Schwimmen im Common Sense

18. April 2016 • Qualität & Ethik • von

Medien „begnügen“ sich mit Allgemeinplätzen und scheuen Gegenargumente

Debatte

Gefordert ist ein aufklärender Journalismus, der neue Sichtweisen und Gegenargumente nicht scheut.

Medien machen Meinung. Ein prägnanter Satz, häufig strapaziert, heiß diskutiert. Ist die Rede von Kampagnenjournalismus oder Medienkonzentration, rückt dieses Bild in den Vordergrund. Einige Medien nehmen das hin, andere kokettieren aggressiv damit, wiederum andere wehren sich mit Händen und Füßen gegen dieses Vorurteil, was es ihrer Meinung nach ist. Medien, so betonen sie, sind kritisch, aufklärerisch, nehmen eine wichtige Kontrollfunktion in der Gesellschaft ein. Wenn es danach geht, machen Medien nicht Meinung, sie bilden Meinung. Und doch ist zu sagen: Sie tun es nicht. Beeinflussbarer Einquellenjournalismus ist an der Tagesordnung. Medien „begnügen“ sich mit Common Sense Issues und Allgemeinplätzen, sie scheuen neue, andere Sichtweisen und Gegenargumente.

Abstraktion bis zum Common Sense

Aktuelles Beispiel: Wasserversorgung und das Risiko der Wasserknappheit ist weltweit ein komplexes, globales aber gleichzeitig auch ein sehr konkretes, regionales Problem. Das öffentliche Bewusstsein und Wissen zum Thema Wasserversorgung und entsprechenden Knappheitsproblemen ist in Europa eher lückenhaft. Insbesondere in Ländern wie Österreich, Deutschland oder der Schweiz mit einem – vermeintlichen – Überfluss an Wasser ist das Thema öffentlich quasi unsichtbar. Eine konkrete Auseinandersetzung mit Wasser oder Fragen der notwendigen Umverteilungen auf europäischer Ebene, der kritische Blick auf Aktivitäten von Großkonzernen finden nicht oder nur in Randformaten statt. Stattdessen wird die Diskussion entweder ihrer Fakten bzw. Schlüsselereignisse beraubt und – wie in Österreich im Wahlkampf 2013 unter dem Slogan „Wir schützen das österreichische Wasser“ durch Werner Faymann mit Schützenhilfe der marktdominanten Kronenzeitung geschehen – einem „politik-kompatibleren“ Thema wie Privatisierung untergeordnet und kampagnisiert. Oder sie wird sogar noch weiter abstrahiert und wie so vieles andere dem Nachhaltigkeitsdiskurs zugeordnet.

Beim Thema Nachhaltigkeit und Verantwortung gegenüber Umwelt und Gesellschaft hat sich darüber hinaus – nicht nur in Österreich – über Jahre hinweg in politischen Dokumenten, Veranstaltungen und Presseaussendungen von Unternehmen und in Magazinen, auf Kommentarseiten aber auch in der täglichen Wirtschaftsberichterstattung ein „Common Belief“ und ein „Common Sense“ aufgebaut: Nachhaltig ist besser, Verantwortung übernehmen heute ein Muss für Unternehmen sowie Einzelpersonen des öffentlichen Lebens.

Common Sense regiert

Was ist dieser Common Sense, der die Medieninhalte dominiert? Common Sense ist etwas, das uns der Hausverstand bzw. der „gesunde Menschenverstand“ sagt. Common Sense ist die Fähigkeit, etwas so einzuschätzen bzw. derartig zu verstehen und zu beurteilen, wie es nahezu alle anderen Menschen auch beurteilen.

Common Sense ist erwartbar, es bedarf quasi keiner Debatte. Wie schade! Und eigentlich: wie ungeeignet für die Medien, wenn man sie, wie zu Beginn beschrieben, im kritischen Sinne versteht: als Medien, die uns Arenen öffnen, in denen um die besten Argumente gerungen wird, in dem diskutiert wird. Bereits Kant beschreibt den Menschenverstand als etwas, das nichts Anderes ist, als der durchschnittliche Verstand eines gesunden Menschen. Was also passiert, wenn der „Gemeinsinn“ zu einer Argumentationsverweigerung wird? Was passiert, wenn der Gemeinsinn in den Medien dominiert und der Eigensinn keinen Platz mehr hat bzw. aus ökonomischen oder gar politischen Gründen bewusst nicht aufgenommen wird? Damit ist Common Sense dann nämlich paradoxerweise eine allgemeine Meinung in dem Sinne, dass die Mehrheit dasselbe denkt. Gleichzeitig ist es aber keine Meinung, da es nicht-kontroversiell, nicht-reaktiv ist und echte Meinungsbildung behindert.

Mutige Medien braucht das Land

Klar ist: Medien sind nicht gleich Medien. Diese Diskussion steht auf einem anderen Blatt. So und so gefordert ist der kritische Blick: Der Blick auf versteckte und unsichtbare Themen, auf den Eigensinn in bestimmten Themenfeldern wie beispielsweise unternehmerische Verantwortung oder Nachhaltigkeit. Gefordert ist ein aufklärender, verantwortungsorientierter Informationsjournalismus, ein Aufbrecherjournalismus, der nach Für und Wider sucht, der mit neuen Argumenten und Gegenargumenten anstelle auf Allgemeinplätzen spielt, der Themen problematisiert, einen öffentlichen Dialog ermöglicht und nicht nur im Common Sense schwimmt.

Erstveröffentlichung: derStandard.at vom 18. April 2016

Bildquelle: pixabay.com

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