondern anlassbezogen – je spektakulärer das Ereignis, desto umfangreicher die Berichte aus dem Ausland.

„Falsche Haltung, hohe Strafe“ – so titelte die taz im November 2011. In einem ausführlichen Artikel berichtete die Zeitung über die Absetzung von regierungskritischen Journalisten in Israel und ein geplantes neues Mediengesetz, nach dem die Bußgelder für Journalisten beim Vorwurf der üblen Nachrede drastisch erhöht werden sollen. Auch die Süddeutsche Zeitung und der britische Guardian berichteten über die Gesetzesänderung. Israelische Medien als Thema in deutschen und britischen Zeitungen – nur ein Beispiel für Medienkritik aus dem Ausland.

Dabei berichten die internationalen Medien nicht kontinuierlich über das israelische Mediensystem, sondern vor allem ereignisbezogen – etwa über wichtige Personalien, Veränderungen in der Medienpolitik oder Eingriffe der israelischen Pressezensur.

Offene Kritik an einzelnen israelischen Medien ist selten. Im August 2011 aber bekam die englischsprachige Zeitung Jerusalem Post einen wahren Proteststurm aus Norwegen zu spüren, den außerhalb des skandinavischen Landes allerdings lediglich der englische Guardian thematisierte. Es ging um einen Kommentar, der kurz nach dem Massaker auf der norwegischen Ferieninsel Utøya in der Jerusalem Post erschienen war, und der Zustimmung zu gewissen Ansichten des Attentäters erkennen ließ. Im Artikel des Guardian war davon die Rede, wie die Jerusalem Post sich wegen eines Sturms der Entrüstung aus Norwegen beim norwegischen Volk entschuldigen musste.

Auch das Verhalten und die Geschichten einzelner Journalisten werden immer wieder von ausländischen Medien aufgegriffen: So berichtete im Dezember 2011 unter dem Titel „Bewusst provoziert? ,Israelische Rosa Parks’ ist Journalistin“ unter anderem das Organ des Zentralrats der Juden in Deutschland, die Jüdische Allgemeine, über einen Vorfall, der gewisse Parallelen zum allgemein als Auslöser der Rassenunruhen der 1950er Jahre in den USA angesehenen Ereignis aufwies: Damals hatte sich die Schwarze Rosa Parks geweigert, in einem Bus hinten zu sitzen, wie das für Angehörige ihrer „Rasse“ vorgeschrieben war. In Israel war es fast 60 Jahre später eine Journalistin, die in einem Bus voller Ultra-Orthodoxer eine ähnliche Regel, wonach Frauen hinten zu sitzen haben, missachtet hatte – „bewusst provoziert“, wie die Jüdische Allgemeine befand.

Für ein weitaus größeres Medienecho sorgte der Fall der Journalistin Anat Kam, die während ihres Wehrdienstes geheime Unterlagen des israelischen Militärs entwendet und sie einem Enthüllungsreporter zugespielt hatte. Die Frankfurter Rundschau berichtete erstmals im April 2010 über die junge Frau und thematisierte die Tatsache, dass israelische Medien aufgrund der Militärzensur monatelang nicht berichten durften. Den Fall nahm Spiegel Online zum Anlass, die Chefzensorin des Landes zu interviewen und sie zur Arbeitsweise ihrer Behörde zu befragen.

Militärzensur

Von Johannes Döbbelt, Tobias Jobke und Fabian Kurz

Sommer 2005, Westjordanland: Die junge Israelin Anat Kam tritt ihren obligatorischen Wehrdienst im Sekretariat des Kommandeurs der israelischen Armee an. Eines Tages hält die 23jährige ein brisantes Dokument in den Händen: Unterlagen zu geplanten „gezielten Tötungen“ gefährlich eingestufter Palästinenser – strategische Morde, die der Armee längst verboten sind. Anat Kamm gibt die Unterlagen an den Enthüllungsjournalisten Uri Blau weiter. Er verarbeitet die Informationen und reicht im November 2008 einen militärkritischen Artikel bei der Zensurbehörde ein. Diese winkt den Artikel durch – er wird in der Zeitung Haaretz veröffentlicht. Doch schon bald werden die Verteidigungsbehörden auf den Artikel und seine Urheber aufmerksam. Im Dezember 2009 beschließt ein Gericht: Anat Kam wird wegen Hochverrats und Spionage unter Hausarrest gestellt – und jeder Journalist, der über den Fall berichtet, bestraft.

In Israel heißt es: im Zweifel  für die Sicherheit und gegen die Pressefreiheit. Sima Vaknin-Gil ist die Frau, die über Veröffentlichung und Nicht-Veröffentlichung bestimmt. Sie ist die Chefin der israelischen Zensurbehörde, die offiziell zum Militär gehört, aber angeblich unabhängig davon arbeitet. Jeder Journalist, der in Israel seinen Beruf ausübt, muss vor der Veröffentlichung bestimmte Beiträge überprüfen lassen – wenn sie Informationen enthalten, die die Sicherheit des Staates gefährden können. Dabei zensieren Vaknin-Gil und ihre Mitarbeiter nicht nur Artikel zu militärischen Themen wie Israels Atomwaffen-Arsenal. Auch vertrauliche Informationen zur Öl- oder Wasserversorgung des Landes werden gestrichen. „Was immer auf meinen Schreibtisch kommt und dem Feind nach meiner Einschätzung wertvolle Informationen liefert, werde ich zensieren“, sagte Vaknin-Gil in einem Interview mit Spiegel Online. Nach ihren Angaben werden jeden Monat Tausende Beiträge eingesandt, von dem der Großteil ohne Beanstandung zurückgeht. Höchstens ein Prozent wird komplett zensiert.

Die Medien können sich vor dem sogenannten „Dreier-Komitee“ gegen die Zensur wehren – ein Gremium bestehend aus einem Medienvertreter, einem Vertreter der Sicherheitsbehörden, etwa dem Geheimdienst, und einem Richter. Sie prüfen zum einen Beiträge, die eine Zeitung oder ein Radiosender trotz Zensur noch veröffentlichen will. Das Komitee kann die Zensur aufheben. Gleichzeitig geht es um Beiträge, die trotz Verbots schon veröffentlicht wurden. Dann kann auch das Komitee Strafen verhängen.

Soweit kommt es aber meist nicht. Wie überall, wo Zensur herrscht, halten Journalisten auch in Israel Informationen im Zweifel von sich aus zurück. Selbstzensur wird von der Zensurbehörde ausdrücklich erwünscht. Redaktionen sollen sicherheitsrelevante Informationen der Zensur vorlegen oder gleich unter den Tisch fallen lassen. Zensurchefin Vaknin-Gil: „Ich halte die israelischen Journalisten für sehr verantwortungsvoll. Manche von ihnen achten sogar mehr auf Sicherheitsbelange als wir in der Zensurbehörde.“

Trotzdem gibt es in Israel Mittel und Wege, die Zensur zu umgehen. Heikle Themen werden oft auch von Medien in den USA oder Europa aufgegriffen. Diese zu zitieren ist nicht verboten. Und wenn noch nichts berichtet wurde, sorgen die israelischen Journalisten einfach selbst dafür und schicken ihre Informationen ins Ausland.

So auch im Fall Anat Kamm: Zum Schweigen verdammte Journalisten geben Informationen über den Fall an ihre ausländischen Kollegen weiter. Das Urteil im Fall Anat Kam fällt deswegen nicht weniger hart aus – es ergeht am 31. Oktober 2011: Drei Jahre Freiheitsstrafe für die junge Frau.

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