Amen am Sonntag

4. April 2019 • Aktuelle Beiträge, Qualität & Ethik • von

Gut zwanzig Jahre dauerte die Euphorie um die Sonntagsblätter. Nun beginnt die Agonie.

Am meisten überschätzt in meinem Leben wurde ich in den neunziger Jahren. Ich war damals Chefredaktor der Sonntagszeitung.

Das Wirtschaftsmagazin Bilanz etwa schrieb damals bewundernd über mich, dank meiner „unbestrittenen Talente“ hätte ich „die Auflage in die Höhe geschraubt“.

Nun, gut zwanzig Jahre danach können wir das relativieren. Es waren nicht meine unbestrittenen Talente, die damals zum Erfolg der Sonntagszeitung führten. Es war weniger mein Geist, es war der Zeitgeist.

Ab den neunziger Jahren entdeckten die Verlage einen neuen Sonntagsmarkt. Zuvor gab es nur den Sonntagsblick am Kiosk. Nun wurde die Hauszustellung eingeführt, und der Tag des Herrn wurde zum Lesetag der breiten Bevölkerung. In meinen vier Jahren als Chefredaktor beispielsweise schoss die Auflage um 80.000 Exemplare in die Höhe. Zugleich explodierte auch das Finanzergebnis, denn nun sprang auch die Werbebranche auf den Sonntagszug auf.

Mein Verlagsleiter Tobias Trevisan, der den Sonntagsboom hautnah verfolgt hatte, wechselte darum bald einmal zur NZZ-Gruppe und baute dort 2001 die NZZ am Sonntag auf, die schnell zum Erfolg wurde. Ihr folgten eine Unmenge regionaler Sonntagsblätter wie die Schweiz am Sonntag, die Südostschweiz am Sonntag, die Zentralschweiz am Sonntag, die Ostschweiz am Sonntag und eine siebte Ausgabe der Basler Zeitung. Auch Christoph Blocher hatte Pläne für ein Sonntagsblatt in der Schublade.

Jetzt ist der Sonntagsspaziergang endgültig vorbei. In der Innerschweiz und der Ostschweiz verstarben die letzten Ausläufer des früheren Megatrends (die Zentralschweiz am Sonntag sowie die Ostschweiz am Sonntag werden Ende Juni eingestellt, wie im März bekanntgegeben wurde; Anm. d. Red.). Es gibt in der Deutschschweiz wieder nur drei Sonntagstitel, je einen aus der Blick-Gruppe, aus der NZZ-Gruppe und von Tamedia.

Noch vor sechs Jahren lag die Gesamtauflage der Deutschschweizer Sonntagszeitungen bei 850.000 Stück. Jetzt sind es noch 400.000. Parallel dazu brach auch der Werbemarkt am Sonntag ein.

So geraten nun auch die drei Überlebenden in finanzielle Schwierigkeiten. Besonders unangenehm ist das bei der NZZ, weil hier der Sonntag die ertragsschwachen Werktagsausgaben finanziert hat. Auch der Sonntagsblick und die Sonntagszeitung, die früheren Goldesel, sind bei den Erträgen im Sturzflug.

Die Sonntagspresse ist das letzte Beispiel eines einst blühenden Zeitungsgenres, das nun tapfer gegen das Ende der eigenen Gattung kämpft. Die Agonie ist eingeläutet. Sonntagsblätter haben keine langfristige Zukunft, denn sie haben keine Zukunft im Internet. Sie können sich, anders als Tageszeitungen, nicht von einer gedruckten Marke in eine digitale Marke verwandeln. Niemand geht von Montag bis Samstag auf die Homepage eines Sonntagstitels, der unter der Woche nichts zu melden hat.

Kritische Schwelle

Online sind die drei verbliebenen Sonntagstitel darum bereits weitgehend in ihre Mutterblätter Tages-Anzeiger, NZZ und Blick integriert. Nur auf dem Papier haben sie noch ihre Existenzberechtigung.

Solange noch genügend Abonnenten für die Hauszustellung am Sonntag bezahlen, werden die Sonntagsblätter weiter in gedruckter Form erscheinen. In einigen Jahren wird dann langsam die kritische Schwelle erreicht sein. Dann dürften weitere Sonntagszeitungen vom Markt verschwinden. Sie können auch zu ausgebauten Samstagsblättern werden, so wie die Schweiz am Sonntag sich schon 2017 in die Schweiz am Wochenende verwandelte.

Sonntagszeitungen sind Papierzeitungen. Online sind sie nichts. Ihr Niedergang ist darum eine Frage der Zeit. Daran können auch die heutigen „unbestrittenen Talente“ leider nichts ändern.

 

Erstveröffentlichung: Weltwoche vom 28. März 2019

Bildquelle: Flickr CC / kasselcam: Geigerzähler Sonntags nach dem Mittagessen bei den Schwiegereltern!; Lizenzbedingungen: https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/

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