Fehlende Drohkulisse

26. Juli 2018 • Redaktion & Ökonomie • von

Ein Streik kann in jeder Branche funktionieren – aber nicht in der Zeitungsbranche.

Es ist selten, dass eine Redaktion in ihrem Blatt über sich selber schreibt. Letzte Woche gelang es wieder einmal.

„Die Westschweizer Zeitungen sind im Streik“, titelte auf Seite eins das Boulevardblatt Le Matin aus dem Tamedia-Verlag. Die rund vierzig Le Matin-Mitarbeiter legten die Redaktionsarbeit nieder.

Ein paar Dutzend ihrer Kollegen der Tamedia-Zeitungen 24 heures und Tribune de Genève fanden das großartig und legten die Hände auch in den Schoss.

Ein richtiger Streik war es zwar nicht, allenfalls ein Streiklein. Le Matin und auch die zwei anderen Blätter erschienen trotzdem, bloß mit etwas reduziertem Umfang. Nach zweieinhalb Tagen war der Streik-Spuk dann auch schon vorbei.

Vorbei ist es auch mit Le Matin. Ende des Monats stellt Tamedia, wie angekündigt, die gedruckte Ausgabe ein. Die Redaktion hofft noch darauf, dass sich irgendein branchenfremder Überzeugungstäter findet, der sein Geld verlochen will.

Streiks von Journalisten sind notorisch erfolglos. Das hat mit einem eingebauten Systemfehler zu tun. Journalistenstreiks fehlt das Erpressungspotenzial, das es braucht, damit ein Streik erfolgreich ist.

In der Schweiz wurde das erstmals 1978 sichtbar. Damals streikte die Redaktion des Migros-Blattes Tat, zu der auch ich als Jungredaktor gehörte. Die Migros schloss das defizitäre Blatt sofort. Sie sparte damit zwölf Millionen Franken im Jahr. Der Streik war sehr willkommen.

Damit sind wir beim Punkt. Wenn Journalisten streiken, dann tun sie das immer dann, wenn das eigene Produkt schwere finanzielle Verluste einfährt.

Le Matin etwa machte über sechs Millionen Minus im Jahr und ist seit zwanzig Jahren defizitär. Die streikenden Journalisten fordern, dass das Blatt trotzdem fortgeführt wird. Warum sollte Tamedia freiwillig Verluste machen? Aus gesellschaftlicher Verantwortung, wie die Journalisten jeweils sagen? Das tönt nicht sehr überzeugend.

Bei Streiks in der Medienbranche gibt es keine Drohkulisse: im Gegenteil. Wenn der Arbeitgeber auf die Forderungen der Streikenden eingeht, bekommt er ein Problem.

Bei Streiks in anderen Branchen hingegen gibt es eine Drohkulisse. Wenn der Arbeitgeber nicht auf die Forderungen der Streikenden eingeht, bekommt er ein Problem.

Die gelungenen Streiks in der Schweiz, etwa im Baugewerbe oder der Pharmaindustrie, hatten Drohkulissen und Erpressungspotenzial und waren darum erfolgreich. Die Arbeitgeber wollten keine Umsatzeinbußen und keinen Gewinnrückgang, darum waren sie kompromissbereit.

Bei Le Matin ist keine Drohkulisse und kein Erpressungspotenzial vorhanden. Der Streik kann Tamedia keine Umsatzeinbußen und keinen Gewinnrückgang zufügen. Darum ist der Streik eine Farce.

Aus ähnlichem Grund scheiterte auch der Streik bei der Schweizerischen Depeschenagentur von Ende Januar. Hier stand man vor einem Defizit von drei Millionen Franken und musste darum Entlassungen ankündigen. Der Streik wurde ein kompletter Misserfolg. Nur bei einem finanziell starken Unternehmen hat ein Streik hohe Aussichten auf Erfolg, weil die Firma diese Stärke nicht gefährden will.

Auf die Medienbranche umgelegt, bedeutet das: Nur wenn die Mitarbeiter der Internet-Handelsplattformen von Tamedia in Streik träten, geriete das Management in Panik. So ein Streik würde die wichtigste Gewinnquelle zerstören. Das Unternehmen wäre darum sehr kompromissbereit.

Wenn Zeitungsjournalisten streiken, sind Unternehmen nicht kompromissbereit. Journalisten haben kein Drohpotenzial mehr.

Erstveröffentlichung: Die Weltwoche vom 12. Juli 2018

Bildquelle: pixabay.com

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