Fragile Leuchttürme der Öffentlichkeit

27. April 2011 • Qualität & Ethik • von

Ein neues Buch nimmt zur Diskussion über die Qualität in den Medien Stellung. In 15 Beiträgen äußern sich Schweizer und deutsche Wissenschafter. Der Titel des Buches lautet “Krise der Leuchttürme öffentlicher Kommunikation. Vergangenheit und Zukunft der Qualitätsmedien”.

Vor einem halben Jahr ging ein Gewitter über der veröffentlichten Öffentlichkeit der Schweiz nieder. Nach der Sommerpause legten Kurt Imhof und seine Mitstreiter von der Universität Zürich ihren Band über die gravierenden Defizite der Schweizer Medien vor. Zweieinhalb Monate später folgte die Retourkutsche: Tamedia-Präsident Pietro Supino warf den Kritikern Unwissenschaftlichkeit und Panikmache vor. Jetzt geht die Debatte in ruhigeren Bahnen weiter. Die Herausgeber Roger Blum (Bern), Heinz Bonfadelli, Kurt Imhof, Otfried Jarren (alle Zürich), Kommunikationsforscher sie alle, blicken auf die “Leuchttürme”, auf Qualitäts- und Leitmedien, klopfen zusammen mit Schweizer und deutschen Kollegen die Begriffe ab, versuchen aus der umwölkten Gegenwart in die Zukunft zu blicken.

Worum geht es überhaupt? Qualitätsmedien haben spezialisierte Redaktionen, untersuchen Institutionen, legen Gewicht auf die klassischen Themen aus Politik, Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft (Blum). Tun sie das einfallsreich und nicht so trocken, wie es der vorherige Satz andeutet? Bauen sie auf eine erkennbare Grundhaltung mit profilierten Fragen, Analysen und Kommentaren? Dann werden sie zu Leitmedien, aus denen die vielen andern Medientitel im Land und die Entscheider ihre Anregungen beziehen (Jarren/Vogel). Einbrüche bei Auflage und Werbung, massiver Stellenabbau, Zukäufe, die mehr Größe, aber nicht unbedingt mehr Profil bringen – Blum nennt die hiesigen Qualitätstitel “baufällige” oder gar “leidende” Leuchttürme.

Wie sieht’s draußen aus? In den USA wahrhaft deprimierend, mit massiven Verlusten und Konkursen an allen Fronten (Russ-Mohl). In Deutschland, wo es keine Pendlerzeitungen gibt, erstaunlicherweise nicht. Unterteilt nach Gattungen, haben Lokalblätter und Straßenverkaufszeitungen an Auflage verloren, Qualitätszeitungen konnten sich dagegen halten. Eine Anbiederung an den Boulevardstil und Boulevard-Inhalte seien in Analysen nicht auszumachen (Landmeier/Daschmann). – “Sieht so eine Krise aus?”, fragt Rinsdorf. Er spricht auch Warnungen aus, etwa mit Blick auf die jüngere Generation, die ihr Interesse eher von politischen auf Servicethemen verlagert.

Aber aufschlussreich für die Schweizer Debatte ist das: Rinsdorf und andere plädieren für eine aufwendige Markenpflege, aus der Qualitätsansprüche abzuleiten sind. Für Qualitätsmedien könne es sich wirtschaftlich auszahlen, “Ressourcen und Strukturen zu stärken”, die besonders geeignet sind, “gesellschaftliche Debatten zu begleiten und voranzutreiben”. Da treffen sich empirische deutsche Medienökonomen mit kritischen Schweizer Leuchtturmwärtern.

Roger Blum, Heinz Bonfadelli, Kurt Imhof, Otfried Jarren: Krise der Leuchttürme öffentlicher Kommunikation. Vergangenheit und Zukunft der Qualitätsmedien. 260 S. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2011.

Erstveröffentlichung: Neue Zürcher Zeitung vom 12. April 2011

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