Jungjournalisten diskutieren über Pressefreiheit

9. Mai 2011 • Ausbildung, Pressefreiheit, Qualität & Ethik • von

Ein überwiegend düsteres Bild von der Pressefreiheit in Europa zeichneten die Referenten auf dem Jahreskongress des Forum for European Journalism Students, das kürzlich im süditalienischen Matera stattfand.

Ausgerechnet Europa, welches doch weltweit eine Vorbildfunktion einnehmen sollte, habe im letzten Jahr wieder stark an Pressefreiheiten einbüßen müssen, sagt Domenico Affinito, Vizepräsident der italienischen Sektion der Organisation „Reporter ohne Grenzen“ (ROG).

Zwar seien  im ROG-Pressefreiheitsindex 2010 von 27 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union  13 unter den Top 20 gewesen, doch in Staaten wie Italien (49. Platz), Rumänien (52. Platz) und Griechenland (70. Platz) habe man im vergangenem Jahr wirklich nicht von Pressefreiheit sprechen können.

Giorgio Aquaviva betont die wichtige Rolle der Presse in der Gesellschaft. Er ist Vertreter der „Ordine dei giornalisti“ (ODG) – ‚Orden der Journalisten‘, die sich in Italien um die Journalistenausbildung, sowie um ethische und professionelle Belange der Journalisten kümmert. Seiner Meinung nach sei die Besitzkonzentration des Medienmarktes und die somit eingeschränkte Handlungsfreiheit der Journalisten in Italien ein schwerwiegendes Problem. Die ODG arbeite bereits an einer Umstellung der Journalistenausbildung. So würden nun Masterstudiengänge eingeführt, die einen Schwerpunkt auf journalistische Ethik legen.

Guiseppe Guiletti, Parlamentarier und Anhänger der Anti-Korruptionsbewegung ‚Italia die Valori‘ ist hier etwas kritischer. Er spricht von den existenziellen Problemen, denen Journalisten in italienischen Kreisen unterliegen: Artikelpreise von bis zu 20€ für ausgebildete Journalisten, praktikumsähnliche Beschäftigungsformen und die existenzielle Bedrohung, jederzeit ausgewechselt zu werden.

Die 100 zum Kongress geladenen Journalismus-Studierenden aus West-, Süd-, Nord- und Osteuropa zeigen sich bestürzt. Ein Teilnehmer stellt die Frage: „Wie soll es denn bei diesen Verhältnissen überhaupt möglich sein, frei Bericht zu erstatten?“  Die Frage bleibt offen.

Für einen Lichtblick am Horizont sorgen die Referenten, die sich für einen investigativen Journalismus einsetzen. So auch der Journalist und Autor Nello Rega – der in Begleitung seiner Leibwächter auf dem Kongress erscheint. Der Verfechter der freien Meinung  erhielt Drohungen von islamischen Extremisten auf ein islamkritisches Buch über den Koran. „Italien ist nicht frei“ sagt er, „Italien ist solange nicht frei, wie es hier Selbstzensur gibt.“ Auch er sieht Europas Rolle als Verfechter von Freiheitsrechten bislang nicht erfüllt. Carlo Ruta, der in Sizilien über die Mafia berichtet, schließt sich dieser Meinung an. Für ihn liegt das Hauptproblem von Italiens Journalisten in der eingeschränkten Handlungsfreiheit. Politiker können, so Ruta, Bußgelder an Journalisten verhängen, die kritisch berichten. Einzig im Web sieht er die Möglichkeit, sich frei äußern zu können – und auch differenziert gegenüber den Politikern Italiens. Er schätzt, dass  90% der italienischen Medienmacher Anhänger einer Partei seien.

Neue Perspektiven

Neue Medienperspektiven eröffnet  Nancy Porcia, die das Programm ‚Senza Censura‘ auf dem Kanal ‚Current TV‘ vorstellte: ein neues Fernsehprojekt, das zu aktuellen Themen ungeschnittenes und unbearbeitetes Material ausstrahlt. Die journalistische Leistung bestehe darin, Hintergrundinformationen einzublenden, um die Bilder in einen Kontext zu setzen. Anspruch des Senders sei es, unabhängig zu sein und Themen auszustrahlen, die von anderen Nachrichtensendungen vernachlässigt werden. Im Nebensatz wird erwähnt, dass der Kanal lediglich über Pay-TV, nämlich dem von Murdoch geleiteten Unternehmen SKY Italia zu empfangen sei.

Autorin Ludovica Amici gibt mit ihrem Buch „Wikileaks“ Einblicke in die Strukturen von Wikileaks und fördert den Diskurs über Informationsfreiheit in Italien. Auch in der Diskussion, welche Rolle Enthüllung im Journalismus spiele, wie weit man als Journalist gehen dürfe, und ob man z. B. auch nationale Interessen gefährde, bleibt sie bei ihrem Standpunkt „Transparenz ist am wichtigsten“.

Der Kongress hat in vielerlei Hinsicht neue Gedanken und Diskussionsansätze hervorgerufen. Neben  theoretischen Ansätzen können auch einige praxisrelevante Ergebnisse festgehalten werden: Im September dieses Jahres wird ein Buch erscheinen, das die Mediensituation in Europa aus Sicht der Nachwuchsjournalisten, die an dem Kongress teilgenommen haben, beschreibt. Zudem will die ‚Ordine dei giornalisti‘ jährliche Foren für italienische Journalisten organisieren, in denen sich die Teilnehmer kritisch über den Journalismus in Italien austauschen können.

Einziges Handicap der Veranstaltung war die Sprache; viele Referenten waren der englischen Sprache nicht mächtig und hielten ihren Vortrag auf Italienisch. Das erschwerte den Informationsaustausch und tiefergreifende Diskussionen.

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FEJS

Das ‚Forum for European Journalistism Students‘ (FEJS) existiert seit 1986. Es ist eine gemeinnützige internationale Organisation junger Journalisten, die seit 2010 in Brüssel eingetragen ist. Der jährliche Kongress, der jedes Jahr an einem anderen Ort in Europa stattfindet, will den Austausch unter europäischen Journalistikstudenten und Nachwuchsjournalisten fördern.

Weitere Infos:

http://fejs.org/

http://www.fejs.it/

Senza Censura auf Current TV  http://current.com/shows/senza-censura/

Julia Weiss studiert Journalistik an der TU Dortmund. Dieser Artikel ist im Rahmen des Seminars “Medienauslandsberichterstattung” entstanden.

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