Alle wissen es: Die Zukunft des Journalismus ist digital. Aber – und damit sind wir bereits beim ersten Paradox – richtig Geld verdienen lässt sich weiterhin nur mit Print.
Dies dürfte einer der Gründe sein, weshalb auch im deutschen Sprachraum auf Branchentreffs zwar viel von digitaler Innovation gequasselt wird, sich die meisten Verlage aber mit den Investments schwer tun, die nötig wären, um all die Möglichkeiten zu nutzen, die sich in einer konvergenten, interaktiven und zusehends von Suchmaschinen und sozialen Netzwerken geprägten Medienwelt auftun.
Entsprechend die Befunde, die zu Jahresbeginn auf einer Konferenz zu „Journalismus und Technik“ an der Universität München zu Hauf präsentiert wurden – zum Beispiel von Sonja Kretzschmar (Universität der Bundeswehr, München) und Susanne Kinnebrock (Universität Augsburg). Im Rahmen einer Online-Befragung von 90 leitenden Redakteuren konnten sie zeigen, dass Print in den Verlagshäusern weiterhin „klar im Mittelpunkt“ steht und es in den Redaktionen und Verlagshäusern vor allem an einem systematischen „Change Management“ fehlt.
Bestätigt wird die Tendenz der „Pfadabhängigkeit“, also das Unvermögen, nach einem einmal eingeschlagenen Weg radikal mit nicht mehr zukunftsfähigen Gewohnheiten zu brechen, auch von Wasko Rothmann (Universität Viadrina, Frankfurt/O.) in einem Buch, das der verlegerischen Entwicklung deutscher Qualitätszeitungen im letzten Jahrzehnt nachspürt. Der Betriebswirt hat gründlich die strategischen Entscheidungen des Verlagsmanagements der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, der Süddeutschen Zeitung, der Welt und der Frankfurter Rundschau analysiert.
Er empfindet es als Paradoxie, dass für ein Produkt, das „sich von anderen ähnlichen Produkten durch Qualität unterscheidet, keine mit Zahlungsbereitschaft verbundene Nachfrage vorhanden“ sei, und dass es die Verlage „nicht schaffen, ihr (Online-)Produkt einer Zielgruppe zu verkaufen“, die sie zugleich „als die zahlungskräftigste und intelligenteste Schicht der Gesellschaft“ an die werbetreibende Wirtschaft vermarkten.
Auch das zweite Paradox hat es in sich. Markus Beiler (Universität Leipzig) befürchtet, was er „Relevanzumkehrung“ nennt. Statt den Nutzern Information zu erschließen, denen Profi-Journalisten einen hohen Nachrichtenwert zugeschrieben haben, könnten sich die Journalisten beim Versuch der Suchmaschinen-Optimierung immer mehr den „technischen Relevanzkriterien algorithmisierter Vermittler“ unterordnen, erklärte er auf der Münchner Tagung. Das hieße dann wohl nichts anderes, als dass sich die Suchmaschinen verselbständigten und als eigenständiger „Nachrichtenfaktor“ den Prozess der Nachrichtenauswahl mehr und mehr dominierten. Schöne, neue Welt, Aldous Huxley lässt grüßen.
Ralf Spiller (Macromedia Hochschule, Köln) und Stefan Weinacht (Westfälische Hochschule Gelsenkirchen) haben einem dritten Paradox nachgespürt: Obschon der Stellenabbau in vielen Redaktionen in Deutschland sich offenkundig verschärft, gibt es vor allem unter jungen Journalisten ein Häuflein Aufrechter, die ihre Zukunft in einer besonders aufwendigen und rechercheintensiven Disziplin sehen: dem data mining. Auf derselben Münchner Konferenz stellten die beiden Forscher erste Ergebnisse einer explorativen Studie vor, zu der sie 28 Datenjournalisten interviewt haben.
Erwartungsgemäß arbeiten diese überwiegend für überregionale Medien wie Stern, Spiegel, Süddeutsche Zeitung und taz und unterscheiden sich in ihrem Rollenverständnis beträchtlich von „Durchschnitts“-Journalisten: Sie sind weder an Schnellschüssen noch am breiten Publikum interessiert, mehr als zwei Drittel der Befragten wollen dagegen Missstände aufdecken und die Mächtigen kontrollieren – während bei der letzten repräsentativen Befragung in Deutschland nur noch einem Viertel der herkömmlichen Journalisten diese Kontrollfunktion wichtig war. Von ihren Kollegen werde den Datenjournalisten häufig ein „Exotenstatus“ zugebilligt, so zwischen „Datenbeschaffer und Computerreparateur“. Überraschend ist dagegen, welch hohen Anteil selbst in diesem anspruchsvollen Metier inzwischen die Freiberufler stellen: 17 der Befragten sind als Freie unterwegs, nur elf von ihnen festangestellt – was auf harten, entbehrungsreichen Broterwerb schließen lässt.
In Prozentwerte umgerechnet haben die Wissenschaftler diese Zahlen allerdings nicht: Das Ergebnis wäre sonst als scheinobjektiv anzuprangern – das Untersuchungssample war für solche Rechenkunststücke und damit auch für weitreichendere Schlussfolgerungen einfach zu klein. So viel Redlichkeit sollte unter Wissenschaftlern zwar selbstverständlich sein, im Kampf um Aufmerksamkeit und Publikationsplätze lassen sie viele Forscher indes inzwischen leider gelegentlich vermissen. Ein triftiger Grund, weshalb Journalisten, wenn sie Umfrageergebnisse zitieren, sich zumindest vergewissern sollten, wie groß die Stichprobe war und welche Rücklaufquote erzielt wurde.
Zum Weiterlesen:
Rothmann, Wasko (2013): Wahrnehmung des strategischen Handlungsraums. Die verlegerische Entwicklung deutscher Qualitätstageszeitungen seit 2001, Wiesbaden: Springer VS
Erstveröffentlichung: Schweizer Journalist Nr. 4/5 2013 (gekürzte Version)
Bildquelle: Gerd Altmann / pixelio.de
Schlagwörter:Change Management, data mining, digital, Journalismus und Technik, Marcus Beiler, Online, Print, Ralf Spiller, Sonja Kretzschmar, soziale Netzwerke, Stefan Weinac, Suchmaschinen, Susanne Kinnebrock, Verlagsmanagement, Wasko Rothmann