Lady Gaga, die Neue Zürcher Zeitung und das „Echo der Zeit“ stehen vorn in der Hitparade.
Eine Hitparade ist immer eine gute Idee. Leser lieben Hitparaden. Denn Hitparaden reduzieren komplexe Quervergleiche auf simple Ranglisten. Es gibt Sieger und Verlierer. Durch dieses simple Prinzip sind Hitparaden voyeuristisch. Sie sind nicht einordnend, und sie sind nicht relevant. Darum gehören sie nicht ins Fach des Qualitätsjournalismus.
Der Zürcher Soziologieprofessor Kurt Imhof hat soeben sein traditionelles Jahrbuch zur Qualität der Schweizer Medien publiziert. 482 Seiten stark ist der Wälzer, achtzehn Autoren sind beteiligt. Erstmals hat Imhof darin eine Hitparade der Schweizer Medienprodukte erstellt. Der Professor weiß, was Leser lieben.
Zuoberst in der Hitparade, an der „Qualitätsspitze“, sind demnach das „Echo der Zeit“ und das „Rendez-vous“ des Staatsradios. Ganz vorn stehen auch die Neue Zürcher Zeitung und ihre Schwester NZZ am Sonntag. Seltsamerweise schaffte es auch die Neue Luzerner Zeitung in diese dünne Spitzengruppe, seltsam darum, weil sie ein normales Regionalblatt ist wie viele andere auch. Gerade mal Mittelmaß sind in der Hitparade dafür Blätter wie Tages-Anzeiger, Berner Zeitung, Basler Zeitung, Weltwoche und das abendliche „10 vor 10“.
Profitable Schlusslichter
Am unteren Ende der Skala, wenig überraschend, trieft der Boulevard. Richtig mies sind laut Imhof Angebote wie 20 Minuten, “Tele Züri”, Blick und Sonntagsblick. Für sie hat der Professor ein Wort erfunden, das es zuvor in der deutschen Sprache nicht gab. Sie sind „qualitätsniedrig“.
Vier Kriterien hat Imhof für sein „Qualitäts-Scoring“ herangezogen. Medien müssen einordnend, relevant, sachlich und vielfältig sein. Damit ihre Hitparade möglichst knackig wurde, haben der Professor und seine Mitforscher einen kleinen Trick angewandt. Sie haben die bewerteten Zeitungen gar nicht gelesen und auch die Sendungen gar nicht detailliert analysiert. Sie haben nur die Schlagzeilen auf der Titelseite und die Themen der Sendungen ausgewertet. Das ist ungefähr so relevant, wie wenn man die Qualität eines Autos nur am Design des Kühlergrills misst.
Ich mag Kurt Imhof. Er ist ein origineller Kopf, mit dem man lachen kann, er hat ein Talent für Eigenmarketing und einen Sinn für Unterhaltung. Darum muss man seine Hitparade auch nicht allzu ernst nehmen. Dennoch ist an seinen Befunden ein Punkt interessant. Produkte, denen er hohe Qualität attestiert, sind defizitär. Was er als qualitätsniedrig bezeichnet, verdient Geld.
Die qualitativen Spitzenreiter „Echo der Zeit“ und „Rendez-vous gibt es nur, weil sie von Zwangsgebühren leben. Müsste man ihren hohen journalistischen Aufwand über den freien Markt finanzieren, wäre ihr Sender längstens bankrott. Auch die NZZ, mit ihrer teuren Redaktion, verdient kaum Geld und schrieb schon massive Verluste.
Die qualitätsniedrigen Schlusslichter hingegen sind profitabel. 20 Minuten ist mit einem Gewinn von rund dreißig Millionen Franken mit weitem Vorsprung der einträglichste Titel der neueren Schweizer Mediengeschichte. Auch die Blick-Gruppe, wenngleich weniger als früher, ist profitabel.
In den Medien verdient man nach Imhofs Logik also nur dann kein Geld, wenn man Qualität liefert. Leider hat er Recht. Den größten finanziellen Absturz, von New York Times bis NZZ, erlebten im letzten Jahrzehnt die sogenannten Qualitätsblätter. Erst verloren sie die Leser, und weil die wegblieben, gingen auch die Inserenten.
Es braucht darum nicht viel Fantasie, um die Kernaussage im Jahrbuch 2013 des Professors vorherzusagen. Wir werden eine weitere Zunahme der Qualitätsniedrigkeit erleben.
Erstveröffentlichung: Weltwoche Nr. 44/2012
Schlagwörter:10 vor 10, 20 Minuten, Basler Zeitung, Berner Zeitung, Echo der Zeit, Jahrbuch zur Qualität der Schweizer Medien, Kurt Imhof, Neue Zürcher Zeitung, Qualität im Journalismus, Qualitätssicherung, Rendez-vous, Schweiz, Tages-Anzeiger, Tele Züri, Weltwoche